Blog zum historischen Roman "Im Banne des Besten" mit Informationen über die Blütezeit des Römischen Imperiums
Samstag, 30. Dezember 2017
In eigener Sache
Die Spannung im Kolosseum erreicht einen Höhepunkt. Die Gladiatoren, die paarweise gegeneinander kämpfen, geben alles. Einer der Männer wird kampfunfähig; sein Gegner wendet sich gegen den Günstling des Publikums, der es nun mit zwei Mann aufnimmt. Die Leute toben und springen von den Sitzen.
In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich mich nicht im Publikum befinde, sondern in der Gemüseabteilung des Supermarktes, dass ich einen Einkaufszettel in der Hand halte und mich allmählich auf den Silvestereinkauf konzentrieren sollte. Wo, verdammt nochmal, ist das Suppengrün? Während ich mich auf die Suche mache, wird die Szene in meiner Vorstellung wieder lebendig. Ich halte einen Moment inne und weiß, wie der Kampf enden wird.
Als junges Mädchen tat ich in meiner Freizeit, wozu ich Lust hatte. Am liebsten zog ich mich in mein Zimmer zurück, tauchte in Phantasiewelten ab, schrieb, malte oder las. Ich war gern allein und hatte, wenn ich allein war, viele gute Ideen. Ich war ein Stubenhocker, ein sonderbarer, introvertierter Teenager.
Mein Leben nahm eine andere Wendung. Ich lernte einen "normalen" Beruf und gründete eine Familie. Die Familie wurde größer. Meine Phantasie ließ mich noch nicht im Stich. Ich schrieb abends Geschichten, die ich niemals veröffentlichte. Nach und nach kamen andere Interessen hinzu und ein Nebenjob. Meine Tage wurden immer ausgefüllter, aber ich war es nicht. Die Phantasie versiegte allmählich, so dass ich es kaum bemerkte.
Meine Freiräume musste ich mir allmählich zurückholen. Das Problem waren nicht so sehr die Familie und meine Arbeit, sondern meine eigene Zerrissenheit. Ich wollte doch "normal" sein. Heute weiß ich, dass die Normalität, die ich anstrebte, nicht zu mir passt. Hätte ich das doch früher geahnt! Momente der Inspiration wie im Supermarkt stellen sich nur dann ein, wenn ich genügend Zeit habe - Zeit, um Wissen aufzunehmen, zu fühlen und nachzudenken. So viel Zeit, dass es mir fast schon unangenehm ist, sie zu haben. Ich habe das Gefühl, sie würde mir nur in geringen Dosen, im Ausgleich zu Stress, zustehen. Zeit ist wahrer Luxus. Wer sie hat, sollte sich reich fühlen. Aber sie wird einem nicht geschenkt, man muss sie sich nehmen. Vor allem Frauen dürfen dabei nicht zimperlich sein. Es anderen recht machen zu wollen, funktioniert nicht, nicht für sich selbst und auch nicht in Beziehungen.
Diese Gedanken, die mir zum Jahreswechsel durch den Kopf gehen, müssen sich jüngere Frauen vermutlich nicht mehr machen. Sie haben besser gelernt, zu ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen zu stehen. Meine Generation steckt - das ist meine Erfahrung - immer noch stark in der sozialen Falle. Sozial sein ist Frauensache. Ich tauge nur bedingt dazu.
Für 2018 wünsche ich mir Phantasie und werde mir Mühe geben, die Freiräume dafür zu schaffen. Die Szene im Kolosseum möchte ich irgendwann zu Ende erzählen. Sie gehört nicht in das Buch, an dem ich aktuell arbeite, sondern in eine Fortsetzung. Allen Lesern dieses Blogs wünsche ich einen guten Rutsch ins neue Jahr, viel Glück, Träume und deren Verwirklichung.
Samstag, 23. Dezember 2017
Saturnalien
Saturnus war der Gott des Ackerbaus. Er entsprach dem griechischen Titanen Kronos. Die Anlehnung der römischen Mythologie an die griechische ist immer wieder faszinierend: Von seinem Sohn Jupiter entmachtet, floh er nach Latium, wo er vom doppelgesichtigen Gott Janus aufgenommen wurde. Zum Dank dafür unterwies er die Bewohner Latiums in der Kunst des Ackerbaus. Die Herrschaft des Saturnus galt als goldenes Zeitalter, in dem es noch keinen Privatbesitz und keine Klassenunterschiede gab. Die Saturnalien waren ursprünglich ein Erntedankfest.
Das Fest begann mit einem Opfer und anschließendem Gelage am Saturntempel, in dem der römische Staatsschatz aufbewahrt wurde. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts feierten die Menschen sieben Tage lang, vom 17.-23. Dezember. Während dieser Feiertage, die nicht nur in Rom, sondern auch in den Provinzen galten, war schulfrei und die Gerichte arbeiteten nicht - Letzteres war das Charakteristikum der römischen Feiertage.
Das beliebte Fest war ausgelassen und feucht-fröhlich. Im Gedenken an das goldene Zeitalter waren während der Feiertage die Standesunterschiede aufgehoben: Die Sklaven feierten zusammen mit ihren Herren, mitunter wurden die Unterschiede sogar umgekehrt, so dass die Herren ihre Sklaven bedienten. Es herrschte Redefreiheit: Sklaven wurden für freizügige Äußerungen nicht bestraft. Die sonst verbotenen Glücksspiele waren erlaubt. Man lud sich gegenseitig zu Gastmählern ein, bei denen ausgiebig gespeist und gebechert wurde. Es war üblich, einander zu beschenken, ursprünglich mit Kerzen und Tonfiguren, aber später war die Palette umfangreicher: Lebensmittel, Geschirr, Gebrauchsgegenstände, aber auch Gewürze, Kleidung, Bücher, Kosmetika bis hin zu Luxusartikeln wurden geschenkt. Vermögende Römer zeigten sich ihren Klienten gegenüber großzügig.
Aber nicht jeder war ein Freund des ausgelassenen Feierns. Plinius der Jüngere weilte während der Saturnalien gern auf seinem Landsitz bei Ostia, den er in seiner Briefsammlung (II. Buch, 17) ausführlich beschreibt. Sein Lieblingsort war sein Gartenhaus abseits des Hauptgebäudes: "Wenn ich mich in mein Gartenhaus zurückziehe, habe ich den Eindruck, gar nicht auf meinem Landgut zu sein; und es macht mir, besonders während der Saturnalien, ein großes Vergnügen, wenn der übrige Teil des Hauses von der Ausgelassenheit dieser Tage und dem festlichen Lärm widerhallt; denn weder störe ich die Vergnügungen meiner Leute noch sie meine Studien."
Die Saturnalien wurden bis zum Ende der Antike gefeiert, und der Brauch des Schenkens ging in unser Weihnachtsfest ein. In der Spätantike kam das Fest der Wintersonnenwende am 25. Dezember hinzu, gewidmet dem Sonnengott (Sol invictus). Beide Traditionen wurden im Laufe der Zeit vermischt. Bereits im ersten Jahrhundert galt Sol als Schutzgott des Kaisers, und unter Trajan und Hadrian erscheint er auch auf Münzen.
Der Bezug auf Trajan hier im Blog entspringt einer Begebenheit im Roman, an dem ich arbeite: Der spätere Kaiser kommt während der Saturnalien einer fiktiven Person nahe, und es wird ein bisschen romantisch - passend zum damaligen Fest. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern frohe Feiertage!
Literatur:
Karl-Wilhelm Weeber: Alltag im Alten Rom, Das Leben in der Stadt, Patmos Verlag, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-69042-0
Lexikon der Antike, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1978
Samstag, 16. Dezember 2017
Prostitution
Antike Moralvorstellungen unterscheiden sich deutlich von denen unserer Zeit. Die moderne westliche Gesellschaft ist immer noch vom Christentum beeinflusst. Die Gesetzgebung in der Antike war eine andere. Die alten Römer sahen sich selbst als sehr fromm an. Die damalige Gesellschaft war eine patriarchalische und manche Regeln, Sichtweisen und Gesetze jener Zeit muten heute grausam an und voller Doppelmoral.
Jene Doppelmoral begegnet uns in der Art und Weise, wie Gladiatoren, Wagenlenker, Schauspieler, Pantomimen einerseits geliebt und wie heutige Stars verehrt, andererseits aber gesellschaftlich gering geschätzt wurden. Diese Geringschätzung beruhte vor allem aus der Nähe jener Berufe zur Prostitution. Es gab durchaus Berührungspunkte. Da die Arbeit in der antiken "Unterhaltungsindustrie", im Amüsement den Unterschichten vorbehalten war, die von den Reichen abhängig und, wenn es sich um Sklaven und Freigelassene hatten, zu Dienstleistungen jeglicher Art sogar verpflichtet waren, verkauften diese Berufsgruppen oftmals nicht nur ihre Talente, sondern auch ihren Körper.
Hier mag die berechtigte Frage aufkommen, was das Thema Prostitution mit Trajan zu tun hat. Dieser Blog bezieht sich auf einen Roman, an dem ich arbeite und der in wenigen Wochen erscheinen wird. Eine der Hauptfiguren ist eine Prostituierte. Sie wird weder Kaiserin, noch Vestalin - dies sei schon mal verraten. Ich hatte lange Zeit Schwierigkeiten mit der Figur, wurde mit ihr nicht warm. Ich las ein paar autobiografische Schilderungen von neuzeitlichen Prostituierten, aber dies änderte nichts daran, dass ich mich in Cynthia nicht einfühlen konnte. Sie blieb auch äußerlich vage und verschwommen. Glücklicherweise wurde ich auf das außerordentlich informative Buch "Prostitution in der römischen Antike" von Bettina Eva Stumpp aufmerksam. Schon während ich es las, löste sich meine Abneigung gegen Cynthia auf. Sie bekam eine Biografie, eine Gestalt und eines Tages auch ein Gesicht.
Die Frauen, die sich prostituierten, taten es aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, aus dem Willen, zu überleben, aber oft auch aus Zwang. Viele von ihnen waren Sklavinnen, oft auch Töchter von Prostituierten, in der Sklaverei geboren oder in die Sklaverei verkauft. Immer wieder kam es vor, dass sich Freie aus Not selbst verkaufen mussten, ihre Kinder verkauften oder auf die Straße anschaffen schickten. Im Krieg gefangene Frauen und Kinder fielen in die Hände von Sklavenhändlern und wurden in die Prostitution verkauft, an Bordellbesitzer, aber auch in Haushalte. In manchen Gegenden des Imperiums florierte der Menschenraub, vor allem durch Piraterie. Ausgesetzte Kinder wurden als Sklaven aufgezogen und von ihren Besitzern zur Prostitution gezwungen. Aber auch ältere Prostituierte zogen gelegentlich Findelkinder auf und schickten diese später auf den Strich. Dies war ihre Altersvorsorge. Die Verdienstmöglichkeiten für Frauen waren in der Antike nicht sehr üppig. Neben Tätigkeiten in Haushalt und Familie bot die Textilherstellung ein kleines Auskommen, das aber oft nicht genügte, um über die Runden zu kommen.
In den größeren Städten gab es Bordelle. Die Besitzer ließen dort ihre Sklavinnen für sich arbeiten. Es gab aber auch Prostituierte, die eigenständig arbeiteten und sich in Bordellen Zellen anmieteten. Andere wiederum boten in der Öffentlichkeit ihre Dienste an. Säulenhallen, das Gebiet um den Circus Maximus, belebte Straßen und auch die Stadtbezirke, wo Militär stationiert war (Prätorianer, Gardereiter, Stadtkohorten) waren beliebte Orte der Kontaktaufnahme. Kunden entstammten überwiegend der Unterschicht: Es waren Arbeiter, Handwerker, Soldaten, auch Sklaven, gelegentlich aber auch besser situierte Männer. Die Prostituierten waren leicht und aufreizend bekleidet; oft entblößten sie ihre Oberkörper. Sie galten als geldgierig, aber auch als bösartig bis gewalttätig, was nicht verwundert, weil sie rechtlos waren und sich selbst schützen mussten. Öffentliche Gewalt gegen diese Frauen, aber auch gegenüber Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen galt als Berufsrisiko und kein römischer Bürger, der etwas auf sich hielt, hätte ihnen aus Mitgefühl beigestanden - außer vielleicht, wenn es sich um die eigene Geliebte handelte.
Während von jungen Römerinnen erwartet wurde, dass sie jungfräulich, oft vor der Geschlechtsreife, die Ehe eingingen und sich keusch und ohne jeglichen Tadel verhielten, wurde den jungen Männern empfohlen, sich auszutoben, wann und wo sich Gelegenheit dazu bot. Sexuelle Askese galt als ungesund. Die Ehe war ein Zweckbündnis zum Knüpfen von gesellschaftlichen Beziehungen, zur Besitzerweiterung und zur Zeugung von Nachkommen. Eheleute sollten einander achten und freundschaftlich miteinander umgehen. Sexualität war Pflicht, um Kinder zu zeugen, aber Leidenschaft war dabei unerwünscht, weil damals die Vorstellung herrschte, Gefühle beim Sex könnten die Frauen auf den Geschmack und auf den falschen Weg bringen. Sexuelle Erregung gehörte in den Bereich der gewerblichen Liebe. Den Prostituierten wurde wiederum vorgeworfen, zu schauspielern - was aber schlicht ihrem Selbstschutz diente. Da weder Männer noch Frauen in der Ehe sexuelle Befriedigung fanden, waren außereheliche Beziehungen und der Gang ins Bordell vorprogrammiert. Der Ehebruch einer Frau wurde bestraft, ebenso ihr Gatte, wenn er den Ehebruch duldete, aber ein Mann durfte außerehelichen Sex haben, ohne dass ihm etwas geschah. Angesehene römische Bürger mieden die Bordelle - schließlich hatten sie Sklavinnen und Sklaven, die ihnen jeden Wunsch erfüllten. Bisexualität war in der römischen Oberschicht verbreitet.
Es ist überliefert, dass schon kleine Mädchen und Knaben zur Prostitution gezwungen wurden. Niemand in der Antike fand das anstößig, da es sich um Sklaven handelte. Sklaven hatten alles von ihren Herren zu erdulden, auch Gewalt und Misshandlungen. Aber es kam durchaus vor, dass die Lieblingssklavin freigelassen wurde und Konkubine eines Römers wurde. Solche Beziehungen galten nicht als schändlich.
Die Prostituierten der Antike kannten Methoden der Empfängnisverhütung. Schwangerschaften waren unerwünscht, bedeuteten einen längeren Verdienstausfall und weitere Verpflichtungen. Es gab Arzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch. Es war auch bekannt, dass ungewohnte Belastungen wie Erschütterungen, Sprünge und das Heben schwerer Gegenstände einen Abort auslösen konnten. Im alten Rom galt ein Fötus vor dem Gesetz nicht als eigenständiges Lebewesen; eine Abtreibung war nicht strafbar. Brachte eine Prostituierte ein Kind zur Welt, war dessen Weg in die Prostitution geradezu vorgezeichnet.
Literatur:
Bettina Eva Stumpp: Prostitution in der römischen Antike, Akademie Verlag Berlin, 2001, ISBN 3-05-003459-9
Sonntag, 10. Dezember 2017
Pantomimen, Stars der Kaiserzeit
Neben Rennbahnen und Amphitheatern gab es im alten Rom auch die Theater, wo Bühnenstücke von Schauspielern aufgeführt wurden. Bekannt ist das Theater des Marcellus in Rom, aber auch in den Provinzen sind Ruinen römischer Theater erhalten wie beispielsweise in Cadíz. Zunächst gab es ähnlich wie in Griechenland Aufführungen an Festtagen zu Ehren von Gottheiten. In Rom setzten sich Komödien und Sketche gegen Tragödien durch. Das Publikum der Kaiserzeit liebte die leichte Unterhaltung. Seneca, der Tragödien verfasste, sah bald ein, dass er sie, wie wir heute sagen würden, für die Schreibtischschublade schrieb.
Beliebt und berüchtigt zugleich war der Pantomimus. Wie heutige Pantomimen agierten auch die damaligen Akteure wortlos. Unterstützt wurden sie von einem Chor, der sie mit Gesang bei ihrem Spiel begleitete, sowie von Musikern. Manchmal traten auch mehrere Pantomimen auf, aber meist war es ein Hauptdarsteller, der, während er die Handlung tanzte, in verschiedene Rollen schlüpfte. Schauspieler gehörten den unteren Schichten an, waren oft Sklaven. Beliebte Akteure konnten reich und berühmt werden, sich frei kaufen und ein unabhängiges Leben führen. Den meisten von ihnen jedoch haftete, auch wenn das Publikum sie feierte, der Makel eines Berufes an, der in der öffentlichen Wertschätzung sehr tief stand.
Theatervorstellungen fanden wie auch die Spiele tagsüber statt. Die antiken Städte waren am Abend und in der Nacht kaum beleuchtet und ihre Bewohner passten sich der Natur an: Ihr Tag begann bei Sonnenaufgang und endete bei Sonnenuntergang. Feste bis in die Nacht hinein gab es eher in privatem Rahmen in den Häusern der Reichen. Die vornehmen, vermögenden Römer besaßen oft auch eigene Schauspieler, Pantomimen, Tänzer, Musiker und Vorleser, so dass sie ihre Gäste mit verschiedenen künstlerischen Darbietungen unterhalten konnten. Sklaven mussten ihren Herren in jeglicher Beziehung zu Willen sein. Bühnenstücke waren oft der Mythologie entlehnt, voller menschlicher Dramen, Liebesabenteuer und Verwicklungen, Verführung bis hin zu Sexszenen. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die Darsteller dem animierten und vom Weingenuss enthemmten Publikum anschließend auch erotische Wünsche erfüllten.
Trugen die Schauspieler früherer Zeiten groteske, manchmal furchterregende Masken und gingen auf Stelzen, waren die neuen Bühnenstars attraktiv und durchtrainiert. Die Soloauftritte der Pantomimen waren ebenso kunstvoll wie körperlich herausfordernd. Wer dem Publikum gefallen wollte, musste über die entsprechende Körperbeherrschung verfügen und strenge Diät halten. Die Pantomimen traten leicht bekleidet auf, waren wahrscheinlich auch nackt und bewegten sich auf eine Art und Weise, die ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung brachte. Parallelen zum antiken Pantomimus findet man in der neuzeitlichen Burlesque. Aber die Stars der Antike waren vorrangig Männer - die von Männern und von Frauen gleichermaßen gefeiert und geliebt wurden. Zwei Männer aus dem Osten des Imperiums, Pylades aus Kilikien und Bathyll aus Alexandria, haben diese Kunst vermutlich erfunden.
Von mehreren Kaisern ist bekannt, dass sie Theateraufführungen liebten und Günstlinge unter den Darstellern hatten. Sie sahen sich immer wieder gezwungen, die Pantomimen aus Rom zu verbannen, wenn die Vorführungen zu sehr Anstoß erregten. Die Verbote wurden aber auch mit ähnlicher Regelmäßigkeit wieder aufgehoben. Trajan ließ, wie Plinius der Jüngere berichtet, auf Wunsch "des römischen Volkes" die Pantomimen abschaffen. Solche Verbote bezogen sich wohlgemerkt nur auf öffentliche Vorstellungen. Privatleute wurden nicht gezwungen, ihre Pantomimen zu verjagen, und die Oberschicht konnte sich weiterhin an lasziven Darstellungen erfreuen. Plinius war ein mit allen Wassern gewaschener Redner. Die Worte, mit denen er Trajans Maßnahme lobt, sind ein Paradebeispiel für seinen Einfallsreichtum, eine Anordnung des Princeps zu verklären. Domitian hatte die Pantomimen verboten, Trajans Adoptivvater Nerva hatte sie wieder zugelassen. Plinius argumentiert folgendermaßen: Es war richtig, dass Nerva die Pantomimen zurückholte, weil ein schlechter Princeps sie aus der Öffentlichkeit verbannt hatte. Dass Trajan sie wieder verbannte, war deshalb gut, weil die Öffentlichkeit nun aus freiem Willen auf die Pantomimen verzichten wollte.
Cassius Dio berichtet, dass Trajan im Jahr 103, nach Beendigung des ersten Dakerkrieges, die Pantomimen wieder zuließ. Damals wurde ein Triumph gefeiert und dem Volk wurden Spiele geboten. Diese Festlichkeiten waren wohl der Anlass, die geschmähte wie geliebte Kunstgattung den Römern wieder zurückzugeben. Ich bin sicher, Plinius hätte auch für diesen Sinnenswandel des Princeps die passenden Worte gefunden. Es kann sein, dass Trajan den Pantomimen gegenüber zugänglicher wurde, weil er sich in einen von ihnen, Pylades, verliebt hatte. Auch wenn diese "verweichlichten Künste" nicht zur "neuen Zeit" passten, wie Plinius im Panegyrikus schreibt - der Imperator muss tänzerischen Darbietungen gegenüber nicht abgeneigt gewesen sein. Im Jahr 114 hatte Trajan Armenien erobert und wandte sich gegen das Königreich Osrhoene in Obermesopotamien, das damals von den Parthern abhängig war. König Abgar hatte dem Kaiser Geschenke gesandt, war aber nicht persönlich vor ihm erschienen. Nun hatte er keine Wahl mehr und kam Trajan entgegen, um ihm zu huldigen. Sein gutaussehender Sohn Arbandos vermittelte, und während eines Festes unterhielt er den Kaiser mit einem orientalischen Tanz. Man kann sich vorstellen, dass die Gerüchteküche in den Gassen und auf den Märkten Antiochias brodelte, auch in Ermangelung echter, zeitnaher Informationen vom Kriegsschauplatz. Aber es ist denkbar, dass der Prinz von Edessa seine Talente für sein Land einsetzte, und man ahnt, in welch verzweifelter Lage die kleinen Königreiche zwischen dem mächtigen Rom und dem mächtigen Partherreich zu jener Zeit waren. Leider wurde Edessa im Jahr 116 während der Aufstände in Mesopotamien von den Römern unter Lusius Quietus belagert, eingenommen und niedergebrannt. Was aus Arbandos wurde, ist nicht überliefert.
Literatur:
Peter Conolly: "Die antike Stadt", Könemann Verlagsgesellschaft Köln 1998, ISBN 3-8290-1104-0
Arthur Maria Rabenalt: "Mimus eroticus", Verlag für Kulturforschung, Hamburg 1965
Plinius der Jüngere: Panegyrikus, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985, ISBN 3-534-09220-1
Cassius Dio, Epitome of Book 68
Montag, 4. Dezember 2017
Circusrennen
Sehr beliebt waren die Wagenrennen im Circus. Die größte Arena für diese Veranstaltungen bot der Circus Maximus. Vor Fertigstellung des Kolosseums fanden dort aber auch Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen statt.
Die Wagenrennen hatten ursprünglich eine religiöse Bedeutung und fanden wahrscheinlich (an bestimmten den Göttern gewidmeten Feiertagen) schon unter den altrömischen Königen statt. Das Tal zwischen Aventin und Palatin wurde frühzeitig für Rennen genutzt. Die geschlossene Form der Arena entstand unter Cäsar. Immer wieder kam es zu Bränden im Circus und der Zerstörung folgten Wiederaufbauten. Anfangs waren nur die unteren Reihen aus Stein gebaut. Trajan ließ den Circus Maximus komplett aus Stein errichten. Im Jahr 103 wurde dieser Bau vollendet. Um mehr Plätze für die Zuschauer zu schaffen, ließ der Kaiser die Loge Domitians, aus der er vom Palast aus den Rennen zuschauen konnte, abreißen und wieder in die Arena integrieren. Es gab keine strenge Trennung der Sitzreihen nach Rang und Geschlecht; man konnte dort gut Bekanntschaften schließen und flirten. 250.000 Leute sollen im Circus Maximus Platz gefunden haben. Obwohl heute nur noch wenig von den Steinbauten erhalten ist, hat der Circus die Landschaft geformt und die Ausmaße des Bauwerks sind gut zu erkennen, wenn man vom Palatin aus ins Tal schaut.
Das Bauwerk war für seine Zwecke perfekt konstruiert. In der Mitte der Arena befand sich die spina, eine langgezogene Mauer, die von den Gespannen umfahren werden musste. An einer Seite der Arena lagen die mit Türen verschlossenen Startboxen, an der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Triumphbogen, durch die der Veranstalter, gefolgt von Klienten, Wettkämpfern, Reitern, Tänzern und Musikanten, ähnlich wie ein Triumphator feierlich in den Circus einfuhr. Jene Prozession mit abschließendem Opfer erfolgte nach alter Tradition. Der Veranstalter, ein hoher Beamter (Prätor, Ädil oder Konsul) bestimmte die Startplätze der Gespanne durch Auslosen und gab schließlich auch das Signal zum Beginn des Rennens, worauf die Türen der Startboxen gleichzeitig durch einen Mechanismus geöffnet wurden. Die Rennen waren dramatisch und gefährlich, und nicht nur Schnelligkeit und Geschicklichkeit waren dabei gefragt, sondern auch Rücksichtslosigkeit. Das Behindern und Abdrängen der Konkurrenten gehörte dazu. Meist fuhren Viergespanne, Quadrigen. Dass Fahrer in Folge von Unfällen schwer verletzt wurden oder starben, war Berufsrisiko. Der siegreiche Fahrer bekam einen silbernen Palmzweig und eine Geldbelohnung. Es gab damals schon Rennfahrerkarrieren. Die erfolgreichen Wagenlenker, aber auch ihre Pferde waren Publikumslieblinge.
Die Rennställe, factiones, waren private Unternehmen, die meist von Rittern geführt wurden. Die Veranstalter der Spiele trugen die Kosten. Immer öfter mussten die Kaiser bei der Finanzierung helfen, da Privatpersonen damit überfordert waren. Man unterschied vier Farben: die dominierenden factiones Blau und Grün und sowie Rot und Weiß, wobei Rot mit Grün und Weiß mit Blau zusammenarbeitete. Plinius der Jüngere hatte kein Interesse an den Circusrennen. In einem Brief an Calvisius Rufus schreibt er über die Parteinahme der Zuschauer: "Wenn sie die Schnelligkeit der Pferde oder die Geschicklichkeit der Wagenlenker begeistern würden, dann läge noch ein Sinn darin. Jetzt aber spenden sie nur einem Stück Tuch Beifall…" (Plinius der Jüngere, Briefe, IX, 6). Mit "Tuch" meint er die Farbe der jeweiligen factio.
Von einigen Kaisern ist bekannt, welche der "Parteien" sie favorisierten: Vitellius und Caracalla waren Anhänger der "Blauen", Caligula, Nero und Domitian bevorzugten die "Grünen". Von Trajan ist keine Vorliebe für eine bestimmte factio überliefert. Aber er wird, wenn er in Rom war, während der Rennen im Circus gewesen sein. Die Bevölkerung erwartete das vom Princeps. Anlässlich solcher Veranstaltungen bekamen die Kaiser Erwartungen, Wünsche und Forderungen der Leute zu hören, aber auch Zustimmung und Beifall. Die meisten von ihnen respektierten die Stimmung im Volk und entzogen sich dieser Kommunikation nicht. Vermutlich genoss Trajan die Vorführungen. Sie waren nicht nur spannend, sondern auch prächtig durch den Glanz des neuen Bauwerkes, die Ausstattung der Wagen, Pferde und Rennfahrer in den Farben ihrer Parteien. Während die Gladiatorenkämpfe unter dem Einfluss des Christentums seltener und Anfang des fünften Jahrhunderts verboten wurden, fanden Wagenrennen in Byzanz noch im Mittelalter statt.
Literatur:
Marcus Junkelmann: Die Reiter Roms Teil I, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1990, ISBN 3-8053-1006-4
Georg Ürögdi: Reise in das Alte Rom, Prisma Verlag Leipzig, 1966
Sonntag, 26. November 2017
Gladiatorenkämpfe
Mit den "Spielen", die, so ein weit verbreitetes Urteil, neben den Getreidespenden das waren, wonach das römische Volk lechzte und womit es von den Kaisern ruhig gestellt wurde, sind vor allem die Gladiatorenkämpfe gemeint, die als Massenunterhaltung im Amphitheater aufgeführt wurden. Fast jede Stadt verfügte über eine solche Arena, aber das Kolosseum war das größte jener Bauwerke.
Die Auseinandersetzung mit dieser Form der Unterhaltung gerät oft etwas einseitig. Mit dem Thema ist es wie mit vielen anderen auch. Ich gestatte mir hier eine Abschweifung in die Literatur. In seinem Roman "Bis ich dich finde" schildert John Irving die Erlebnisse der Hauptfigur einmal aus der Perspektive des Kindes, in der die Sicht der Mutter dominiert, und ein zweites Mal aus der Sicht des Erwachsenen, wo sich vieles ganz anders darstellt. Der veränderte Blickwinkel und die Details führen zu einer anderen, neuen Geschichte. Ich will damit nicht behaupten, eine Geschichte sei wahr und die andere falsch. Es gibt viele Wahrheiten.
Es ist ein Verdienst des Historikers Dr. Marcus Junkelmann, Themen aus der römischen Geschichte einem breiten Publikum nahe zu bringen und mit Liebe zum Detail Klischeevorstellungen auszuräumen. Sein Buch "Das Spiel mit dem Tod - so kämpften Roms Gladiatoren" möchte ich jedem ans Herz legen, der tiefer in das Thema eindringen will.
Ursprünglich fanden Gladiatorenkämpfe zu Leichenfeiern und Totengedenktagen statt, zunächst vorzugsweise auf dem Forum. In der Kaiserzeit waren die Spiele Geschenke des Herrschers an das Volk. Augustus regelte Ablauf und Organisation ebenso wie die Sitzordnung der Zuschauer. Trajan gab anlässlich des Sieges über die Daker dem Volk Spiele, die alle bisherigen übertrafen. Innerhalb von 123 Tagen kämpften 10.000 Gladiatoren in der Arena. Ausbildung, Ausrüstung, Verpflegung und Versorgung der Gladiatoren waren ein lukratives Geschäft von privaten Unternehmern, bei denen die Veranstalter der Spiele die Leistungen beauftragten und einkauften. In der Kaiserzeit kümmerten sich zunehmend die Herrscher darum.
Jene Kämpfe waren keinesfalls ein wildes gegenseitiges Abschlachten von Männern, die dazu gezwungen wurden. Die römische Gladiatur war ein Kampfsport mit oftmals tödlichem Ausgang, der genauen Regeln unterworfen war und von exzellent ausgebildeten und gut verpflegten Männern ausgeübt wurde. Zu jener Zeit waren die meisten Gladiatoren Freiwillige. Nicht alle starben in Ausübung ihres Berufes. Es geschah gar nicht so selten, dass die Fechter nach mehreren erfolgreich absolvierten Kämpfen ehrenvoll aus ihrem Beruf entlassen wurden. Und so manche Gladiatoren machten trotzdem weiter. Die erfolgreichen unter ihnen waren Publikumslieblinge, hatten zahlreiche Fans und Verehrerinnen. Im Amphitheater kochten die Emotionen hoch. Eindrücklich wurde das Kolosseum der Römerzeit im Hollywood-Film "Gladiator" zum Leben erweckt. Ich empfehle Peter Conollys Bildband "Die antike Stadt". In Rekonstruktionen wird deutlich, dass das heutige Wahrzeichen Roms nur noch ein Schatten des antiken Bauwerkes ist. Das Amphitheater war prachtvoll wie zweckmäßig, mit Stuck und Malerei verziert, ausgestattet mit Sonnensegeln, die ausgefahren werden konnten. Im Innern gab es ein komplexes System von Treppen und Korridoren, Hebebühnen und Falltüren. Zur Eröffnung des Kolosseums im Jahr 80 wurde die Arena geflutet, um eine Seeschlacht nachzustellen. Unklar ist, ob dies noch möglich war, als die Kellerräume ausgebaut wurden. Dort befanden sich die Bühnentechnik, Gefängnisse für die zum Tode Verurteilten, Käfige für wilde Tiere sowie ein unterirdischer Gang zum ludus magnus, der Gladiatorenkaserne.
Grausam muten vor allem die Hinrichtungen an, die in den Mittagspausen stattfanden. Straftäter wurden entweder zum Kampf Mann gegen Mann oder verschärft ad bestias verurteilt. Letztere wurden von wilden Tieren zerrissen. Dass sich die Bevölkerung daran ergötzte, sich gar über die Verurteilten lustig machten, erfüllt uns heute mit Unverständnis und Entsetzen. Ähnlich urteilten aber schon damalige Intellektuelle.
Der Kampf auf Leben und Tod in der Arena faszinierte die alten Römer. Tapferkeit, Mut, das Streben nach Ruhm und die Bereitschaft, den Tod im Kampf als Schicksal anzunehmen, galten als römische Tugenden. Somit entsprach die Begeisterung für die Spiele nicht nur dem Bedürfnis nach Zerstreuung, sondern dem römischen Verständnis von Ehre. Plinius der Jüngere berichtet im Panegyrikus: "Nun wurden der Schaulust Spiele geboten! Doch nicht solche mit erschlaffender Wirkung, geeignet, die Energien der Männer zu schwächen und zu brechen, sondern Spiele, die anspornten, ehrenvolle Wunden zu empfangen und den Tod zu verachten, weil man sogar an kämpfenden Sklaven und Verbrechern den Drang zum Ruhm und das Verlangen nach Sieg beobachten konnte. " (Panegyrikus, 33). Auch Angehörige der Oberschicht ließen sich in der Gladiatur ausbilden. Waffentraining zur Körperertüchtigung galt als ehrenhaft und gehörte zur Ausbildung junger Männer der Aristokratie. Traten Adlige oder gar der Kaiser öffentlich in der Arena auf, galt das als anstößig.
Wir müssen uns heute vergegenwärtigen, wie hart und entbehrungsreich das Leben für die Bevölkerung damals war. Essen und gelegentliche Höhepunkte im Alltag sind menschliche Grundbedürfnisse. Und man tut den alten Römern Unrecht, wenn man das Kolosseum nur als antike Hinrichtungsstätte betrachtet. Neben staatspolitischen und technischen Errungenschaften gehören auch die Spiele im Amphitheater zu jener Hochkultur, die wir nicht bis ins Letzte verstehen können. In einer Zeit, da Heerscharen von Spezialisten Horroreffekte produzieren, damit sich die Zuschauer an entsprechenden Bildern ergötzen, sollte man vorsichtig sein mit der Verurteilung antiker Grausamkeit. Voyeurismus beim Filmen von Pannen, Missgeschicken bis hin zu Unfällen und Katastrophen und Verbreiten solcher Bilder sind ebenfalls allzu menschlich.
Literatur:
Marcus Junkelmann: Das Spiel mit dem Tod, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2563-0
Peter Conolly: "Die antike Stadt", Könemann Verlagsgesellschaft Köln 1998, ISBN 3-8290-1104-0
Sonntag, 19. November 2017
Die Unterschichten der Stadt Rom
Über Jahre und Jahrzehnte hinweg hat sich ein Bild des römischen Volkes verfestigt, das der Differenzierung bedarf.
Man kann das Volk der Stadt Rom und anderer Städte des Imperiums grob unterscheiden in frei Geborene, Freigelassene und Sklaven. Die Stellung und der Reichtum der Menschen hingen aber nicht nur von diesen Unterscheidungsmerkmalen ab. Die kaiserlichen Freigelassenen waren mächtig und wurden auch von Angehörigen der Oberschicht respektiert. Sie waren gut ausgebildet und spezialisiert, hatten einträgliche Stellungen und lebten in Sicherheit, während frei Geborene, die als Händler, Handwerker, aber auch Tagelöhner tätig waren, ein größeres wirtschaftliches Risiko trugen und in vielen Fällen sehr arm waren. Viele Sklaven reicher Römer oder des Kaisers führten ein deutlich besseres Leben als manche Freie. Zur Scheu vor den kaiserlichen Freigelassenen passt eine bei Plinius dem Jüngeren überlieferte Begebenheit. Eurythmus, Freigelassener Trajans, wurde zusammen mit einem römischen Ritter beschuldigt, Zusätze zu einem Testament gefälscht zu haben. Die Erben hatten den Kaiser gebeten, den Fall zu untersuchen. Einige von ihnen wollten aus Rücksicht auf Eurythmus auf die Anklage verzichten. Trajan antwortete darauf: "Weder ist er ein Polyclit, noch bin ich ein Nero." Er spielte auf einen Freigelassenen Neros an, der seine Macht missbrauchte, und wollte die Erben gleichermaßen ermutigen wie ihnen vermitteln, dass er nicht aufgrund seines Patronatsverhältnisses Partei für Eurythmus übernehmen würde (Plinius der Jüngere, Briefe, VI, 31, (7). Jener Fall ist auch exemplarisch dafür, dass sich jeder Bürger mit seinem Anliegen an den Kaiser wenden konnte. Für derartige Eingaben gab es eine spezielle Kanzlei (a libellis).
In der Kaiserzeit, Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts, herrschten andere Verhältnisse als zum Ende der Republik. Es gab längst keinen ständigen Nachschub mehr von Sklaven aus eroberten Gebieten. Die Bevölkerung unterworfener Gebiete wurde durchaus nicht komplett versklavt. Sklavinnen wurden sogar belohnt, wenn sie Kinder gebaren und damit für Nachwuchs sorgten. Sklaven in den Städten konnten damit rechnen, nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren von ihrem Herrn freigelassen zu werden. Oft erfolgte die Freilassung um das 30. Lebensjahr herum. Die Aussicht auf Freilassung motivierte die Sklaven. Zu jener Zeit setzte es sich in der römischen Oberschicht, auch unter Einfluss der philosophischen Schulen, immer mehr durch, die Sklaven human zu behandeln. Ihre Herren fühlten sich für sie verantwortlich, sorgten für Unterkunft und Ernährung. Auf dem Land lebten die Sklaven unter schlechteren Bedingungen und wurden seltener freigelassen.
Die Kaiser erließen verschiedene Gesetze zugunsten der Sklaven, um sie vor Willkür zu schützen. Freigelassene waren ehemalige Sklaven, und bereits das Kind eines Freigelassenen galt als frei geboren. Viele Angehörige der oberen Schichten stammten von Freigelassenen ab. Die Gesetzgebung war darauf bedacht, dass nicht zu viele Sklaven gleichzeitig freigelassen wurden, damit diese nicht in großer Zahl gesellschaftlichen Einfluss nehmen konnten. Wenn ein reicher Römer plante, seinen Sklaven nach seinem Ableben die Freiheit zu schenken, musste er das schrittweise tun.
Die Unterschichten in Rom wurden vom Kaiser mit Getreide versorgt. Es gab Listen mit den Namen der Empfangsberechtigten. Trajan nahm alle Kinder unter die Empfänger dieser Spenden auf. In den anderen Städten sorgten Angehörige der Oberschicht auf ähnliche Weise für die Bevölkerung. Lebensmittelknappheit konnte zu Aufständen und gar zu Gewalt gegen die Herrschenden führen. Die Getreideversorgung der Stadt Rom lag den Kaisern am Herzen. Eine Flotte von Frachtschiffen sorgte für die Lieferungen vor allem aus Ägypten. Augustus muss die Verwaltung der "Kornkammer Roms" als so sensibel erachtet haben, dass er die Provinz durch einen Präfekten (Ritter) verwalten ließ, um dort keinen potentiellen Konkurrenten (Senator) einzusetzen. Seine Nachfolger behielten diese Verfahrensweise bei.
Die Freigelassenen waren ihren ehemaligen Herrn als Klienten verbunden und wurden von ihnen unterstützt, revanchierten sich aber auch durch ihre Gefolgschaft, durch anteilige Zahlungen aus ihren Einkünften und persönliche Dienstleistungen bis hin zur Krankenpflege. Manche von ihnen empfanden das Patron-Klient-Verhältnis als demütigend und mitunter wurden die Freigelassenen sogar von den Sklaven des Herrn herablassend behandelt.
Neben den regelmäßigen Getreidespenden und sonstigen Schenkungen des Kaisers hatte die Bevölkerung Roms auch bessere und vielfältigere Verdienstmöglichkeiten als auf dem Land. Nicht zuletzt bot die Stadt auch diverse Möglichkeiten, sich zu amüsieren und zu zerstreuen: bei den Gladiatorenkämpfen im Amphitheater, beim Wagenrennen, im Theater, aber auch in Bordellen. Die - meiner Meinung nach zu Unrecht - geschmähte Massenunterhaltung in der römischen Antike werde ich in den folgenden Texten etwas genauer betrachten. Aber nicht nur im Amphitheater oder im Circus begegneten die Römer dem Kaiser. Wenn er in der Öffentlichkeit erschien, fanden die Leute Gelegenheit, ihn anzusprechen. Viele Herrscher, so auch Trajan, galten als zugänglich. Plinius berichtet im Panegyrikus: "Wenn der Princeps mitten durchs Volk geht, können die Leute ungehindert stehenbleiben, auf ihn zugehen, ihn begleiten, ihn überholen." (Plinius der Jüngere, Panegyrikus 24,3). Cassius Dio erzählt über Hadrian, dass er auf der Straße von einer Frau angesprochen wurde, die ihn um etwas bitten wollte. Er antwortete ihr, er hätte keine Zeit, worauf sie ihm zurief, dass er dann auch nicht Kaiser sein solle. Da blieb Hadrian stehen und hörte sie an.
Literatur:
Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1975, ISBN 978-3-515-09841-0
Cassius Dio, Epitome of Book 68
Montag, 13. November 2017
Der Ritterstand
Die Prätorianerpräfekten, denen die Garde unterstand, hatten die Spitze des Ritterstandes erreicht und wurden meist als Dank für ihre Dienste in den Senatorenstand erhoben. An Macht und Ansehen übertrafen diese Männer viele Senatoren. Dies galt auch für andere ritterliche Spitzenpositionen. Es gab Ritter, die reicher als Senatoren waren.
Das Mindestvermögen für einen Ritter betrug 400.000 Sesterzen. Die Besitzunterschiede innerhalb dieses Standes waren beträchtlich, was jedoch auch auf den Senatorenstand zutraf. Es gab wesentlich mehr Ritter als Senatoren. Unter Augustus gehörten um die 20.000 Männer dem Ritterstand an. Den Angehörigen der Oberschicht waren bestimmte Sitzreihen im Theater vorbehalten. Die besten Plätze nahmen der Kaiser und die Senatoren ein, gefolgt von den Rittern. Jene trugen zwei schmale Purpurstreifen an der Toga, die Senatoren einen breiten. Allein schon an diesen äußerlichen Zeichen ihres Ranges wird deutlich, dass sich die Angehörigen des Ritterstandes in ihren Werten an denen des Senatorenstandes orientierten. Der Tradition zufolge waren sie beritten, was sie alljährlich mit einer Reiterparade in Rom feierten. Jener Festumzug entstammte den Traditionen der römischen Republik und war ursprünglich eine Musterung der Ritter, die jährlich von Censoren durchgeführt wurde. Augustus ließ diesen Brauch wieder aufleben. Ritter, die weiter von Rom entfernt bzw. in den Provinzen lebten, nahmen an der Parade nicht teil. Ab dem 35. Lebensjahr war man davon befreit.
Während die Zugehörigkeit zum Senatorenstand erblich war, trifft dies auf den Ritterstand nicht zu. Zwar wurden die Söhne von Rittern oft ebenfalls Ritter, aber die Aufnahme in diesen Stand erfolgte durch persönliche Verdienste, Eignung, Beförderung bzw. Protektion. Der Ritterstand war der Finanzadel Roms. Viele Ritter waren Steuerpächter, Händler und Bankiers, aber ihre Haupteinnahmequelle war der Grundbesitz. Ein weiterer Weg in den Ritterstand war die Offizierslaufbahn. Centurionen, vor allem die ranghöchsten unter ihnen, strebten in den zweiten Adel. Als Tribunen und Präfekten übernahmen sie hohe Kommandos beim Heer und den städtischen Kohorten sowie der Feuerwehr. Im zivilen Bereich wurden geeignete Ritter kaiserliche Beamte (Prokuratoren), oder sie fanden Beschäftigung am kaiserlichen Hof. Die Prokuratoren übernahmen Aufgaben in der Provinzverwaltung und entlasteten die Statthalter. Gegenseitige Kontrolle war Nebenerscheinung der Zusammenarbeit zwischen ritterlichen und senatorischen Beamten. Adlige unterworfener oder befreundeter Völker wurden Ritter. Ein berühmtes Beispiel ist der Cheruskerfürst Arminius. Die Eliten jener Völker wurden auf diese Weise schnell integriert und trugen die Romanisierung mit - was in den meisten Fällen funktionierte. Normalerweise war eine freie Geburt Bedingung für eine Aufnahme in den Ritterstand, aber es gab auch Ausnahmen, in denen Freigelassene befördert wurden.
Manchen Rittern ging es weniger gut, und sie waren auf die Unterstützung reicher Patrone angewiesen, so der Dichter Martial, der in seinen Epigrammen seinen Gönnern huldigt, aber auch über die Abhängigkeit von ihnen klagt. Zu den Zuwendungen der Patrone zählten Fürsprachen, Einladungen und (Geld-) Geschenke, aber auch Lebensmittelspenden. Die Klienten revanchierten sich durch diverse Gefälligkeiten und Dienstleistungen sowie ihre Gefolgschaft, die dem Patron öffentliches Ansehen verlieh. Jene Beziehungen waren enorm wichtig, da die staatliche Fürsorge begrenzt war. Patrone Martials waren neben den Kaisern Titus und Domitian die Senatoren Licinius Sura und Plinius der Jüngere. Letzterer schenkte dem Dichter das Reisegeld, als dieser in seine spanische Heimat zurückkehrte.
Unter Trajan sind drei Prätorianerpräfekten namentlich bekannt: Attius Suburanus, Claudius Livianus und Acilius Attianus. Aber auch andere Ritter hatten Spitzenpositionen inne wie Pompeius Planta, der Präfekt von Ägypten, den Trajan als seinen Freund bezeichnete. Marcius Turbo, der Freund Hadrians, war zunächst Centurio, anschließend Tribun der vigeles (Feuerwehr), der equites singulares Augusti und der Prätorianer, kommandierte im Partherkrieg die Flotte von Misenum, bewährte sich in verschiedenen militärischen Aufgaben und wurde schließlich Hadrians Prätorianerpräfekt. Neben diesen mächtigen Männern gab es aber auch Ritter, die nicht unter die führenden Beamten und Offiziere aufstiegen.
Literatur:
Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1975, ISBN 978-3-515-09841-0
Marcus Junkelmann: Die Reiter Roms, Teil II, Vom Reiteradel zum Offiziersadel, Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 1991, ISBN 3-8053-1139-7
Sonntag, 5. November 2017
Der Senatorenstand
An der Spitze des römischen Imperiums stand eine überschaubare Gruppe von Männern: Zunächst der Princeps, unumschränkter Herrscher, gefolgt von ausgewählten Senatoren, den Konsularen, seinen engsten Helfern und Freunden. Nicht jeder Senator rückte in eine derartige Position auf.
Kaiser Augustus, der den Prinzipat schuf, legte die Zahl der Senatoren auf 600 fest. Daran änderte sich auch in der "Hohen Kaiserzeit" unter den sogenannten Adoptivkaisern nicht viel. Seit Augustus war die Zugehörigkeit zum Senatorenstand erblich: Die Söhne von Senatoren wurden ebenfalls Senatoren. Auch gab es seitdem eine Trennung senatorischer und ritterlicher Ämter. Geeignete Ritter wurden in den Senat aufgenommen. Darüber entschied der Kaiser. Ein Senator musste mindestens über ein Vermögen von einer Million Sesterzen verfügen.
Viele Senatoren waren jedoch weitaus reicher. Plinius der Jüngere, dessen Vermögen auf 20.000.000 Sesterzen geschätzt wird, war kein sonderlich reicher Senator. Das Vermögen erwarb man durch Erbschaften und Heirat, auch durch Geldverleih; vor allem aber bestand es aus Grundbesitz und den Erträgen daraus. Das Römische Reich war ein Agrarstaat. Die Senatoren waren stolz darauf, dem vornehmsten Stand anzugehören. Sie kannten untereinander, waren durch familiäre und freundschaftliche Beziehungen miteinander verbunden. Natürlich gab es auch Konkurrenzdenken und Intrigen innerhalb des Senats.
Zum Selbstverständnis der Senatoren gehörte die Bereitschaft, dem Staat zu dienen, Ämter auszuüben und durch Patronatsverhältnisse sowie Spenden, Unterstützung weniger Vermögender bzw. Schenkungen Verantwortung und Fürsorge zu tragen. Gewiss war diese Bereitschaft unterschiedlich ausgeprägt, aber sie trifft in hohem Maße auf die Konsulare und den Kaiser zu. Ihren luxuriösen Lebensstil verstanden jene Männer als verdienten Ausgleich zu ihren Pflichten und Mühen im Dienste des Staates. Prächtige Stadthäuser und komfortable Villen außerhalb von Rom zeugen davon. Ein vermögender Römer zeigte seinen Reichtum und seine Erfolge gern öffentlich. Auch Wohltaten für die Öffentlichkeit zählten letztlich zur Selbstdarstellung.
Die Kaiser standen in ihrer Entscheidungsgewalt zwar über dem Senat, aber die erfolgreichen unter ihnen waren um ein gutes Einvernehmen mit dem Hohen Haus bemüht. Dies trifft besonders auf Trajan zu. Domitian hatte sich in seinen letzten Jahren durch sein zunehmendes Misstrauen gegen seine Umgebung und sein despotisches Gebaren den Hass des Senats zugezogen. Trajan grenzte sich deutlich davon ab. Durch Gesten der Bescheidenheit, aber auch durch Gesetze wertete er den Senat wieder auf. Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass seine Fürsorge und sein Bemühen um Akzeptanz als Herrscher nicht nur dem Senat, sondern allen Schichten galten.
Plinius der Jüngere gibt im Panegyrikus die Begeisterung der Senatoren wider, die sich freier und durch das zuvorkommende Verhalten Trajans aufgewertet fühlten. Trajan betete, dass die Wahlen der Konsuln zu einem guten, glücklichen Ergebnis führen sollten für den Senat, den Staat und für ihn selbst - die Reihenfolge erregte Aufsehen. Die Senatoren antworteten darauf mit begeisterten Rufen und "Lobpreisungen", sprangen vor Aufregung von ihren Sitzen. Trajan war gerührt. (Plinius, Panegyrikus, 72).
Kaiser Trajan erließ auch Gesetze zum Wohle der Senatoren. Es kam vor, dass der Kaiser als Zwischenerbe eingesetzt wurde. Der vierte Teil des Erbes hätte ihm als Testamentsvollstrecker zugestanden. Trajan verzichtete darauf und war somit lediglich ehrenamtlicher Treuhänder. Solche Fälle betrafen in erster Linie die Oberschicht. Aus derartigen Geschäften hatten die Delatoren in früheren Zeiten, besonders unter Domitian, ihre Vermögen aufgebessert. Den Majestätsbeleidigungsprozessen machte Trajan ein Ende. Er vertrieb die Delatoren aus Rom und ließ keine derartigen Anklagen mehr zu.
Plinius der Jüngere berichtet, dass Trajan, wenn er Konsul war, das Amt (das zu jener Zeit eher eine formale Auszeichnung war) achtete und sich wie ein "großer Konsul vom alten Schlag" verhielt: Es gab, wenn er das Haus verließ, keinen großen Aufwand, keine kaiserliche Prachtentfaltung und keine Verzögerungen. Auf der Schwelle des Hauses wurden die Auspizien eingeholt. Die Liktoren verhielten sich rücksichtsvoll und drängten niemanden beiseite. (Plinius, Panegyrikus, 76,6) Ich kann mir derartige Szenen zur Zeit Trajans gut vorstellen.
Literatur:
Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, Der Senatorenstand; Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1975, ISBN 978-3-515-09841-0
Martin Fell: Optimus Princeps? Anspruch und Wirklichkeit der imperialen Programmatik Kaiser Trajans, tuduv-Verlagsgesellschaft, 1992, ISBN 3-88073-417-8
Sonntag, 29. Oktober 2017
Der römische Kaiser, ein absoluter Herrscher
Zur Zeit Trajans war die von Augustus begründete Herrschaftsform des Prinzipats fest etabliert. Mit der Einrichtung dieser Monarchie gelang dem ersten römischen Kaiser ein staatspolitisches Meisterstück. Er verstand es, eine uneingeschränkte Macht in der Position des Princeps zu vereinen und dabei das verhasste Image eines Tyrannen zu meiden.
Trajan regierte um die hundert Jahre später und ist in seiner Politik dem Beispiel des Augustus weitgehend gefolgt. Der "Optimus Princeps" war kein Reformer, sondern ein Bewahrer. Oft wird seine provinzialrömische Herkunft hervorgehoben. Dass die Provinzen Spaniens und Galliens zum Ende des ersten Jahrhunderts nicht nur einflussreiche Senatoren, sondern auch den Princeps und seine Gattin hervorbrachten, war das Resultat einer Entwicklung. Die "neuen" Familien der Oberschicht waren den altrömischen Werten noch stärker verbunden als die Sprösslinge des alten stadtrömischen Adels. Erwähnenswert ist ein Gesetz Trajans, welches die Senatoren zwang, die sich um die höheren Ämter bewarben, ein Drittel ihres Vermögens in italischen Grundbesitz anzulegen. Denn es sei schimpflich - so berichtet Plinius der Jüngere, dass diese Leute Italien und die Hauptstadt nicht als Heimat, sondern als Herberge auf der Durchreise betrachteten. (Plinius, Briefe, VI, 19 (4)
Der römische Kaiser war Landesvater, pater patriae. Trajan entsprach dieser Rolle schon rein äußerlich. Er war, als er die Herrschaft übernahm, Mitte vierzig, ein in zivilen Ämtern und militärischen Kommandos erfahrener Mann. Plinius erwähnt im Panegyrikus, dass er hochgewachsen, schlank und von muskulösem Körperbau war. Sein graues, wahrscheinlich sogar weißes Haar unterstrich seine Würde, dignitas. Dabei wirkte er nicht greisenhaft, sondern es ist überliefert, dass er, wie wir heute sagen würden, körperlich fit war und während seiner Feldzüge die Strapazen mit den Soldaten teilte. Der Kaiser war auch Imperator, oberster Feldherr. Er verlieh Auszeichnungen an seine Offiziere, aber die Ehre eines Triumphes kam nur ihm allein zu. Er ernannte die Kommandanten der Legionen und die Statthalter der prestigeträchtigen kaiserlichen Provinzen mit strategischer Bedeutung und Truppenpräsenz.
Als Inhaber der ständigen tribunizischen Gewalt konnte er jedes Gesetz erlassen und jede Maßnahme ergreifen. Durch das imperium proconsulare stand er auch über den sogenannten Senatsprovinzen. Er ernannte nicht nur Ritter und Senatoren, sondern konnte Mitglieder, die ihm nicht geeignet erschienen, aus beiden Ständen entfernen. Sein Verhältnis zu den höchsten Männern der Oberschicht war freundschaftlich. Verlor ein Senator die Freundschaft bzw. Gunst des Kaisers, war er gesellschaftlich kaltgestellt. Trajan verpflichtete sich, keinen Senator töten zu lassen, und hielt sich daran. Der Kaiser verstand sich als Patron der Mitglieder unterer Schichten, die gleichsam seine Klienten waren. Er sorgte für das Volk von Rom durch Getreidespenden und großzügige Spiele zur Unterhaltung. Trajan sah sich auch in einer Fürsorgepflicht für die Provinzbewohner, wie er Plinius gegenüber bekannte: "provinciales, credo, prospectum sibi a me intellegent. - Die Einwohner der Provinz werde, so glaube ich, wohl merken, dass ich Fürsorge trage für sie." (Plinius, Briefe, X, 18 (2).
Mein Lieblings-Statement Trajans zeigt sein Bemühen um Ausgewogenheit. Eine Gemeinde in Bithynien berief sich auf Anordnungen des Kaisers, wonach Schenkungen an Privatleute verboten wurden, und forderte von einem Mann 40.000 Denare zurück, die ihm vor zwanzig Jahren auf Beschluss von Rat und Volksversammlung geschenkt worden waren. Die Rückzahlung dieser Summe hätte den Mann mittellos gemacht, und er wandte sich an den Statthalter, dieser wiederum an Trajan. Der Kaiser antwortete, dass vor langer Zeit erfolgte Schenkungen nicht widerrufen werden dürften, weil sonst die Existenz vieler Leute ruiniert würde. "Ich wünsche nämlich", beschloss er sein Schreiben, "dass man sich allerorten um die Menschen nicht weniger kümmert als um die Finanzen." (Plinius, Briefe, X, 111)
Der römische Kaiser war auch religiöses Oberhaupt, pontifex maximus. Das Relief der Trajanssäule zeigt den Herrscher immer wieder bei Opferhandlungen im Beisein der Soldaten oder der Bevölkerung. Plinius fragte Trajan auch in religiösen Belangen um Rat (Briefe, X, 49 und 69).
Durch die Überhöhung seiner Person rückte der Kaiser bereits zu Lebzeiten in die Nähe der Götter. Ein verstorbener Herrscher wurde zum Staatsgott, dem Tempel erbaut wurden. Der Kaiserkult war identitätsstiftende Religion im gesamten Imperium. Neben den Göttern wurden nur der Herrscher und Mitglieder seiner Familie mit überlebensgroßen Statuen geehrt.
Der Princeps war der reichste Mann des Imperiums. Er verfügte über den kaiserlichen Kronbesitz und darüber hinaus über sein beträchtliches Privatvermögen, das aus Grundbesitz, Bergwerken und Werkstätten bestand. Augustus soll schätzungsweise ein Vermögen von einer Milliarde Sesterzen besessen haben. Selbstverständlich konnte ein einziger Mann jenes ausgedehnte Reich nicht allein regieren. Er benötigte eine Vielzahl von Männern, denen er verwaltungstechnische, wirtschaftliche und militärische Aufgaben übertrug. Vom Senatoren- und Ritterstand werden meine nächsten Texte handeln. Trajan verstand es, geeignete Leute auszuwählen und sie durch Belohnungen, Beförderungen und Gesten der Wertschätzung "bei Laune" zu halten. Missstimmungen ihm gegenüber sind nicht bekannt, und Berichte über Verschwörungen halten sich in Grenzen. Cassius Dio überliefert, dass sich Trajan über die Verleihung des Titels "Optimus" durch den Senat mehr freute als über seine Siegernamen, weil er ihn auf seinen Charakter bezog. Interessant insofern, als der gleiche Autor ihn an anderer Stelle als kriegsbegeistert bezeichnet. Trajan war sowohl beim Senat und bei den Rittern, als auch bei Heer und Volk beliebt. Er füllte seine Rolle in dem Sinne aus, wie das von ihm erwartet wurde. Dies muss aber auch seinem Selbstverständnis entsprochen haben. Als Schwäche Trajans wird erwähnt, dass er nur mäßig gebildet war und seine Reden von seinem Freund Sura und später von Hadrian schreiben ließ. Wenn er in der Öffentlichkeit frei sprechen musste, zeigte sich, dass er kein perfekter Rhetoriker war. Aber wahrscheinlich sind gerade seine Schwächen der Grund dafür, dass er nicht nur verehrt, sondern auch geliebt wurde.
Literatur:
Géza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1975, ISBN 978-3-5125-09841-0
Plinius der Jüngere, Briefe, übersetzt und herausgegeben von Heribert Philips und Marion Giebel, Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart 1998, ISBN 3-15-059706-4
Plinius der Jüngere, Panegyrikus, herausgegeben und übersetzt von Werner Kühn, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1985, ISBN 0174 3-534-09220-1
Cassius Dio, Epitome of Book 68
Sonntag, 22. Oktober 2017
Die Gardereiter (Equites Singulares Augusti)
Neben den Prätorianern gab es zeitweise auch die Equites Singulares Augusti, die berittene Garde des Kaisers. Schon Julius Caesar verfügte über eine aus Germanen bestehende Leibwache, und die Kaiser von Augustus bis Galba führten diese Tradition fort.
Auch Legionslegaten und Statthalter hatten Gardereiter. Ob die Equites Singulares Augusti unter Domitian oder Trajan formiert wurden, ist nicht bekannt. Für Trajan spricht die Situation in den Jahren 97-98: Er war, ehe er von Nerva adoptiert wurde, Statthalter von Obergermanien. In diesem Amt verfügte er über berittene Leibwächter. Es liegt nahe, dass er jene Männer in seinem Dienst behielt, als er sein Amt abgab, um die Regierung des Imperiums zu übernehmen. Außerdem war gerade damals das Vertrauen in die Prätorianer erschüttert. Die Garde hatte sich gegen Nerva empört und ihn gedemütigt. Trajan bestellte die Aufrührer zu sich nach Germanien und ließ sie hinrichten. Es ist denkbar, dass die Equites Singulares Augusti bei der Überwältigung der Prätorianer zum Einsatz kamen.
Wie die Prätorianer, waren auch die Gardereiter eine Eliteeinheit. Ausgewählte Alenreiter, Angehörige der Hilfstruppen in den Provinzen, wurden bei Bedarf und Eignung in die berittene Garde befördert. Hilfstruppenreiter erhielten das römische Bürgerrecht im Normalfall erst bei ihrer Entlassung nach 25 Dienstjahren. Um Legionär zu werden, musste man bereits römischer Bürger sein. Die Prätorianer wurden aus den Legionen in die Garde befördert und waren demzufolge ebenfalls römische Bürger. Diejenigen, die zu den Equites Singulares Augusti befördert wurden, erhielten das Bürgerrecht höchstwahrscheinlich bei Eintritt in die Garde. Das war ein beachtlicher Karrieresprung! Die Dienstzeit betrug normalerweise 25 Jahre, aber sie konnte auch verlängert werden. Die berittene Garde wurde von einem tribunus equitum singularium Augusti kommandiert. Eventuell war jener Tribun dem Prätorianerpräfekten unterstellt, wird sein Kommando aber relativ selbstständig ausgeübt haben.
Vermutlich war die Truppe 1.000 Mann stark. Die Gardereiter waren in einem Kastell auf dem Caelius untergebracht. Kaiser Septimius Severus ernannte zwei Tribunen der Equites Singulares Augusti und ließ ein zweites Kastell errichten. Aufgabe der berittenen Garde war es, den Kaiser ins Feld zu begleiten. Aus dem Partherkrieg Trajans ist überliefert, dass ein Gardereiter starb, als Trajan vor Hatra unter feindlichen Beschuss geriet. Da die Gardetruppen auch in Friedenszeiten bestanden, hatten sie viel Zeit zum Waffentraining, zur Körperertüchtigung und zum Exerzieren. Es gab spezielle Ausbildungsoffiziere. Equites Singulares Augusti dienten später als Decurionen in den Alen und gaben ihre in der Garde erworbenen Fähigkeiten weiter. Während die Gardereiter der Statthalter und Legionslegaten nur zeitweise von den Hilfstruppen abgestellt waren und wieder in ihre alten Einheiten zurückkehrten, trifft das auf die Equites Singulares Augusti nicht zu. Wer einmal in der kaiserlichen Garde war, blieb dort und kehrte höchstens als Offizier zu den Hilfstruppen zurück.
Grabsteine der Gardereiter verraten ihre Herkunft. Da sie mit dem Bürgerrecht praenomen und nomen gentile des Kaisers empfingen, lässt sich ihre Beförderung in etwa zeitlich einordnen. Viele Ulpii und Aelii sind bekannt. Die überwiegende Anzahl jener Männer stammte aus den Provinzen an Rhein und Donau und nur ein geringer Teil aus Syrien und Afrika. Das waren keine "Barbaren", sondern romanisierte Provinzbewohner bzw. Bundesgenossen. Aus solchen Männern wurde die römische Kavallerie rekrutiert.
Auf dem Relief der Trajanssäule sind wiederholt Equites Singulares Augusti in der Nähe des Kaisers dargestellt. Trajans Erfolg und seine Beliebtheit beruhen vor allem auf einer Politik des Ausgleichs zwischen verschiedenen Schichten und Interessengruppen. Die Formierung einer zweiten Garde, bestehend aus Provinzialen, welche die stark mit Rom und Italien verbundenen Prätorianer ergänzte, würde gut zu dieser Politik passen.
Literatur:
Michael Speidel: "Die Equites Singulares Augusti", Rudolf Habelt Verlag Bonn, 1965, ISSN 0066-4839
Montag, 16. Oktober 2017
Die Prätorianergarde
Bereits in der römischen Republik umgaben sich die Feldherren mit einer Garde. Augustus wollte die Prätorianergarde nicht nur im Krieg, sondern ständig nutzen. Er verteilte die Truppe so, dass von neun Kohorten zu je 500 Mann nur drei ihren Dienst in Rom taten, wo sie dezentral untergebracht waren. Diese Kohorten entsprachen in ihrer Organisation denen der Legionen. Oft waren es verdiente Legionäre, die in diese Eliteeinheit befördert wurden. Und wie den Legionen, waren auch den Prätorianern einige Reiter zugeordnet.
Unter der Herrschaft des Tiberius nahm der Einfluss der Prätorianer und speziell ihres Präfekten zu. Als sich der Kaiser nach Capri zurückzog, herrschte der praefectus praetorio Seianus in Rom. Er war engster Vertrauter des misstrauischen Monarchen. Seianus setzte durch, dass die gesamte Prätorianergarde in einem Lager am Stadtrand Roms untergebracht wurde. Jener Stadtteil trägt heute noch den Namen Castro pretorio.
Aus dem Dienst für den Kaiser und der Nähe zu ihm ergibt sich die potentielle Macht jener Einheit und ihrer Befehlshaber. Diejenigen, die den Herrscher schützen sollten, konnten ihn umbringen, und sie waren auch in der Lage, Kaiser einzusetzen bzw. Einfluss auf die Thronfolge zu nehmen. Oft ging es dabei um Geld, das sogenannte Donativum, eine Prämie, die neue Herrscher ihren Gardisten zahlten. Es versteht sich, dass die Prätorianer besser bezahlt wurden und mehr Vergünstigungen als Legionäre genossen: Ihr Sold betrug immer das Eineinhalbfache der Legionäre. Unter Domitian erhielt ein Prätorianer dreimal jährlich 300 Denare; die Abfindung nach Ende ihrer Dienstzeit betrug 5.000 Denare, zusätzlich bekamen sie ein Stück Land geschenkt.
In Rom versahen die Prätorianer normalerweise unauffällig ihren Dienst. Sie trugen die Toga; die Waffen wurden verborgen getragen. Sie offen zu tragen, galt als Aufruhr. Zur Toga trugen sie, wie Offiziere und Beamte, geschlossene Schuhe. Es gehört zu den unausrottbaren Rom-Klischees, dass Wachen unter großem Lärm in Palästen aufmarschierten, in voller Rüstung, mit Panzer, Helm und in genagelten Soldatenschuhen. In Filmen erscheinen berühmte Persönlichkeiten in völlig zivilen Situationen (so bei Gastmählern in Rom) in Rüstung und gar mit Helm, als würden sie gleich in die Schlacht ziehen. Die bildlichen Darstellungen aus der damaligen Zeit belehren eines Besseren. Im Feld trugen die Prätorianer den Panzer (lorica), Helm mit Helmbusch, Schwertgehenk mit gladius, Schild und caligae, unter dem Panzer die tunica. Die Prätorianer besaßen auch eine Paradeuniform, in der sie den Kaiser bei festlichen Anlässen begleiteten.
Die Quellen nennen uns - mit einer Ausnahme - keine Zwischenfälle unter Trajan, die von den Prätorianern ausgingen. Jene Ausnahme fällt in die Anfangszeit seiner Herrschaft. Der Gardepräfekt Casperius Aelianus hatte Nerva bedroht und ihn in die peinliche Situation gebracht, die Mörder Domitians auszuliefern. Als Nerva Trajan adoptiert hatte, sandte er ihm ein Schreiben mit dem in Poesie verpackten Rachewunsch: "Meine Tränen vergilt mit deinem Geschoss den Danaäern." Abgesehen von der Bitte des alten Kaisers hatte Trajan kaum eine andere Wahl, als ein Exempel zu statuieren, wollte er nicht als schwacher Herrscher gelten. Er beorderte Aelianus mit seinen Prätorianern zu sich nach Germanien und ließ sie hinrichten.
Nachfolger des Aelianus wurde Attius Suburanus. Der Kaiser überreichte ihm das Schwert, Symbol seines Amtes, mit den Worten: "Nimm dieses Schwert und führe es für mich, wenn ich gut herrsche - wenn nicht, wende es gegen mich." Jene Worte, die sowohl Plinius als auch die spätantiken Quellen unbedingt der Nachwelt mitteilen wollten, wirken auf mich etwas floskelhaft. Zumindest den letzten Teil wird weder Trajan noch sein Gardepräfekt in jenem Moment als ernstzunehmende Option aufgefasst haben. Suburanus war ein enger Vertrauter von Julius Ursus, langjähriger Gardepräfekt Domitians. Im kritischen Jahr 97 war Suburanus Finanzprokurator der germanischen Provinzen und verantwortlich für die Soldzahlungen an die Legionäre. Trajan stand damals als Statthalter in Germania superior. Julius Ursus muss einer der Männer gewesen sein, die sich in Rom für Trajan als Nachfolger Nervas einsetzten. Die Beziehungen zu Ursus und anderen einflussreichen Senatoren gehen wahrscheinlich schon auf den Vater des späteren Kaisers zurück.
Normalerweise gab es zwei Prätorianerpräfekten. Das Amt war die Krönung der ritterlichen Laufbahn. Oft wurden die Gardepräfekten nach ihrer Dienstzeit in den Senat erhoben. Nicht alle sind bekannt. Plinius der Jüngere berichtet von einem Prätorianerpräfekten, der ungenannt bleibt: Jener Mann wollte sich ins Privatleben zurückziehen, und obwohl es ihm schwerfiel, gab Trajan nach. Der Präfekt muss ein enger Freund gewesen sein. Plinius schildert die Abschiedsszene: "Wirklich, du hast ihn geleitet und ließest es dir nicht nehmen, ihm am Hafen zum Abschied deine Umarmung, deinen Kuss zu gewähren. So stand nun der Caesar, von erhöhtem Ort dem Freund nachschauend, stand da und erbat für den Scheidenden glückliche Meerfahrt und rasche Rückkehr - doch dies nur für den Fall, dass er selbst zurückkehren wolle; und er konnte nicht anders, er musste dem Entschwindenden unter Tränen wieder und wieder seine Wünsche nachsenden. (Plinius, Panegyrikus, 86,3-4, nach Werner Kühn)
Die Prätorianer unter ihrem Präfekten Claudius Livianus begleiteten den Kaiser in die Dakerkriege. Livianus ist vermutlich auf der Trajanssäule im Umfeld des Kaisers abgebildet. Er und Licinius Sura verhandelten mit den Dakern um Frieden, aber es kam zu keiner Einigung. Livianus war auch ein Freund Hadrians und eventuell noch im Partherkrieg im Stab Trajans, wenn auch nicht mehr als praefectus praetorio. Dieses Amt hatte zu jener Zeit Acilius Attianus neben Sulpicius Similis inne. Attianus war ein enger Freund Trajans und Hadrians, stammte vermutlich aus der Baetica und war zusammen mit Trajan Hadrians Vormund gewesen. In den letzten Tagen des "Optimus princeps" war er in dessen Nähe und sorgte dafür, dass die Herrschaft planmäßig auf Hadrian überging.
Literatur:
Hans Dieter Stöver: "Die Prätorianer; Kaisermacher - Kaisermörder", Langen Müller, München 1984, ISBN 3-7844-2519-4
Annette Nünnerich-Asmus: "Traian", Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2002, darin: Werner Eck: Traian - der Weg zum Kaisertum, ISBN 3-8053-2780-3
Yann Le Bohec: "Die römische Armee", Franz Steiner Verlag Stuttgart, 1993, ISBN 3-515-06300-5
Sonntag, 8. Oktober 2017
Trajan in Germanien (2)
Colonia Claudia Ara Agrippinensis (Köln)
Wie ich in meinem ersten Beitrag hier schrieb, bin ich in der DDR aufgewachsen. Reisen zu römischen Ruinen kamen für mich eher nicht in Frage. Ich dachte nicht einmal im Traum daran, irgendwann Rom zu sehen - oder gar Italica. Aber die Reisemöglichkeiten zwischen Ost und West lockerten sich bereits vor der Wende. Zweimal durfte ich meine Großmutter in Baden-Württemberg besuchen. Dort sah ich im Limesmuseum Aalen zum ersten Mal echte römische Hinterlassenschaften. Das Museum war faszinierend. Obwohl ich es mir vorgenommen hatte, noch einmal hinzufahren, ist bisher leider nichts daraus geworden.
Während meines zweiten Aufenthaltes in der Bundesrepublik ermöglichte mir meine Großmutter eine Reise nach Köln. Colonia Claudia Ara Agrippinensis war das Zentrum der Provinz Germania inferior. Im Unterschied zu Mogontiacum (Mainz) war es bereits zur Römerzeit eine Stadt mit repräsentativen Bauten, unter anderem einem Prätorium, Verwaltungsgebäude und Amtssitz des Statthalters. Das Prätorium zog mich magisch an. Dort weilte Trajan, als er Mitregent Nervas wurde, und dort hielt er sich auf, als die Kunde vom Tod Nervas eintraf. Colonia Claudia Ara Agrippinensis, kurz CCAA, war nicht irgendeine Station im Leben Trajans, sondern eine besondere: dort begann seine Herrschaft über das römische Imperium.
Die Reise in den Westen, es muss um 1988 gewesen sein, war an sich schon ein Ereignis für mich. Dazu kam die Fahrt mit einem Intercity von Süden nach Norden. Ich hatte keine Ahnung, was mich als DDR-Bürgerin aus dem "Tal der Ahnungslosen" in Köln erwartete. Der Lärm, die Geschäftigkeit und die Menschenmassen im Stadtzentrum überwältigten mich. Zum ersten Mal sah ich Bettler. Das Elend inmitten einer Großstadt schockierte mich. Ich habe es dort nicht lange ausgehalten und war abends völlig überreizt von den Eindrücken. Zum Glück wohnte ich bei meiner Großtante in Mönchengladbach, deren Andenken ich ebenso in Ehren halte wie das meiner Oma.
Die Suche nach dem Prätorium führte mich ins Rathaus. Natürlich hatte ich Rudolf Pörtners "Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit" gelesen und daher meine Vorstellungen, wie man in den ehemaligen Statthalterpalast gelangt - nämlich direkt mit einen Fahrstuhl im Rathaus. Als mir ein Security-Mann entgegen kam, erschrak ich ein bisschen, nahm mich aber zusammen und fragte nach dem Prätorium. Zu meiner Verwunderung wusste der Uniformierte, was ich meinte, und beschrieb mir den Weg zum Museum. Es war ganz in der Nähe, aber ohne die Beschreibung hätte ich den eher unscheinbaren Eingang in der Kleinen Budengasse wohl nicht gefunden.
Das Museum fand ich etwas schaurig, zumal ich die einzige Besucherin war und an der Kasse zwei seltsame Typen saßen. Dennoch ließ ich mir Zeit, ging langsam zwischen den gewaltigen Mauerresten entlang und dachte an die weit entfernte Vergangenheit. Die meisten Überreste stammen aus der Spätantike, aber auch Mauern aus der Zeit, die mich speziell interessiert, sind erhalten.
Anschließend sah ich mir das Römisch-Germanische Museum sowie andere sichtbare Zeugnisse aus der Römerzeit an. Ich weiß noch genau, wie ich am Römerbrunnen stand, der aber nicht zur Römerzeit erbaut wurde, sondern 1915. Natürlich verspürte ich den Wunsch, wieder einmal nach Köln zu reisen, aber ich machte mir keine allzu großen Hoffnungen, dass es noch mal klappen könnte. Sicherheitshalber warf ich eine Münze in den Brunnen, sowas soll ja helfen.
Trajan kannte die CCAA möglicherweise schon von einem früheren Aufenthalt in Germanien, den Plinius im Panegyrikus andeutet. Vielleicht besuchte er auch Vetera am Niederrhein. Zumindest war ihm die Bedeutung des Ortes bekannt, denn er gründete dort eine Stadt, die seinen Namen trug: Colonia Ulpia Trajana beim heutigen Xanten. Der dortige archäologische Park ist unbedingt einen Besuch wert.
Ich bin noch einige Male in Köln gewesen. Das Prätorium-Museum ist heute besser beleuchtet und insgesamt einladender als damals Ende der Achtziger. Der Zufall wollte es, dass wir kürzlich auf der Rückreise von Wien nach Dresden einen Aufenthalt in Köln hatten, der für einen kurzen Bummel und Besuch des Prätoriums reichte. Wer sich für römische Geschichte interessiert, sollte es gesehen haben.
Von Niedergermanien aus zog der Kaiser am Limes entlang Richtung Donaugrenze. Er widmete sich den Provinzen und dem Heer, ehe er im Herbst 99 nach Rom kam.
Literatur:
Rudolf Pörtner: Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit, Econ-Verlag Düsseldorf 1961
Helmut Signon: Die Römer in Köln, Societäts-Verlag Frankfurt, 1970, ISBN 3 7973 0196
Sonntag, 1. Oktober 2017
Trajan in Germanien (1)
Mogontiacum (Mainz)
Plinius erwähnt in seinem Panegyrikus auf Kaiser Trajan, dieser sei in seiner Jugend zehn Jahre lang Tribun von Legionen gewesen. Es ist möglich, dass Plinius übertrieben hat, denn ein solch langer Militärdienst ist ungewöhnlich für einen jungen Senator und Patriziersohn.
Marcus Ulpius Trajanus kann im Zeitraum 73/74 bis 77 unter seinem Vater in Syrien gedient haben. Als senatorischer Tribun konnte er erste militärische Erfahrungen sammeln. Die Verantwortung trugen der Legionslegat (Senator), der Lagerpräfekt (Ritter) und die ritterlichen Tribunen, die den Senatorensohn einarbeiteten, wenn nötig, bis dieser in der Lage war, den Legaten zu vertreten. Anschließend könnte der spätere Kaiser Tribun in Germanien gewesen sein. In den siebziger Jahren wurden rechtsseitige Gebiete erobert und durch Kastelle gesichert. Geleitet wurden diese Operationen vom Legaten Obergermaniens, Pinarius Clemens. Möglicherweise hat Trajan unter diesem Mann gedient und war an dessen administrativen Maßnahmen beteiligt.
Um diese Zeit erhielt das Legionslager in Mainz eine Steinmauer und Steinbauten, darunter auch größere repräsentativen Charakters. Eine feste Rheinbrücke auf Steinpfeilern und ein Aquädukt wurden gebaut. Eine neue Straße verband die Rheingrenze mit der Donaugrenze und ermöglichte schnellere Truppenbewegungen. Kaiser Domitian schließlich richtete die beiden Provinzen Germania superior und Germania inferior ein. Mogontiacum war militärisches und administratives Zentrum von Germania superior, jedoch keine Stadt. Zu jener Zeit dominierte das Doppellegionslager auf dem Kästrich, umgeben von mehreren Canabae, Lagerdörfern. Die Siedlung zwischen Legionslager und Rhein, aus der die heutige Stadt Mainz hervorging, kann unter den Flaviern entstanden sein. Im heutigen Mainz Weisenau befand sich ein Hilfstruppenlager, in dem zeitweise wahrscheinlich auch Legionäre untergebracht waren. Auch der Brückenkopf auf der rechten Rheinseite wurde durch ein Kastell gesichert. Vermutlich gab es seit dieser Zeit auch einen Statthalterpalast (Prätorium) in Mogontiacum. Aber weder über seine Lage, noch seine Ausmaße und sein Aussehen ist etwas bekannt. Leider wurde das Legionslager komplett abgerissen, so dass nur noch Straßennamen auf dem Kästrich daran erinnern.
Im Winter 88/89 empörte sich der Statthalter Obergermaniens, Antonius Saturninus, gegen Domitian. Unter denen, die gegen den Usurpator zogen, war auch Trajan. Er führte die Legion VII Gemina aus ihrem spanischen Standort Legio (Leon) nach Germanien. Als er dort eintraf, war der Aufstand bereits unterdrückt; die niedergermanischen Legionen hatten Saturninus besiegt.
Als Kaiser Nerva im Jahr 97 Trajan adoptierte und zum Mitregenten erhob, befand sich dieser als Statthalter in Mogontiacum. Er verfügte über ein Heer: die obergermanischen Legionen und Hilfstruppen sowie die der Nachbarprovinzen, welche von seinen engen Freunden kontrolliert wurden. Als Nerva starb und Trajan Kaiser wurde, blieb er noch einige Zeit in Germanien, um die Entwicklung im Rom abzuwarten, das Heer für sich zu gewinnen sowie durch Bauten und Städtegründungen an die Maßnahmen in flavischer Zeit anzuknüpfen. Dann zog der Kaiser weiter an die Donau, ehe er sich nach Rom begab.
Im Jahr 2004 bin ich mit meiner Familie erstmals in Mainz gewesen. Beim Stadtbummel sahen wir nacheinander die wichtigsten Hinterlassenschaften aus römischer Zeit: das Theater am ehemaligen Südbahnhof, den Drususstein in der Zitadelle, das Isis- und Magna Mater-Heiligtum in der Römerpassage, die Jupitersäule, den Dativius-Victor-Bogen und das Museum für antike Schifffahrt in der Nähe des Theaters. Sehenswert ist unbedingt auch das Römisch-Germanische Zentralmuseum.
Einzig sichtbare Reste aus der Römerzeit auf dem Kästrich sind der Teil eines spätrömischen Tores und etwas Straßenbelag der Via Prätoria. Dennoch ist es ein geschichtsträchtiger Ort, der berührt. Wer von dort Richtung Taunus schaut, kann sich vielleicht vorstellen, wie das Legionslager die Gegend prägte. Die Zivilbevölkerung, die von und mit der Armee lebte, profitierte vom Ausbau der Provinz, litt aber auch unter Unruhen wie dem Saturninus-Aufstand. Wurde das Heer neu organisiert wie nach dem Bürgerkrieg im Vierkaiserjahr, hatte auch das erhebliche Auswirkungen auf das Leben in den Canabae.
Trajan hielt sich nachweislich mehr als einmal in Mogontiacum auf und kannte die germanischen Provinzen aus eigener Anschauung. Tribun, Legionslegat, Statthalter, Kaiser - eine beachtliche Entwicklung! Man kann sagen, dass die Aufenthalte in Germanien wichtige Stationen im Leben dieses Mannes waren.
Literatur:
Hans Jacobi: Mogontiacum, Das römische Mainz, Regio Verlag Mainz 1996, ISBN 3-00-001115-3
Egon Schallmayer: Traian in Germanien, Traian im Reich, darin: Traian in Obergermanien und die Folgen, Saalburg-Schriften 5, 1999, Saalburgmuseum Bad Homburg; ISBN 3-931267-04-0
Samstag, 23. September 2017
Auf den Bergen der Götter
Ein römischer Kaiser, der seine Regierungsverpflichtungen ernst nahm, war ein vielbeschäftigter Mann. Mich beeindruckt die Anmerkung des Kaiserbiografen Sueton (Zeitgenosse Trajans und Hadrians), dass Augustus passende Kleidung und Schuhe in seinem Schlafzimmer bereit hielt für den Fall, dass man ihn nachts stören musste. (Sueton: "Augustus", 73 ; Ausgabe der Langenscheidtschen Bibliothek, 1855-1905). Aber auch der dienstliche Briefwechsel des Plinius mit Trajan ist ein Beispiel dafür, mit welchen Problemen bis hin zu Detailfragen der Herrscher jenes Weltreiches konfrontiert wurde.
Wann und wie erholte sich der Kaiser? In den Sommermonaten verließen die reichen Römer die Stadt und weilten auf ihren Landgütern, vorzugsweise am Meer. In Brief 31 des Buches VI seiner Briefsammlung berichtet Plinius der Jüngere, dass Trajan auf seinem Landsitz in Centumcellae (Civitavecchia) auch arbeitete: er hielt mit seinen Beratern Gerichtsverhandlungen ab. Plinius, stolz darauf, dabei gewesen zu sein, berichtet von den Fällen, die der Kaiser zu entscheiden hatte, und auch von der anschließenden Freizeit. Im antiken Rom begann man bereits am Nachmittag mit der Hauptmahlzeit (cena), die sich oft über mehrere Stunden hinzog und von Unterhaltung unterbrochen wurde: man hörte Vorleser, Musik oder diskutierte und plauderte miteinander. Die Tafel Trajans war nicht übermäßig luxuriös, aber er war kein Kostverächter.
Es verwundert nicht, dass Kaiser Trajan sich für die Jagd begeisterte, einen typisch aristokratischen Freizeitsport. Plinius rühmt ihn dafür, dass er das Wild gern in der Natur aufstöberte: "Denn Entspannung findest du nur dann, wenn du die Wälder durchstreifst, das Wild aus seinen Schlupfwinkeln aufscheuchst, mächtige Bergrücken übersteigst und deinen Fuß auf starrende Felsen setzest, ohne dass ein Helfer dir seine Hand reicht oder den Weg bahnt; und dazwischen suchst du noch frommen Sinnes heilige Haine auf und nahst dich ihren Göttern". (Panegyrikus, 81).
In Trajan steckte, dessen bin ich mir sicher, auch ein Abenteurer. Im Jahr 114 bestieg er den Kasiosberg bei Antiochia, immerhin über 1.700 Meter hoch, um dem Zeus Beutestücke aus den Dakerkriegen zu weihen. Der Berg galt schon früher als heilig, als Wohnsitz des Wettergottes Baal Zaphon. Er erhebt sich in der Nähe der Küste und diente den Seefahrern als Orientierung. Der Zeus Kasios war auch Schutzgott der Seeleute. Hadrian hat Trajan sicher begleitet, zumal er Verse über das Ereignis verfasste. Später, während einer seiner Reisen, bestieg er den Kasios noch einmal und wollte eine Nacht auf dem Gipfel bleiben, musste sich aber der Überlieferung nach vor einem aufziehenden Gewitter in Sicherheit bringen. Auch den Ätna hat er bestiegen. Ich betone auch an dieser Stelle: Hadrian war Trajans Ziehsohn.
Kaiser Trajan durchstreifte nicht nur die Wälder und stieg auf Berge, er fuhr auch gern zur See: "Wenn er zuweilen Lust verspürt, seine körperliche Kraft auch zur See zu beweisen, dann verfolgt er keineswegs nur mit Blicken oder Gesten das Flattern der Segel, sondern bald sitzt er selbst am Steuer, bald, im Wettstreit mit den kräftigsten Leuten aus der Mannschaft, zerteilt er die Fluten, meistert die widerstrebenden Winde und rudert kraftvoll gegen die Strömung" (Panegyrikus, 80,4). Hiermit ging Trajan über die übliche Körperertüchtigung der Oberschicht hinaus. Man darf nicht vergessen, dass die Seefahrt damals gefährlich war: das Mittelmeer ist voller antiker Schiffswracks.
Als der Kaiser im Jahr 116 mit einer Flotte den Tigris hinab fuhr und den Persischen Golf erreichte, verlangte er, aufs Meer hinaus zu fahren. Beim Anblick eines Schiffes, das nach Indien segelte, beklagte er sein Alter, das ihn hindere, weiter vorzudringen - so der Geschichtsschreiber Cassius Dio. Fühlte Trajan sich wirklich als zweiter Alexander? Er war sich seines Alters bewusst, hat es vermutlich deutlicher als zuvor gespürt. Aber er hat seiner Sehnsucht Ausdruck verliehen. Sein Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn waren, meine ich, überdurchschnittlich ausgeprägt. Aufschlussreich sind die Plinius-Briefe 41 und 42 des Buches X. Plinius beginnt mit schmeichelhaften Worten und stellt dem Herrscher Ruhm und Unsterblichkeit in Aussicht. Dann schlägt er ihm ein Kanalbau-Projekt vor, um einen See bei Nicomedia mit dem Golf von Izmir zu verbinden. Der Kaiser soll einen Architekten aus Rom schicken. Trajan antwortet knapp und sachlich: Es könne ihn schon reizen, den See mit dem Meer zu verbinden. Aber es müssten unbedingt gründliche Untersuchungen durchgeführt werden … Die Zusage, einen Experten zu schicken, nahm er später zurück.
Die Zeit der großen Eroberungen war vorbei. Erst Hadrian hat das in vollem Umfang erkannt. Wenn ein so öffentlicher Mensch wie Trajan privaten Sehnsüchten nachgab, wurde er angreifbar. Aber jene persönlichen Nachrichten über ihn sind es, die berühren. Er war weder Gott noch Halbgott, sondern ein Mensch mit Stärken und Schwächen.
Literatur:
Plinius der Jüngere, Panegyrikus, herausgegeben und übersetzt von Werner Kühn, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1985, ISBN 3-534-09220-1
Plinius der Jüngere, Briefe, Philipp Reclam jun., Stuttgart, ISBN 3-15-059706-4
Cassius Dio, Epitome of Book 68
Montag, 18. September 2017
18.09.17: Vor 1.964 Jahren wurde Kaiser Trajan geboren
Kaiser Trajan wurde am 18.September 53 geboren. Wahrscheinlich war er der erstgeborene Sohn seines Vaters, weil er wie dieser den Vornamen Marcus trug. Doch wir wissen nur von seiner (vermutlich) älteren Schwester Marciana und keinen weiteren Geschwistern. Die Kindersterblichkeit war damals hoch. Der Vater befand sich bei der Geburt eines Kindes nicht im Raum. Der Säugling wurde ihm erst in den Arm gelegt, nachdem er versorgt; d.h. gebadet und eingewickelt war, vermutlich auch gestillt.
Am neunten Tag nach der Geburt bekam ein Sohn seinen Namen (eine Tochter am achten Tag). Zu diesem Zeitpunkt war meist der Rest der Nabelschnur abgefallen. An jenem Tag wurde das Kind rituell gewaschen und es gab ein Fest zum Namenstag, zu dem Verwandte eingeladen wurden, die dem Kind Spielzeug und Amulette als Geschenk mitbrachten. In Rom und Ägypten musste die Geburt eines Kindes amtlich gemeldet werden; seit Marc Aurel galt dies für alle Provinzen und alle gesellschaftlichen Schichten. Innerhalb von 30 Tagen musste der Vater die Geburtsurkunde ausstellen lassen, deren Original bei der Behörde verblieb; die Familie erhielt eine Kopie. Das Kind hatte zur Geburt ein Amulett, die Bulla, erhalten, die es bis zum Erwachsenenalter trug. Jener Zeitpunkt des Übergangs war beim Jungen das Anlegen der Männertoga im Alter von 15-17 Jahren, beim Mädchen die Hochzeit, die bereits früher erfolgen konnte.
Den Geburtstag begann man mit einem unblutigen Opfer am Hausaltar, zu dem Kerzen, Öllampe und auch Weihrauch entzündet wurden. Die Männer dankten ihrem persönlichen Schutzgott (Genius) für die vergangenen Lebensjahre und verknüpften damit die Hoffnung auf möglichst viele weitere Geburtstage bei guter Gesundheit. Die Frauen opferten und dankten ihrer Juno. Zur Feier des Tages trug das Geburtstagskind weiße Kleidung. Familienangehörige, Freunde und auch Klienten fanden sich ein, um zu gratulieren und Geschenke zu überreichen. Auch schriftliche Glückwünsche trafen ein. Dann gab es ein Fest, zu dem Angehörige und Freunde eingeladen wurden. Dieses Fest fiel bei vornehmen, reichen Römern aufwändiger aus als bei einfachen Leuten. Ein Geburtstagskuchen gehörte immer dazu.
Der Geburtstag eines Kaisers war staatlicher Feiertag, der öffentlich begangen wurde. Der Herrscher zeigte sich dem Volk gegenüber großzügig, gab (Lebensmittel-) Spenden und Gladiatorenkämpfe. Die Soldaten vollzogen Gelübde. Der Empfang der Gratulanten und Glückwünsche war aufwändig, denn dass viele Besucher kamen, ergibt sich aus der einmaligen Stellung des Princeps. Schreiben erreichten ihn nicht nur aus Rom und Italien, sondern auch aus den Provinzen. Plinius schrieb Trajan, dass er am 17. September als Statthalter in Bithynien ankam und dies als gutes Omen betrachtete, weil er seinen Geburtstag bereits dort feiern konnte. (Plin., Briefe, X, 17a). Ein weiteres Glückwunschschreiben aus Bithynien an den Herrscher ist überliefert:
"Ich wünsche, o Herr, Du mögest diesen Geburtstag und noch möglichst viele weitere recht glücklich verleben und den in ewiger Verherrlichung blühenden Ruhm deiner Tugenden gesund und schaffensfroh durch immer neue Taten mehren".
Es gibt auch ein Antwortschreiben aus Rom, vermutlich eine Art Serienbrief aus der Kanzlei:
"Ich nehme deine Glückwünsche gern entgegen, mein lieber Secundus, in denen Du den Wunsch aussprichst, dass ich noch möglichst viele und recht glückliche Geburtstage verleben möchte, während unser Staatswesen in Blüte steht." (Plinius der Jüngere, Briefe, X, 88 und 89)
Kaiser Trajan wurde 64 Jahre alt. Die meisten Römer starben zwischen dem 20.-30. Lebensjahr. Ein relativ hohes Alter erreichten nur Angehörige der Oberschicht.
An den Geburtstag des "Optimus Princeps" denke ich jedes Jahr, wenn auch manchmal erst spät am Abend. Da mein Sohn Lucas am 17. September Geburtstag hat, kann ich mir den Termin relativ gut merken. In solchen Momenten bin ich besonders dankbar für die Bekanntschaft mit jener Geschichtsepoche, die mich noch immer fasziniert.
Literatur:
Karl-Wilhelm Weeber: Alltag im Alten Rom, Das Leben in der Stadt, Patmos Verlag, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-69042-0
Plinius der Jüngere, Briefe, Philipp Reclam jun., Stuttgart, ISBN 3-15-059706-4
Sonntag, 10. September 2017
Feldherren lebten gefährlich (3)
Zu den bedeutendsten Feldherren Trajans zählte C. Julius Quadratus Bassus. Er wurde vielleicht um 68 geboren und war somit 14-15 Jahre jünger als der Kaiser. Er stammte aus Pergamon und war ein entfernter Abkömmling der galatischen Könige. Wahrscheinlich war er Sohn des C. Julius Bassus, Prokonsul von Pontus-Bithynien, den Plinius der Jüngere in seiner Briefsammlung erwähnt (IV, 9). Trajan war mehreren Adligen aus der Provinz Asia freundschaftlich verbunden. Diese Beziehungen reichten vermutlich schon in die Zeit zurück, als sein Vater Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre als Prokonsul diese Provinz verwaltete. Der spätere Kaiser kann dort unter seinem Vater als Legionslegat gedient haben.
Als Militärtribun wird Julius Bassus an den Donaukriegen Domitians teilgenommen haben. Danach trat er in die zivile Ämterlaufbahn ein. Im Jahr 98, Trajan war gerade Kaiser geworden, wurde Julius Bassus Prätor. 101-102 befehligte er Abordnungen aus den Legionen des Ostens im ersten Dakerkrieg. Damals muss er sich bewährt und das Vertrauen des Kaisers gewonnen haben. Von 103-104 war er Statthalter der Provinz Judäa. Im Jahr 105 wurde Julius Bassus Konsul. Entweder bekleidete er dieses Amt in Abwesenheit von Rom, oder er folgte unmittelbar danach dem Kaiser als Comes (Begleiter, Feldherr und enger Berater) in den zweiten Dakerkrieg. Er befehligte ganze Heeresverbände und wurde für seine Verdienste mit den Triumphalabzeichen ausgezeichnet.
Selbstverständlich kam Julius Bassus auch bei den Kämpfen im Osten zum Einsatz; zunächst bei der Eroberung Armeniens, wo er eine Heeresabteilung erfolgreich führte, denn er wurde wiederum ausgezeichnet. Von 115-117 war er Statthalter von Syria und somit in einer Schlüsselposition für die Organisation des römischen Vorstoßes nach Mesopotamien, den der Kaiser selbst leitete.
Aber das Imperium war an seine Belastungsgrenze gekommen. Zu den Aufständen in Mesopotamien kam ein Judenaufstand. Die Donautruppen hatten Einheiten an die geschwächte Partherfront entsenden müssen und waren selbst kaum noch Herren der Lage. Daker und Sarmaten bedrohten die römischen Provinzen. In dieser kritischen Situation wurde Julius Bassus als Statthalter in die Provinz Dacia geschickt. Er als bewährter Feldherr mit Erfahrungen an den beiden militärischen Brennpunkten jener Zeit muss der richtige Mann zur Bewältigung der Krise gewesen sein. Aber er fiel in den Kämpfen mit Dakern und Sarmaten, kurz nachdem Hadrian die Herrschaft übernommen hatte. Der Leichnam des Julius Bassus wurde mit militärischen Ehren nach Pergamon überführt und dort feierlich bestattet. Die Kosten für sein Grabmal übernahm Hadrian.
Im Berliner Pergamonmuseum kann man sich von der engen Beziehung Kaiser Trajans zu dieser Stadt überzeugen. Während der Blütezeit des Imperiums kam es zu umfangreichen Bauten in Pergamon, unter anderem zu einem dem Kaiserkult geweihten Tempel. Im Museum sind zwei Bildnisse Trajans ausgestellt: ein Kolossalporträt und eine Sitzstatue.
Literatur:
Helmut Halfmann: Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. N. Chr., Vandenhoeck und Rupprecht, Göttingen, 1979, ISBN 3-525-25154-8
Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans, Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn, 1984, ISBN 3-7749-2021-4
Sonntag, 3. September 2017
Feldherren lebten gefährlich (2)
Die erfolgreichen römischen Kaiser bemühten sich um ein gutes Verhältnis zu ihren Soldaten. Der Titel Imperator besagt es: Der Caesar war immer auch oberster Feldherr. Viele Kaiser haben militärische Operationen selbst geleitet, so Domitian und insbesondere auch Trajan. Die römische Armee war zu jener Zeit bis ins Kleinste durchorganisiert und wenn der Herrscher in den Krieg zog, war er nicht nur von Truppen und seinem Stab umgeben. Auch ein Großteil des Hofes begleitete ihn. Das Reich musste weiterhin regiert werden; er empfing Gesandte und Post aus dem gesamten Imperium im Feld und hielt dort Gericht.
Er hatte aber auch die Möglichkeit, sein Verhältnis zu den Truppen auf eine vertrauliche Basis zu stellen. Von Trajan und Hadrian ist bekannt, dass sie sich an täglichen Waffenübungen beteiligten, weite Strecken mit ihren Truppen zu Fuß zurücklegten und die Flüsse durchwateten. Trajan nannte die Soldaten seine Kameraden. Er gab ihnen das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Ebenso behandelte er die Senatoren und das Volk. Er muss dabei authentisch gewirkt haben. Wenn sich jemand vordergründig anbiedert und innerlich ein Snob ist, funktioniert das nicht. Ich bin der Überzeugung, Trajan war für diese Rolle geradezu prädestiniert.
Das Reliefband der Trajanssäule in Rom ist in vieler Hinsicht aufschlussreich. Es versteht sich, dass es keine realistische Darstellung der Ereignisse sein kann. Die Szenen sind bewusst ausgewählt und entsprechen dem Selbstverständnis Roms und des Kaisers. Wertvoll sind viele Details über die Kriegstechnik, die Ausrüstung der Truppen auf beiden Seiten und der Eindruck, den man vom Verlauf der Kampfhandlungen gewinnt. Man sieht den Kaiser inmitten seiner engsten Berater. Sie sind identisch gekleidet und ähneln sich auch äußerlich. Nur aus seiner Position innerhalb der jeweiligen Szene heraus erkennt man Trajan. Man sieht ihn bei Ansprachen an die Truppen, beim Empfang von Gesandten; er zeichnet Soldaten aus und beobachtet von einer Anhöhe aus den Verlauf von Schlachten. Immer wieder vollzieht er als oberster Priester die traditionellen Opfer inmitten der Zivilbevölkerung oder des Heeres. Er reitet oder ist zu Fuß unterwegs, von seinen Offizieren und der Garde umgeben.
Cassius Dio berichtet vom Versuch eines Attentats auf den Kaiser zu Beginn des zweiten Dakerkrieges. Der dakische König Decebalus griff in seiner Verzweiflung auch zu dieser Möglichkeit, um sein Reich vor der Annexion zu retten. Trajan ließ zu seinem Kriegsrat jeden zu, der es wünschte. Die Attentäter, römische Überläufer, gesandt von Decebal, um den Imperator zu ermorden, benahmen sich verdächtig, wurden ergriffen und verrieten unter Folter den Plan. Was erhoffte sich der König von einem erfolgreichen Attentat? Die Verwirrung auf römischer Seite, Auseinandersetzungen miteinander konkurrierender Thronanwärter hätten den Dakern auf jeden Fall eine Atempause verschafft, möglicherweise den Krieg vorzeitig beendet. Hatte Trajan für einen solchen Fall vorgesorgt? Die Situation im Jahre 117 lässt Zweifel daran aufkommen, aber: Wir wissen darüber nichts.
Gegen Ende des Partherkrieges spielte sich eine Szene ab, in der Trajan und seine Garde unter feindlichen Beschuss gerieten. Die Wüstenstadt Hatra trotzte seiner Reiterei, die sie im Sturm einnehmen wollte. Der Kaiser hatte alle Abzeichen eines Feldherrn abgelegt, als er um die Mauern ritt, aber die Feinde erkannten ihn an seinen weißen Haaren und der Würde seines Gesichts. Einer der Gardereiter (Equites Singulares Augusti) wurde getötet. So gut bewacht der römische Kaiser auch war: Persönliche Fitness und regelmäßiges Waffentraining waren durchaus sinnvoll und keineswegs reine Kraftmeierei fürs Image.
Quellen:
Cassius Dio: Epitome of Book 68
"Die Traianssäule", Kupferstiche aus dem Jahre 1667 von Pietro Santi Bartoli, Verlag Ernst Dzur, Voorburg 1941
Sonntag, 27. August 2017
Feldherren lebten gefährlich (1)
Die Geschichte des römischen Imperiums kennt mehrere Beispiele dafür, dass auch hohe Offiziere im Krieg ums Leben kamen. Der vielleicht prominenteste Fall ist der des Quinctilius Varus, welcher sich angesichts der Niederlage gegen die Germanen selbst tötete.
Im Jahr 105, zu Beginn des zweiten Dakerkrieges, geriet der römische Befehlshaber Cnaeus Pinarius Aemilius Cicatricula Pompeius Longinus in dakische Gefangenschaft. Jener Mann, ein Konsular, der zuvor bereits Statthalter in Moesia Superior und Pannonia war, hatte ein bedeutendes militärisches Kommando inne. Das Geschichtswerk des Cassius Dio ist, was die Zeit Trajans angeht, nur in Auszügen überliefert. Die Episode um Longinus nimmt dabei vergleichsweise viel Raum ein. Es ist eine berührende Geschichte und möglicherweise wurde sie auch ein wenig ausgeschmückt. Der Mönch Xiphilinus, dem wir die Cassius-Dio-Excerpte verdanken, fand diese Textstelle offensichtlich auch spannend.
Der Dakerkönig Decebalus lud Longinus unter dem Vorwand, er würde alle römischen Forderungen erfüllen, zu Verhandlungen ein. Er befragte den römischen Feldherrn über Trajans Pläne, und als dieser sich weigerte, irgendetwas zu verraten, nahm er ihn gefangen, aber nicht in Fesseln mit sich. Er sandte einen Boten mit Forderungen an den Kaiser. Als Gegenleistung für die Freilassung von Longinus sollten sich die Römer hinter die Donau zurückziehen und Kriegsentschädigung zahlen. Trajan gab darauf eine ausweichende Antwort. Die Situation war schwierig: Der Kaiser wollte nicht, dass Longinus etwas zustieß, aber ebenso wenig wollte er auf die maßlosen Forderungen des dakischen Königs eingehen. Decebal zögerte ebenfalls. Longinus aber gelang es, sich Gift zu verschaffen. Er schickte einen Freigelassenen (ehemaligen Sklaven) mit einer Botschaft zu Trajan. Als dieser unterwegs war, nahm er das Gift und starb.
Decebal forderte den Freigelassenen von Trajan zurück. Als Gegenleistung bot er den Leichnam von Longinus und die Auslieferung von zehn Gefangenen. Er schickte einen Centurio, den er ebenfalls gefangen genommen hatte, zum Kaiser, um dies auszuhandeln. Jener Mann berichtete alles. Trajan lieferte aber weder den Freigelassenen, noch den Centurio an Decebal aus, weil er der Meinung war, deren Sicherheit wäre wichtiger für die Ehre Roms als ein Begräbnis für Longinus.
Auch mich berührt das Schicksal des Pompejus Longinus. Als neuzeitliche Individualistin empfinde ich Aufopferung und Heldentum als zutiefst sinnlos, aber mir ist klar, dass ein hoher Offizier im zweiten Jahrhundert andere Prinzipien hatte. Vom damaligen Standpunkt aus konnte Longinus kaum anders handeln, wollte er sein Gesicht wahren. Aber wer scheidet schon freiwillig aus dem Leben? Als Romanautorin, die sich der historischen Glaubwürdigkeit verpflichtet fühlt, möchte ich mich nicht zu weit von der Überlieferung entfernen. Ich kann nur ein wenig "gute Fee" spielen und Longinus kurz vor seinem Tod noch ein besonderes Geschenk machen. Er verliebt sich in eine junge Frau, die ihm unbewusst dabei hilft, das Gift zu bekommen.Eine besonders liebreizende Person habe ich erfunden, nur für Longinus und seine letzten Stunden. Und damit kamen neue Probleme auf mich zu. Denn er starb, und sie lebte weiter. Was sollte aus ihr werden? Das Verhältnis mit dem römischen Befehlshaber veränderte auch ihr Leben. Sie verließ die dakische Hauptstadt Sarmizegetusa und lief, wie viele Daker, zu den Römern über. Decebal und seine Getreuen wurden nach und nach isoliert.
Es ist überliefert, dass Licinius Sura und Claudius Livianus mit Decebals Bruder Diegis um Frieden verhandelten. Wenn sich die Lage zuspitzte, wurden solche Treffen gelegentlich missbraucht, um einer Seite Vorteile zu verschaffen, wie die Gefangennahme des Longinus zeigt. Aber auch ein Herrscher, der einen Feldzug leitete, musste damit rechnen, selbst in Gefahr zu geraten. Davon wird der nächste Beitrag berichten.
Literatur:
Cassius Dio, Epitome of Book 68
Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans, Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 1984, ISNB 3-7749-2021-4
Sonntag, 20. August 2017
Rezension zu "Wahn der Macht" von Gerd Trommer
"Wahn der Macht" ist 1987 in der DDR im prisma-Verlag erschienen. Mit dem Untertitel "kulturgeschichtlicher Roman um Trajan" wird das Werk spezifiziert. Cover, Abbildungen, Zeittafel, Begriffserklärungen, eine Übersicht über historische und erfundene Personen sowie eine Karte über die Ausdehnung des Römischen Reiches zu jener Zeit lassen keinen Zweifel daran, dass der Autor in seinem Roman Authentizität anstrebte.
Das Buch ist auch heute noch antiquarisch erhältlich, und ich kann es historisch interessierten Lesern guten Gewissens empfehlen. Es knüpft inhaltlich an "Triumph der Besiegten" an, einen Roman, der die Zeit Kaiser Domitians behandelt. Meine Erinnerung an den ersten Roman ist verblasst und er soll auch nicht Gegenstand dieses Textes sein.
"Wahn der Macht" beginnt mit der Krise in Rom nach der Ermordung Domitians. Kaiser Nerva gerät unter Druck mehrerer einflussreicher Personen, die ihm raten, einen Nachfolger zu bestimmen und ihn zum Mitregenten zu erheben. Mögliche Nachfolger sind Curiatius Maternus in Syrien und Ulpius Trajanus in Obergermanien. Der Gruppe um Licinius Sura gelingt es schließlich, ihren Kandidaten Trajan durchzusetzen, obwohl Nerva sich bereits für Maternus entschieden hatte. Trajan wird Nachfolger Nervas und betritt die weltpolitische Bühne, die er bald schon nach seinen Vorstellungen prägt. Hauptperson ist Marcus Soranus, Spross einer alten Familie, die der Senatsopposition unter den Flaviern angehörte. Als Bote von Sura nach Germanien geschickt, ist Marcus bald von Trajans Charisma eingenommen. Der Autor beschreibt den Kaiser als einen energischen Mann, der Menschen für sich gewinnt und auch durch seine äußere Erscheinung beeindruckt.
Sura, der "Kaisermacher", muss sich bald eingestehen, dass er Trajan nicht wie eine Marionette lenken kann und dieser schon bald seine eigene Politik macht. Als geborener Soldat rüstet er zum Krieg gegen den Dakerkönig Decebal. Bedenken seines Vaters gegenüber der Politik des neuen Kaisers lässt Marcus Soranus nicht zu. Auch sein Freund Fulvius Rusticus ist, obwohl bekennender Soldat, kein begeisterter Anhänger des neuen Herrschers.
Zwischen den Dakerkriegen beginnt Trajan, durch gewaltige Bauprojekte, vor allem sein neues Forum, Rom umzugestalten. Nur durch Gesten der Bescheidenheit und des Entgegenkommens unterscheidet er sich vom Tyrannen Domitian. Dass er Beschlüsse vom Senat bestätigen lässt, ist reine Formsache.
Zwischenzeitlich entfremden sich Sura und der Kaiser voneinander. Als Trajan eine Alexander-Biografie Plutarchs liest, verfällt er seinem Alexander-Traum, der sich bald zum Wahn steigert und dazu führt, dass er den Partherkrieg beginnt. Einer der Söhne des Soranus fällt in diesem Krieg. Der andere Sohn wirft dem Kaiser in seiner Verzweiflung das Schwert vor die Füße und kritisiert dessen Politik. Marcus bittet Trajan, das Leben seines Sohnes zu schonen, und bietet sein eigenes. Der Kaiser begnadigt beide, entlässt sie jedoch aus dem Heer. Es folgen die vergebliche Belagerung Hatras, die Erkrankung des Kaisers und dessen Ende als Pflegefall. Ein Vertrauter des Curiatius Maternus resümiert, dass Trajan ihm, seinem Konkurrenten, beweisen wollte, dass er die Macht zu Recht besaß.
Gerd Trommer hat die Quellen und den Stand der modernen Forschung in den Roman einfließen lassen. Seine Interpretationen der Fakten bewegen sich im Rahmen der Freiheiten, die einem Romanautor offen stehen. Es gefällt mir, dass gewisse Animositäten unter Persönlichkeiten, die in der Zukunft schwerwiegende Folgen haben würden, schon zu Beginn der Handlung deutlich werden, so zwischen Attianus und den vier Konsularen oder Hadrian und dem Architekten Apollodoros.
Auch diesem Roman merkt man an, dass dem Verfasser ein tieferes Verständnis für die römische Gesellschaft fehlt. Aus Unkenntnis heraus wurden einige Konstellationen geschaffen, die es so nicht geben konnte. Ein Ritter wie Acilius Attianus heiratete keine Prostituierte; dies war ihm sogar gesetzlich verboten. Eine solche Frau konnte bestenfalls seine Geliebte sein. Der Senat kann kein Gesetz erlassen haben, das die dynastische Erbfolge verbot. Auch Trajan vererbte die Macht schließlich dynastisch. Cornelia, fiktive Schwester des Publilius Celsus, heiratete Cornelius Palma, aber ihrem Namen nach hätte sie eher Palmas Schwester sein können. Als Senatorensohn wurde Marcus Soranus nicht ohne Rang in Trajans Heer aufgenommen und er hätte auch nicht die Grundausbildung eines gewöhnlichen Legionärs durchlaufen. Ein solcher Mann wurde Tribun. Ebenso wenig dienten die Söhne des Soranus bei den Hilfstruppen, den Reitern des Lusius Quietus. Marcus Ulpius Phaedimus, Mundschenk Trajans, war, wie sein Name verrät, freigelassener Sklave des Kaisers und nicht Sohn eines Centurios.
Aber die Ungereimtheiten halten sich in Grenzen. "Wahn der Macht" ist sowohl spannend und berührend erzählt als auch guter Geschichtsunterricht. Die wesentlichen Ereignisse werden historisch korrekt widergegeben. Mein Eindruck ist, dass der Roman nicht nur von der Epoche Trajans handelt, sondern auch etwas über die Zeit erzählt, in der er verfasst wurde. Die Enttäuschung über ein politisches System, das bei allem fortschrittlichen Anstrich doch starr war und von einer machtbesessenen Zentrale gelenkt wurde, mag in der DDR nach dem Sturz Walter Ulbrichts und der Machtergreifung Erich Honeckers geherrscht haben. Auch die Politikverdrossenheit vieler Menschen und ihr Rückzug ins Private passen eher in die DDR als ins erste bzw. zweite nachchristliche Jahrhundert. All das schadet dem Roman nicht. Vielmehr ist Gegenwartsbezug ein Qualitätsmerkmal. Trotz mancher Fehler im Detail zählt "Wahn der Macht" zu den besten historischen Romanen, die ich gelesen habe. Nach dem ersten Lesen hatte ich eine Schreib- und Sinnkrise. Es gibt einen guten Trajan-Roman, dachte ich damals, was will ich denn da noch schreiben. Ich musste das Buch noch mehrmals lesen, brauchte weitere Lektüre und zeitlichen Abstand, um meine Meinung zu ändern.
Gerd Trommer: "Wahn der Macht", prisma- Verlag DDR, Leipzig 1987, ISBN 3-7354-0018-3