Sonntag, 26. November 2017

Gladiatorenkämpfe

Mit den "Spielen", die, so ein weit verbreitetes Urteil, neben den Getreidespenden das waren, wonach das römische Volk lechzte und womit es von den Kaisern ruhig gestellt wurde, sind vor allem die Gladiatorenkämpfe gemeint, die als Massenunterhaltung im Amphitheater aufgeführt wurden. Fast jede Stadt verfügte über eine solche Arena, aber das Kolosseum war das größte jener Bauwerke.

Die Auseinandersetzung mit dieser Form der Unterhaltung gerät oft etwas einseitig. Mit dem Thema ist es wie mit vielen anderen auch. Ich gestatte mir hier eine Abschweifung in die Literatur. In seinem Roman "Bis ich dich finde" schildert John Irving die Erlebnisse der Hauptfigur einmal aus der Perspektive des Kindes, in der die Sicht der Mutter dominiert, und ein zweites Mal aus der Sicht des Erwachsenen, wo sich vieles ganz anders darstellt. Der veränderte Blickwinkel und die Details führen zu einer anderen, neuen Geschichte. Ich will damit nicht behaupten, eine Geschichte sei wahr und die andere falsch. Es gibt viele Wahrheiten.

Es ist ein Verdienst des Historikers Dr. Marcus Junkelmann, Themen aus der römischen Geschichte einem breiten Publikum nahe zu bringen und mit Liebe zum Detail Klischeevorstellungen auszuräumen. Sein Buch "Das Spiel mit dem Tod - so kämpften Roms Gladiatoren" möchte ich jedem ans Herz legen, der tiefer in das Thema eindringen will.

Ursprünglich fanden Gladiatorenkämpfe zu Leichenfeiern und Totengedenktagen statt, zunächst vorzugsweise auf dem Forum. In der Kaiserzeit waren die Spiele Geschenke des Herrschers an das Volk. Augustus regelte Ablauf und Organisation ebenso wie die Sitzordnung der Zuschauer. Trajan gab anlässlich des Sieges über die Daker dem Volk Spiele, die alle bisherigen übertrafen. Innerhalb von 123 Tagen kämpften 10.000 Gladiatoren in der Arena. Ausbildung, Ausrüstung, Verpflegung und Versorgung der Gladiatoren waren ein lukratives Geschäft von privaten Unternehmern, bei denen die Veranstalter der Spiele die Leistungen beauftragten und einkauften. In der Kaiserzeit kümmerten sich zunehmend die Herrscher darum.

Jene Kämpfe waren keinesfalls ein wildes gegenseitiges Abschlachten von Männern, die dazu gezwungen wurden. Die römische Gladiatur war ein Kampfsport mit oftmals tödlichem Ausgang, der genauen Regeln unterworfen war und von exzellent ausgebildeten und gut verpflegten Männern ausgeübt wurde. Zu jener Zeit waren die meisten Gladiatoren Freiwillige. Nicht alle starben in Ausübung ihres Berufes. Es geschah gar nicht so selten, dass die Fechter nach mehreren erfolgreich absolvierten Kämpfen ehrenvoll aus ihrem Beruf entlassen wurden. Und so manche Gladiatoren machten trotzdem weiter. Die erfolgreichen unter ihnen waren Publikumslieblinge, hatten zahlreiche Fans und Verehrerinnen. Im Amphitheater kochten die Emotionen hoch. Eindrücklich wurde das Kolosseum der Römerzeit im Hollywood-Film "Gladiator" zum Leben erweckt. Ich empfehle Peter Conollys Bildband "Die antike Stadt". In Rekonstruktionen wird deutlich, dass das heutige Wahrzeichen Roms nur noch ein Schatten des antiken Bauwerkes ist. Das Amphitheater war prachtvoll wie zweckmäßig, mit Stuck und Malerei verziert, ausgestattet mit Sonnensegeln, die ausgefahren werden konnten. Im Innern gab es ein komplexes System von Treppen und Korridoren, Hebebühnen und Falltüren. Zur Eröffnung des Kolosseums im Jahr 80 wurde die Arena geflutet, um eine Seeschlacht nachzustellen. Unklar ist, ob dies noch möglich war, als die Kellerräume ausgebaut wurden. Dort befanden sich die Bühnentechnik, Gefängnisse für die zum Tode Verurteilten, Käfige für wilde Tiere sowie ein unterirdischer Gang zum ludus magnus, der Gladiatorenkaserne.

Grausam muten vor allem die Hinrichtungen an, die in den Mittagspausen stattfanden. Straftäter wurden entweder zum Kampf Mann gegen Mann oder verschärft ad bestias verurteilt. Letztere wurden von wilden Tieren zerrissen. Dass sich die Bevölkerung daran ergötzte, sich gar über die Verurteilten lustig machten, erfüllt uns heute mit Unverständnis und Entsetzen. Ähnlich urteilten aber schon damalige Intellektuelle.

Der Kampf auf Leben und Tod in der Arena faszinierte die alten Römer. Tapferkeit, Mut, das Streben nach Ruhm und die Bereitschaft, den Tod im Kampf als Schicksal anzunehmen, galten als römische Tugenden. Somit entsprach die Begeisterung für die Spiele nicht nur dem Bedürfnis nach Zerstreuung, sondern dem römischen Verständnis von Ehre. Plinius der Jüngere berichtet im Panegyrikus: "Nun wurden der Schaulust Spiele geboten! Doch nicht solche mit erschlaffender Wirkung, geeignet, die Energien der Männer zu schwächen und zu brechen, sondern Spiele, die anspornten, ehrenvolle Wunden zu empfangen und den Tod zu verachten, weil man sogar an kämpfenden Sklaven und Verbrechern den Drang zum Ruhm und das Verlangen nach Sieg beobachten konnte. " (Panegyrikus, 33). Auch Angehörige der Oberschicht ließen sich in der Gladiatur ausbilden. Waffentraining zur Körperertüchtigung galt als ehrenhaft und gehörte zur Ausbildung junger Männer der Aristokratie. Traten Adlige oder gar der Kaiser öffentlich in der Arena auf, galt das als anstößig.

Wir müssen uns heute vergegenwärtigen, wie hart und entbehrungsreich das Leben für die Bevölkerung damals war. Essen und gelegentliche Höhepunkte im Alltag sind menschliche Grundbedürfnisse. Und man tut den alten Römern Unrecht, wenn man das Kolosseum nur als antike Hinrichtungsstätte betrachtet. Neben staatspolitischen und technischen Errungenschaften gehören auch die Spiele im Amphitheater zu jener Hochkultur, die wir nicht bis ins Letzte verstehen können. In einer Zeit, da Heerscharen von Spezialisten Horroreffekte produzieren, damit sich die Zuschauer an entsprechenden Bildern ergötzen, sollte man vorsichtig sein mit der Verurteilung antiker Grausamkeit. Voyeurismus beim Filmen von Pannen, Missgeschicken bis hin zu Unfällen und Katastrophen und Verbreiten solcher Bilder sind ebenfalls allzu menschlich.

Literatur:

Marcus Junkelmann: Das Spiel mit dem Tod, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2563-0

Peter Conolly: "Die antike Stadt", Könemann Verlagsgesellschaft Köln 1998, ISBN 3-8290-1104-0

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