Sonntag, 28. Mai 2017

Plinius der Jüngere

Würde man mich fragen, welche historische Persönlichkeit ich gern kennengelernt hätte, dann wäre meine Antwort: C(aius). Plinius Caecilius Secundus.

Im Jahre 79 ereignete sich eine Naturkatastrophe im Golf von Neapel. Der Vesuv brach aus und verschüttete mehrere Städte, unter denen Pompeji die Bekannteste ist. Der Untergang von Pompeji war immer wieder Thema von neuzeitlichen Romanen und Filmen. Wir wissen von jener Katastrophe relativ viel. Unsere Informationen verdanken wir Plinius dem Jüngeren. Er hat die Ereignisse miterlebt und uns einen Augenzeugenbericht hinterlassen. Über die Regierungszeit Trajans und Persönlichkeiten jener Zeit ist vergleichsweise wenig bekannt, aber gäbe es die Briefe des Plinius nicht, wäre unser Wissen noch geringer. So unterschiedlich die Themen sind: Ich finde sie durchweg interessant. Den Verfasser halte ich nicht nur für einen gebildeten, sondern auch für einen angenehmen, liebenswürdigen Menschen.

Die Briefe über den Vesuvausbruch waren an einen berühmten Mann gerichtet, den Geschichtsschreiber Tacitus. Plinius erzählt davon, wie sein Onkel Plinius der Ältere, Kommandant der im Golf von Neapel stationierten Flotte, zunächst aus wissenschaftlichem Interesse den Vesuv ansteuerte, über dem sich eine riesige Wolke gebildet hatte. Als er von einer Bekannten, die am Fuße des Berges wohnte, um Hilfe gebeten wurde, entschloss er sich zu einer Rettungsfahrt, von der er nicht lebend zurückkehren sollte.

Plinius der Ältere und andere einflussreiche Männer halfen dem jüngeren Plinius bei seiner Karriere. Er absolvierte zügig die obligatorischen Ämter auf dem Weg zu den höchsten des Staates. Er verwaltete die Militärkasse Kaiser Domitians, später die Staatskasse und qualifizierte sich so zum Finanzfachmann. Als Anwalt stand er mehreren Persönlichkeiten seiner Zeit zur Seite. Im Jahr 100 erlangte er das höchste Amt, das einem Senator offen stand, den Konsulat. Zum Dank dafür hielt er eine Lobrede an den Kaiser Trajan, die in intensiv aufbereiteter Form überliefert ist. Der „Panegyrikus“ ist, genau wie die Briefsammlung des Plinius, eine bedeutende Quelle zur damaligen Zeit.

Plinius war ein menschlicher Patron, der sich für das Wohlergehen seiner Schutzbefohlenen – dazu zählten auch Sklaven und Freigelassenen – verantwortlich fühlte. Er behandelte seine Leute gut. Berührend finde ich die Briefe an seine junge Frau Calpurnia, die er aufrichtig liebte. Obwohl ihm als Angehörigen der Oberschicht jeglicher Luxus der damaligen Zeit zur Verfügung stand, übertrieb er nicht. Auf den Tisch kamen bodenständige Gerichte aus Zutaten, die seine Güter lieferten. Er besaß mehrere Landsitze, beispielsweise sein Laurentinum, das er ausführlich beschreibt (II, 17) und das, mit vielen Gemächern mit und ohne Meerblick ausgestattet, schon ein kleiner Palast war. Man erhält Einblick in den Wohlstand, in dem die Oberschicht lebte, während die einfachen Bewohner Roms in engen, schmutzigen und einsturzgefährdeten Mietskasernen hausten. Die durchschnittliche Lebenserwartung im antiken Rom lag zwischen 20 und 30 Jahren. Plinius wurde immerhin über 50.

Neben den Kunstbriefen ist auch amtliche Korrespondenz des Plinius mit Kaiser Trajan überliefert, die nicht weniger interessant ist. Berühmt geworden sind die Briefe über die Behandlung der Christen (Brief 96, die Antwort des Kaisers in 97), die wohl jeder Lateinschüler kennt. Ich finde auch andere Briefe des Buches 10 spannend und werde darauf in einem späteren Beitrag eingehen.

All die Verpflichtungen des öffentlichen Lebens fand Plinius manchmal erdrückend. In seiner Freizeit widmete er sich der Literatur, schrieb Verse, besuchte Lesungen und las Manuskripte befreundeter Autoren. Immer, wenn ich in den Briefen des Plinius lese, wünsche ich mir, mit ihm plaudern zu können – in einer seiner Villen bei einem Salat und einem guten Wein.

Literatur:

Plinius: Sämtliche Briefe, Lateinisch/Deutsch, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998, ISBN 3-15-059706-4

Montag, 22. Mai 2017

"Columna" – Fortsetzung des Films „Dacii“

Die Fortsetzung des Monumentalfilms „Dacii“ entstand 1967-1968 als rumänisch-westdeutsche Koproduktion unter der Regie von Mircea Dragan und kam unter den Titeln „Columna“ bzw. „Die Säule des Trajan“ ins Kino. Unter dem – ziemlich sinnfreien – Titel „Der Tyrann“ ist der Film nun wieder im Handel erhältlich. Er wurde 1969 für den Oscar nominiert.

Man könnte annehmen, dass sich der Handlungsablauf am Relief der Trajanssäule in Rom orientiert. Dies ist aber nicht der Fall. Im DDR-Kinoprospekt findet man eine gute Einführung in die historischen Ereignisse. Der Film beginnt mit einigen einführenden Worten und die Handlung setzt ein, als die dakische Königsstadt Sarmizegetusa von den Römern eingenommen wird. Der König und einige seiner Leute können die Festung zuvor verlassen; Decebal (Amza Pellea) zieht sich auf eine andere Bergfestung zurück. Kaiser Trajan (Amedeo Nazzari, dem Princeps einigermaßen ähnlich und erfreulicherweise grauhaarig) schreitet langsam und ruhig die Front ab, bis er vor den Mauern steht und nach Decebal fragt. Einer seiner Offiziere, ein gewisser Tiberius, dargestellt von Richard Johnson, erhält den Auftrag, den Dakerkönig entweder lebend zu fassen oder den Beweis zu bringen, dass er tot ist. Jener Tiberius ist historisch. Er hieß mit vollständigem Namen Tiberius Claudius Maximus und diente in einer Reiterabteilung als Stellvertreter des Kommandeurs (Duplicarius). Decebals Lage wird zunehmend aussichtslos; er flieht mit wenigen Getreuen. Als ihn die römische Kavallerie aufspürt, schneidet er sich die Kehle durch, um nicht lebend in die Hände seiner Feinde zu fallen. Maximus schlägt dem Toten den Kopf ab und bringt ihn dem Kaiser. Trajan lässt den Kopf dem versammelten Heer zeigen. Im Film ist Maximus als Stabsoffizier zu hochrangig dargestellt. Es liegt nahe, an einen anderen Mann zu denken: Claudius Livianus, der als Prätorianerpräfekt den Kaiser in den Dakerkriegen begleitete und zu den ranghöchsten Offizieren seines Stabs zählte. Fakt ist jedoch: nicht Livianus, sondern Maximus brachte Trajan den Kopf Decebals.

Der Kaiser beauftragt – nein, er bittet Tiberius (jener Herrscher setzte Gesten erfolgreich ein), in Dakien zu bleiben und dort im Norden des Landes Aufbauarbeit zu leisten, Befestigungen und Kastelle zu errichten, als Bollwerk gegen mögliche Angriffe der „Barbaren“. Der Film widmet sich den Schwierigkeiten an jenem Außenposten im heutigen Siebenbürgen. Dies ist eine ungewöhnliche Perspektive für einen Historienfilm, aber durchaus interessant und spannend. Die Römer müssen mit den unterworfenen Dakern kooperieren, erkennen vorhandene Strukturen und lokale Eliten an, auch wenn sie als Eroberer nicht beliebt sind. Während sich viele Daker mit der römischen Besatzung arrangieren, verstecken sich andere in den Bergen und organisieren den Widerstand. Die römischen Soldaten gewinnen dakische Frauen für sich, wobei sie auch Gewalt anwenden. Bei aller Ambivalenz kommt es schließlich auch zu echten Beziehungen. Tiberius nimmt eine ehemalige dakische Adlige (Antonella Lualdi) zur Frau und die beiden bekommen einen Sohn, der als Römer erzogen wird. Die Annäherung zwischen Tiberius und Andrada ist überzeugend. Das ist keine idealisierte Romanze, sondern eine konfliktreiche Beziehung. Er gewinnt diese Frau durch Liebe, Respekt und viel Geduld - und damit kommt er auch im Herzen des Zuschauers an.

Doch die Daker greifen wieder an. Zunächst wird ein Senator aus Rom durch einen Pfeilschuss getötet, gerade, als er der von Tiberius errichteten Siedlung das Stadtrecht verleihen will. Wer war das – ein gewisser Fortunatus? Jene Rolle hätte dem Statthalter Terentius Scaurianus gebührt, aber dieser Mann starb nicht in Dakien, sondern war noch während des Partherkrieges im Stab Trajans. Weitere Überfälle der Daker auf die Römer folgen, denen auch romanisierte Daker zum Opfer fallen. Versuche der Daker im Widerstand, sich mit „Barbaren“ gegen die Römer zu verbünden, scheitern. Wer waren die in Felle gehüllten Fremden: Jazygen, Quaden, Roxolanen? Kurzzeitig kämpfen die Daker sogar mit den Römern zusammen gegen sie. Dass während solcher Konflikte auch mal die Seiten gewechselt wurden, so von den sarmatischen Jazygen, ist historisch. Mir bleibt vor allem jene Szene in Erinnerung, als Tiberius seinen Frust gegenüber Gerula (Ilarion Ciobanu) , dem dakischen Guerilla-Anführer herausschreit: "Der Kaiser will Frieden!" Warum akzeptiert ihr das nicht endlich?, fügt man in Gedanken hinzu. Gerula sieht in nur finster an, und aus seinem Gesicht spricht die Antwort: Weil ihr die Bedingungen stellt, wollen wir euren Frieden nicht. Als Zuschauer weiß man, dass er Tiberius die Verstümmelung seines Königs nie verzeihen wird.

Am Ende kommt es zum Zweikampf zwischen Tiberius und Gerula. Gerula tötet Tiberius. Er will dessen Sohn für sich und künftige Kämpfe gegen Rom gewinnen. Der echte Tiberius Claudius Maximus starb nicht in Dakien, sondern kämpfte als Veteran im Partherkrieg und wurde ehrenhaft aus der Armee entlassen.

Was für ein Film und relativ nahe an den geschichtlichen Ereignissen! Er hat mich beeindruckt und für mein weiteres Leben geprägt. Besonders freue ich mich über kleine Highlights für Insider wie die Erwähnung der Donaubrücke, einer technische Meisterleistung des Architekten Apollodoros. In seinem Kriegsrat fragt Trajan Lusius (nicht Lucius!) Quietus nach seiner Meinung, worauf dieser antwortet, er könnte in absehbarer Zeit das ganze Land verwüsten. Lusius Quietus war schon in den Dakerkriegen erfolgreich; während des Partherkrieges trug er dazu bei, dass die Römer in den Jahren 116/117 einigermaßen das Gesicht wahren konnten. Er war für die Grausamkeit seiner Kriegführung berüchtigt.

Peter Conolly hat die Ereignisse während der Kriege zwischen Römern und Dakern in zwei wunderschönen Jugendbüchern rekonstruiert. Man erfährt alles, was über das Leben des Tiberius Claudius Maximus bekannt ist, sieht Bilder von Wachtürmen, römischen Lagern, vom Bau der Donaubrücke, von Übungen der Soldaten, Paraden sowie der Auszeichnung des Maximus durch den Kaiser. Auch für Erwachsene informativ und faszinierend!

Literatur:

Peter Conolly: Tiberius Claudius Maximus, Ein römischer Legionär, Tessloff Verlag Nürnberg, 1990, ISBN 3-7886-0186-8

Peter Conolly: Tiberius Claudius Maximus, Ein römischer Reiter, Tessloff Verlag Nürnberg, 1990, ISBN 3-7-886-0185-X

Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans, Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 1984, ISBN 3-7749-2021-4

Montag, 15. Mai 2017

"Dacii", ein Film aus dem Jahr 1967

Unter dem seltsamen Titel "Kampf der Titanen gegen Rom" ist "Dacii" wieder in deutscher Sprache erhältlich. In der DDR kam der Film unter dem Titel "Der letzte große Sieg der Daker" ins Kino. Im Fernsehen liefen "Dacii" und die Fortsetzung "Columna" als Serie "Römer, Daker, fremde Götter".

Wenn man sich vom Covertext der DVD nicht abschrecken lässt (die Daker sind falsch geschrieben und wer soll bitte der "blutrünstige Tribun" sein, gegen den sie sich zur Wehr setzen?), kann man einen spannenden Historienfilm genießen, sofern man kein Problem mit alten Filmen hat. Titanen kommen darin allerdings nicht vor; der Titel ist nicht gerade geschickt gewählt, weil er falsche Erwartungen weckt. Die historischen Ereignisse wurden etwas frei behandelt, was nicht so ungewöhnlich ist. Ich nehme an, dass in Rumänien an Originalschauplätzen gedreht wurde. Für die Hauptrollen wurden auch Schauspieler aus dem Ausland gewonnen.

Die Donaugrenze des römischen Reiches war unter Kaiser Domitian zum Krisenherd geworden. Die Daker, beheimatet im heutigen Rumänien, fielen unter ihrem König Diurpaneus in die Provinz Moesia ein, schlugen römische Truppen und der Statthalter selbst kam ums Leben. Die Filmhandlung setzt ein, als ein Heer unter dem Feldherrn Fuscus an der Donau steht, um sie für einen Vergeltungsschlag zu überschreiten. Cornelius Fuscus, dargestellt von Georges Marchal, war kein Tribun, sondern Präfekt, genauer gesagt, praefectus praetorio, Kommandant der kaiserlichen Garde - ein Ritter. Domitian muss ihm vertraut haben, was sich schon aus seinem Amt und seinem Kommando erschließt. Das Heer des Fuscus wird durch Truppen aus Germanien verstärkt, deren Anführer ein gewisser Severus ist, dargestellt von Pierre Brice. Sein Vater Attius oder Atius, ein hochrangiger Senator, befindet sich ebenfalls im Feldlager. Zur Überraschung seiner Offiziere (!) erscheint Kaiser Domitian, der mit Verzögerung erwartet wurde, auf dem Kriegsschauplatz.

Der Film-Fuscus hält nicht viel von Domitian, wünscht sich den Kaiser in Rom (wo er der Überlieferung nach auch war). Attius warnt vor einem Krieg gegen die Daker und möchte mit König Decebal verhandeln. Decebal ist im Film etwas verfrüht König über alle Daker - vielleicht wurden die realen Ereignisse gestrafft. Domitian ist mit den Verhandlungen einverstanden und Attius überquert mit einem Schiff die Donau. Während Severus noch die Garde seines Vaters "einweist" -wusste die nicht, was sie zu tun hatte?, tappt dieser ohne jeglichen Schutz durch Soldaten in einen dunklen Wald hinein und wird sogleich durch einen Pfeilschuss getötet. Decebal bedauert diesen Unfall sehr: Attius sei der einzige Römer gewesen, der nicht hätte sterben dürfen - warum, das erfährt man später. Die Episode um Attius gehört zu den logischen Schwachstellen des Films.

Die Daker schicken Gesandte zum Kaiser und im Gegenzug sendet Domitian Severus zu Decebal, dargestellt von Amza Pellea, mit der Nachricht, dass er ihn zum Klientelkönig Roms ernennt. Decebal eröffnet Severus in einem vertrauten Gespräch, dass Attius, sein verstorbener Vater, in Wirklichkeit ein dakischer Fürst war, der inkognito als Patrizier in Rom lebte und jedes Jahr ein Schiff mit Gold aus Dakien erhielt. Eine solche Konstellation war in Wirklichkeit so gut wie unmöglich, aber dem Film verzeiht man die Unlogik gerade noch. Decebal kann Severus nicht für sich überzeugen und dieser kehrt zu den römischen Truppen zurück.

In Folge wird Decebals hoffnungsvoller Sohn Cotizo als Opfer für Zalmolxis ausgewählt. Er soll dem Gott die Wünsche der Daker um Beistand überbringen. Das grausige Ritual wird nach alter Sitte durchgeführt: Cotizo wird von den Priestern ergriffen, die ihn von einem Felsen hinab auf Lanzen fallen lassen. Die Lanzen durchbohren ihn und er ist sofort tot: das Opfer ist angenommen.

In einer Schlucht geraten die römischen Truppen in einen Hinterhalt der Daker. Severus bleibt verwundet auf dem Schlachtfeld. Fuscus nimmt an, er sei gefallen, und lässt die Legion seines Freundes zur Strafe dezimieren. Severus schleppt sich bis zu einer Hütte im Wald, die von Meda, Decebals Tochter (Marie-José Nat), bewohnt wird. Sie schießt auf ihn, erkennt ihn aber (nachdem sie geschossen hat) als Sohn eines dakischen Fürsten und pflegt ihn gesund. Severus und Meda verlieben sich ineinander. Er wird als Gefangener zu Decebal geführt. Der Dakerkönig, der seinen Sohn verloren hat, bittet Severus, dessen Platz einzunehmen und das Kommando über die dakische Reiterei zu übernehmen. Severus will die Römer jedoch nicht verraten. Decebal lässt ihn gehen.

Zurück im Römerlager, stellt Severus Fuscus wegen der Dezimierung seiner Legion zur Rede. In Folge vertraut er Fuscus an, dass sein Vater Daker war, und Fuscus wiederum will Severus zum Mitverschwörer gegen Domitian gewinnen. Er bietet ihm sogar an, ihn zum Kaiser zu machen. Entsetzt lehnt Severus ab. Fuscus' Vision eines idealen Imperators entspricht ziemlich genau der Rolle, die Trajan einige Jahre später ausfüllen wird.

Es kommt zum Kampf zwischen Fuscus und Severus; Fuscus unterliegt und stirbt. Im passenden Moment ist Domitian mit seinen Soldaten anwesend und erklärt, dass Fuscus von den Barbaren getötet wurde. Er überträgt Severus den Oberbefehl, und Römer und Daker stellen sich zur entscheidenden Schlacht auf. Zu Beginn treten Decebal und Severus zum Zweikampf an, in dessen Verlauf Severus getötet wird. Man hat den Verdacht, dass er sich absichtlich töten ließ.

Der Film von Sergiu Nicolaescu bietet allerhand: große Schlachten, die Belagerung und Erstürmung von Festungen, bei denen römische Kriegstechnik zum Einsatz kommt: man sieht einen Belagerungsturm, eine "Schildkröte", einen "Widder" (Rammbock) und römische Artillerie. Solche Szenen sind auf dem Relief der Trajanssäule in Rom dargestellt. Es gibt ein Menschenopfer, Intrigen innerhalb der römischen Armeeführung, gegenseitige Sympathie und Antipathie. Decebal ist der kluge und mutige Gegner Roms, als der er in die Geschichte eingegangen ist. Und es gibt eine Liebesgeschichte zwischen einer Dakerin und einem römischen Offizier. Ich muss gestehen, dass mich besonders die Romanze berührt hat, als ich im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren diesen Film sah. All das hat mich neugierig gemacht und an die historischen Ereignisse herangeführt. Fehler wie die Ernennung eines Statthalters während jenes Rachefeldzuges (erst Trajan besiegte das Dakerreich und machte das Gebiet zur Provinz) halten sich insgesamt in Grenzen.

Kaiser Domitian, dargestellt von Kovács György, ist relativ gut getroffen. Er ist misstrauisch, schwer zu durchschauen und führt manchmal seltsame Reden. Ein bisschen weniger "schräg", weniger dekadent und weniger harmlos hätte ich ihn mir im Film gewünscht. Domitian war ein besserer Feldherr als der Film-Kaiser, auch wenn er nicht alle Operationen selbst geleitet hat. Dennoch: Dacii hat mir gefallen und gefällt mir noch immer. "Columna", ein Film, der inhaltlich daran anknüpft, ist noch ambitionierter - aber davon ein andermal.

Literatur:

Karl Strobel: Die Donaukriege Domitians, Verlag R. Habelt, Bonn 1989, ISBN-10: 377492368X ISBN-13: 978-3774923683

Montag, 8. Mai 2017

Marguerite Yourcenar und die Tränen des Kaisers

"Ich zähmte die Wölfin" von Marguerite Yourcenar mit dem Zusatz "Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian" (welcher dem französischen Originaltitel entspricht) zählt zu den berühmten historischen Romanen der Weltliteratur und bedeutet mir sehr viel.

Als Schülerin gierte ich nach jeder noch so kleinen Information über jene Geschichtsepoche, die mich faszinierte. Einiges an Literatur war in der Sächsischen Landesbibliothek, damals noch auf der Marienallee ansässig, zu finden. Die Ausleihe dort war zeitaufwändig und mir selbst zunächst gar nicht erlaubt, da ich noch nicht 18 Jahre alt war. Es war frustrierend, dort hinein zu wollen und nicht zu dürfen. Meine Mutter hat es ein paar Mal auf sich genommen, mich zu begleiten. Allein schon die Atmosphäre dort, den Geruch der alten Bücher und die Präsenz des gesammelten Wissens fand ich aufregend. Einige Bücher waren nicht für die Ausleihe nach Hause bestimmt. Sie standen im Lesesaal und durften auch nur dort gelesen werden. Belletristik gehörte dazu. Irgendwer musste den Roman "Ich zähmte die Wölfin" falsch einsortiert haben, denn wir durften ihn ein einziges Mal mit nach Hause nehmen.

Marguerite Yourcenar hat eine fiktive Autobiografie Kaiser Hadrians geschrieben. Ich war neugierig auf Hadrian, ganz besonders aber auf die Beschreibungen jener Zeit, als er noch nicht Kaiser war und Trajan herrschte. Endlich las ich Schilderungen, Beschreibungen, die meine Phantasie beflügelten. Ich "verschlang" dieses wunderbare Buch innerhalb weniger Stunden. Erst beim wiederholten Lesen spürte ich, dass es nicht nur lebendig gewordene Geschichte beinhaltet, sondern vielmehr ein vollendetes Kunstwerk ist. Dies ist, da sich das Buch so mit Genuss liest, bemerkenswert. Nicht jedes Kunstwerk kommt so abgerundet, so schön daher. Dieses Werk ist jedoch nicht mit Leichtigkeit verfasst worden, auch wenn man beim Lesen mitunter diesen Eindruck hat. Marguerite Yourcenar hat über einen langen Zeitraum immer wieder daran gearbeitet. Es verströmt Reife und Vollendung. Ich bin jenem Bibliothekar, der das Buch in den falschen Bereich gestellt hat, bis heute dankbar - aber nicht nur ihm.

Man durfte das Buch lesen, aber es war in der DDR nicht im Handel erhältlich. Mit meinen Großeltern, die in der Bundesrepublik lebten, verband mich ein intensiver Briefwechsel über die verschiedensten Themen. Besonders mein Großvater nahm Anteil an meinem Interesse für römische Geschichte. In einem Brief erwähnte ich den Roman von Marguerite Yourcenar. Und als meine Großeltern zu Weihnachten zu Besuch kamen, bekam ich ihn zu meiner großen Überraschung geschenkt. Ich kann mich an mehrere Weihnachtsgeschenke erinnern, über die ich mich sehr gefreut habe, aber jenes Geschenk übertraf alle anderen. Es war viel mehr als ein Buch. Da öffnete sich eine Tür. Ich war und bin meinen Großeltern unendlich dankbar für ihre Einfühlsamkeit. In der heutigen Zeit, wo Wissen jederzeit per Mausklick verfügbar ist, denke ich immer wieder an jenen magischen Moment zurück, als ich "Ich zähmte die Wölfin" endlich bei mir haben durfte, um darin lesen zu können, so oft ich wollte.

Marguerite Yourcenars Stil ist so vollkommen, dass ich es nie wagen würde, sie als Vorbild zu bezeichnen. Für mich steht sie neben Großmeistern der Literatur wie Lew Tolstoi ("Krieg und Frieden"), Lion Feuchtwanger ("Josephus-Trilogie") und Sten Nadolny ("Die Entdeckung der Langsamkeit") - Autoren, deren Werke ich liebe und verehre und die ich auf meinem persönlichen Literatur-Olymp ansiedle, oder, wie es ein Römer des ersten Jahrhunderts vielleicht sagen würde: nahe bei den Sternen. Hadrian, der ein vielseitig begabter Mensch war, schrieb und dichtete selbst, aber Marguerite Yourcenar hat ihm, indem sie seine Memoiren schrieb, einen großen Dienst erwiesen. Denn mit Sicherheit war sie ihm in ihrem literarischen Können überlegen.

Ein großes, unerreichbares Vorbild ist sie für mich in ihrer Genauigkeit der Recherche. Sich eine Fülle von Wissen und Eindrücken aneignen, um aus jener Fülle das Wesentliche zu extrahieren: so arbeitet, wer sich für sein Thema leidenschaftlich interessiert. Es ist eine Wohltat, einem solchen Werk zu begegnen.

Bei Marguerite Yourcenar konnte ich mir von Hadrian und Trajan erstmalig ein Bild machen: sie rückten näher. Eine Szene hat mich besonders berührt: Hadrian war davon berichtet worden, wie Trajan, im Partherkrieg am Persischen Golf angekommen, sich abends an den Strand gesetzt und dort in einer ersten Ahnung seiner Sterblichkeit Tränen vergossen hat, er, von dem - so der fiktive Hadrian - niemand gedacht hatte, dass er je weinen könne. Der Roman und jene Szene haben meine Vorstellung von beiden Herrschern geprägt. Umso erstaunter war ich, als ich später im "Panegyrikus" Plinius des Jüngeren las, dass Trajan sogar mehrmals in der Öffentlichkeit Tränen vergossen hat. Plinius erwähnt dies, um Charaktereigenschaften des Princeps herauszuarbeiten: die Liebe und Pietät seinem verstorbenen Adoptivvater Nerva gegenüber (11,1), seine Bescheidenheit, als ihn die Beifallrufe der Senatoren zu Tränen rührten (73,4) und seine Treue als Freund, als er dem Kommandanten seiner Garde erlaubte, sich ins Privatleben zurückzuziehen (86,4). Wären Tränen eines Herrschers in der Öffentlichkeit damals als peinlich oder unmännlich angesehen worden, hätte Plinius sie wohl kaum erwähnt.

Die Frage, ob Marguerite Yourcenar den Panegyrikus kannte, ist von untergeordneter Bedeutung. Als Künstlerin hat sie Trajan auf ihre Weise gesehen und beschrieben, ebenso Hadrian, um den es ja vorrangig geht. Ihr Roman stand in einer wissenschaftlichen Bibliothek und ich finde, zu Recht.

Quellen und Literaturtipp:

Marguerite Yourcenar: Ich zähmte die Wölfin, Dtv, München 1998, ISBN-10: 3423124768;

Plinius der Jüngere: Panegyrikus, Herausgegeben, übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Werner Kühn, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, ISBN 0174-0474, ISBN 3-534-09220-1

Montag, 1. Mai 2017

Gades - Cádiz

Das antike Gades, welches zu den ältesten Städten Europas zählt, heißt heute Cádiz - in Andalusien ist der gelispelte Laut am Ende des Wortes kaum zu hören. Als wir die Reise planten, witzelten wir manchmal über den Namen, denn wir dachten dabei an den Dresdner Stadtteil Kaditz, der bei uns quasi um die Ecke liegt. Cádiz allerdings liegt nicht um die Ecke, sondern ist 2.800 Kilometer von unserem Zuhause entfernt.

Gades soll um 1.100 v. Chr. gegründet worden sein. Die mythologisch gefärbte Überlieferung berichtet von Orakeln, ungünstigen Opfern und mehrfachen Gründungsversuchen. Gades lag sich jenseits der "Säulen des Hercules", dem Ausgang des Mittelmeeres, und Hercules wurde sowohl in Gades, wo sich ein berühmtes Heiligtum befand, als auch in anderen Orten der Baetica verehrt. Bereits die Phönizier erfuhren, dass die Meerenge von Gibraltar keineswegs das Ende der Welt war, welches Hercules markiert haben soll. Jenes "plus ultra" (von non plus ultra - "nicht darüber hinaus") mit den Säulen des Hercules fiel mir erstmalig auf Kacheln im Alcázar von Sevilla auf. Es gehört zum Wappen Spaniens.

Kaiser Trajan ließ Münzen mit dem Abbild des Hercules prägen: Verehrung, die auf den Hercules-Kult in seiner südspanischen Heimat zurückging, aber auch Identifikation und Propaganda spielten dabei eine Rolle. Götterbilder zierten die Rückseiten der Münzen; Götter und Heroen stahlen dem Kaiser, dessen Porträt auf der Vorderseite prangte, nie die Show.

Niemand weiß, ob Trajan jemals in Gades war. Von einer Reise des Kaisers in die Heimatprovinz ist nichts bekannt. Während seiner Herrschaft hatte er vermutlich weder einen Grund noch Zeit dazu. Dennoch - man kann diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen, zumal die Überlieferung zu Trajan spärlich und lückenhaft ist. Am ehesten kann er seinen Vater in die Provinz begleitet haben, als dieser sein Amt als Prokonsul antrat - siehe dazu unten in den Beiträgen über Córduba und Italica. Für mich stellt sich die Frage, auf welchem Weg man von Rom aus in die Baetica reiste. Eine Seereise war vergleichsweise schnell und komfortabel, konnte sich aber bei ungünstigen Witterungsverhältnissen in die Länge ziehen. Es wäre möglich gewesen, einen der Mittelmeerhäfen Hispaniens anzulaufen und auf dem Landweg weiter zu reisen. Eine solch kombinierte Reise, die sich den Erfordernissen anpasste, erwähnt Plinius in einem Brief an den Kaiser (Plin. Briefe, 10, 17a). Aber auch eine Reise mit dem Schiff bis Gades ist denkbar, möglicherweise zur Mündung des Baetis (Guadalquivir) und von dort aus mit einem kleineren Schiff bis Hispalis (Sevilla).

Das antike Gades erstreckte sich über drei Inseln, die heute miteinander verbunden sind. Lang gezogen, schmal und vom Meer umgeben ist auch das heutige Cádiz. Allein schon diese Lage reizte mich, die Stadt zu besichtigen. Wir reisten von Sevilla aus mit dem Zug an. Auch diese Fahrt nach Südwesten interessierte mich. Irgendwann, nach mehreren Stationen, war dunkelblau das Meer zu sehen, davor der Strand, nur durch eine Straße von der Bahnlinie getrennt. Wir waren am Atlantik angekommen. Noch ehe wir ins Hotel gingen, nahmen wir an einer Stadtrundfahrt teil.

Als wir später zu Fuß unterwegs waren, gingen wir auf der Promenade am westlichsten Punkt der Halbinsel entlang, sahen immer wieder aufs Meer hinaus und betraten die Festung San Sebastian mit einigen Ausstellungräumen. Hier hatte Gades seinen Ursprung. Wir gingen zum Strand Playa de la Caleta, und weil es so warm war, zog ich Schuhe und Strümpfe aus und lief mit hochgekrempelten Hosenbeinen im flachen Wasser herum. Hätte ich nicht doch den Badeanzug mitnehmen sollen? Es gefiel uns sehr an diesem Stadtstrand, wo die Einheimischen am Nachmittag kamen, um die Sonne zu genießen und den kommenden Abend zu feiern. In dieser Bucht befand sich der älteste Hafen der Insel. Die Stadt konnte sich auf Grund ihrer Lage kaum ausbreiten, Platz zum Bauen war immer rar. Deswegen gibt es kaum antike Überreste, vom römischen Theater einmal abgesehen, von dem relativ viel erhalten und freigelegt ist.

Gades war Hafenstadt und ein bedeutender Umschlagplatz. Die Gaditaner lebten vom Handel, von der Seefahrt, vom Fischfang und waren viel unterwegs. Vom Reichtum des Meeres konnten wir uns selbst in der Markthallte überzeugen... vor 2.000 Jahren, als der Fischfang noch nicht industrialisiert war, muss das Meer ein Paradies für Pflanzen und Tiere gewesen sein.

Mehrere Gottheiten wurden in Gades verehrt und die Einwohner der Stadt galten als fromm. Zwei berühmte Söhne der Stadt waren Lucius Cornelius Balbus der Ältere und sein gleichnamiger Neffe, Balbus der Jüngere, Zeitgenossen und Freunde von Cäsar, Pompejus und Octavian.

Der Leuchturm von Cádiz, über eine Mole erreichbar, lockte uns besonders, und kurz vor der abendlichen Schließung des Areals konnten wir von dort aus aufs Meer hinaus blicken. Der Golf von Cádiz ist nicht so weit von der portugiesischen Algarve entfernt - gemessen an der Entfernung zwischen Südspanien und Ostdeutschland. Ich bekam doch ein wenig Sehnsucht nach jener Küste, die zu Recht als eine der schönsten Europas gilt. Aber auch die Strände bei Cádiz sind feinsandig und sehr zu empfehlen. Am beliebtesten Strand, dem Playa de la Victoria, haben wir in einem sehr schönen Fischrestaurant mit allerdings stolzen Preisen zu Mittag gegessen.

Am Morgen unserer Abreise konnten wir das römische Theater und das dazu gehörende Museum mit vielen Modellen besichtigen. Computeranimation versetzte uns in die Römerzeit. Auch die Ruine selbst kann man betreten; die Stufen sind dort, wo man gehen kann, durch Holzaufbauten geschützt. Die in unmittelbarer Nachbarschaft befindliche Kathedrale ist ebenfalls einen Besuch wert. Vom Turm aus hat man schöne Ausblicke über die Stadt und aufs Meer.

Als wir zum Bahnhof gingen, regnete es kräftig und wir kamen völlig durchnässt am Bahnsteig an. Dennoch werden mir der blaue Himmel, das türkisfarbene Meer, das golden schimmernde Dach der Kathedrale, die Uferpromenade mit dem botanischen Garten und die belebten Gassen der Altstadt in Erinnerung bleiben. Und meine Erinnerungen verbinde ich mit Hercules, den Gaditanern und der Baetica.