Sonntag, 19. November 2017

Die Unterschichten der Stadt Rom

Über Jahre und Jahrzehnte hinweg hat sich ein Bild des römischen Volkes verfestigt, das der Differenzierung bedarf.

Man kann das Volk der Stadt Rom und anderer Städte des Imperiums grob unterscheiden in frei Geborene, Freigelassene und Sklaven. Die Stellung und der Reichtum der Menschen hingen aber nicht nur von diesen Unterscheidungsmerkmalen ab. Die kaiserlichen Freigelassenen waren mächtig und wurden auch von Angehörigen der Oberschicht respektiert. Sie waren gut ausgebildet und spezialisiert, hatten einträgliche Stellungen und lebten in Sicherheit, während frei Geborene, die als Händler, Handwerker, aber auch Tagelöhner tätig waren, ein größeres wirtschaftliches Risiko trugen und in vielen Fällen sehr arm waren. Viele Sklaven reicher Römer oder des Kaisers führten ein deutlich besseres Leben als manche Freie. Zur Scheu vor den kaiserlichen Freigelassenen passt eine bei Plinius dem Jüngeren überlieferte Begebenheit. Eurythmus, Freigelassener Trajans, wurde zusammen mit einem römischen Ritter beschuldigt, Zusätze zu einem Testament gefälscht zu haben. Die Erben hatten den Kaiser gebeten, den Fall zu untersuchen. Einige von ihnen wollten aus Rücksicht auf Eurythmus auf die Anklage verzichten. Trajan antwortete darauf: "Weder ist er ein Polyclit, noch bin ich ein Nero." Er spielte auf einen Freigelassenen Neros an, der seine Macht missbrauchte, und wollte die Erben gleichermaßen ermutigen wie ihnen vermitteln, dass er nicht aufgrund seines Patronatsverhältnisses Partei für Eurythmus übernehmen würde (Plinius der Jüngere, Briefe, VI, 31, (7). Jener Fall ist auch exemplarisch dafür, dass sich jeder Bürger mit seinem Anliegen an den Kaiser wenden konnte. Für derartige Eingaben gab es eine spezielle Kanzlei (a libellis).

In der Kaiserzeit, Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts, herrschten andere Verhältnisse als zum Ende der Republik. Es gab längst keinen ständigen Nachschub mehr von Sklaven aus eroberten Gebieten. Die Bevölkerung unterworfener Gebiete wurde durchaus nicht komplett versklavt. Sklavinnen wurden sogar belohnt, wenn sie Kinder gebaren und damit für Nachwuchs sorgten. Sklaven in den Städten konnten damit rechnen, nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren von ihrem Herrn freigelassen zu werden. Oft erfolgte die Freilassung um das 30. Lebensjahr herum. Die Aussicht auf Freilassung motivierte die Sklaven. Zu jener Zeit setzte es sich in der römischen Oberschicht, auch unter Einfluss der philosophischen Schulen, immer mehr durch, die Sklaven human zu behandeln. Ihre Herren fühlten sich für sie verantwortlich, sorgten für Unterkunft und Ernährung. Auf dem Land lebten die Sklaven unter schlechteren Bedingungen und wurden seltener freigelassen.

Die Kaiser erließen verschiedene Gesetze zugunsten der Sklaven, um sie vor Willkür zu schützen. Freigelassene waren ehemalige Sklaven, und bereits das Kind eines Freigelassenen galt als frei geboren. Viele Angehörige der oberen Schichten stammten von Freigelassenen ab. Die Gesetzgebung war darauf bedacht, dass nicht zu viele Sklaven gleichzeitig freigelassen wurden, damit diese nicht in großer Zahl gesellschaftlichen Einfluss nehmen konnten. Wenn ein reicher Römer plante, seinen Sklaven nach seinem Ableben die Freiheit zu schenken, musste er das schrittweise tun.

Die Unterschichten in Rom wurden vom Kaiser mit Getreide versorgt. Es gab Listen mit den Namen der Empfangsberechtigten. Trajan nahm alle Kinder unter die Empfänger dieser Spenden auf. In den anderen Städten sorgten Angehörige der Oberschicht auf ähnliche Weise für die Bevölkerung. Lebensmittelknappheit konnte zu Aufständen und gar zu Gewalt gegen die Herrschenden führen. Die Getreideversorgung der Stadt Rom lag den Kaisern am Herzen. Eine Flotte von Frachtschiffen sorgte für die Lieferungen vor allem aus Ägypten. Augustus muss die Verwaltung der "Kornkammer Roms" als so sensibel erachtet haben, dass er die Provinz durch einen Präfekten (Ritter) verwalten ließ, um dort keinen potentiellen Konkurrenten (Senator) einzusetzen. Seine Nachfolger behielten diese Verfahrensweise bei.

Die Freigelassenen waren ihren ehemaligen Herrn als Klienten verbunden und wurden von ihnen unterstützt, revanchierten sich aber auch durch ihre Gefolgschaft, durch anteilige Zahlungen aus ihren Einkünften und persönliche Dienstleistungen bis hin zur Krankenpflege. Manche von ihnen empfanden das Patron-Klient-Verhältnis als demütigend und mitunter wurden die Freigelassenen sogar von den Sklaven des Herrn herablassend behandelt.

Neben den regelmäßigen Getreidespenden und sonstigen Schenkungen des Kaisers hatte die Bevölkerung Roms auch bessere und vielfältigere Verdienstmöglichkeiten als auf dem Land. Nicht zuletzt bot die Stadt auch diverse Möglichkeiten, sich zu amüsieren und zu zerstreuen: bei den Gladiatorenkämpfen im Amphitheater, beim Wagenrennen, im Theater, aber auch in Bordellen. Die - meiner Meinung nach zu Unrecht - geschmähte Massenunterhaltung in der römischen Antike werde ich in den folgenden Texten etwas genauer betrachten. Aber nicht nur im Amphitheater oder im Circus begegneten die Römer dem Kaiser. Wenn er in der Öffentlichkeit erschien, fanden die Leute Gelegenheit, ihn anzusprechen. Viele Herrscher, so auch Trajan, galten als zugänglich. Plinius berichtet im Panegyrikus: "Wenn der Princeps mitten durchs Volk geht, können die Leute ungehindert stehenbleiben, auf ihn zugehen, ihn begleiten, ihn überholen." (Plinius der Jüngere, Panegyrikus 24,3). Cassius Dio erzählt über Hadrian, dass er auf der Straße von einer Frau angesprochen wurde, die ihn um etwas bitten wollte. Er antwortete ihr, er hätte keine Zeit, worauf sie ihm zurief, dass er dann auch nicht Kaiser sein solle. Da blieb Hadrian stehen und hörte sie an.

Literatur:

Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1975, ISBN 978-3-515-09841-0

Cassius Dio, Epitome of Book 68

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