Samstag, 16. Dezember 2017

Prostitution

Antike Moralvorstellungen unterscheiden sich deutlich von denen unserer Zeit. Die moderne westliche Gesellschaft ist immer noch vom Christentum beeinflusst. Die Gesetzgebung in der Antike war eine andere. Die alten Römer sahen sich selbst als sehr fromm an. Die damalige Gesellschaft war eine patriarchalische und manche Regeln, Sichtweisen und Gesetze jener Zeit muten heute grausam an und voller Doppelmoral.

Jene Doppelmoral begegnet uns in der Art und Weise, wie Gladiatoren, Wagenlenker, Schauspieler, Pantomimen einerseits geliebt und wie heutige Stars verehrt, andererseits aber gesellschaftlich gering geschätzt wurden. Diese Geringschätzung beruhte vor allem aus der Nähe jener Berufe zur Prostitution. Es gab durchaus Berührungspunkte. Da die Arbeit in der antiken "Unterhaltungsindustrie", im Amüsement den Unterschichten vorbehalten war, die von den Reichen abhängig und, wenn es sich um Sklaven und Freigelassene hatten, zu Dienstleistungen jeglicher Art sogar verpflichtet waren, verkauften diese Berufsgruppen oftmals nicht nur ihre Talente, sondern auch ihren Körper.

Hier mag die berechtigte Frage aufkommen, was das Thema Prostitution mit Trajan zu tun hat. Dieser Blog bezieht sich auf einen Roman, an dem ich arbeite und der in wenigen Wochen erscheinen wird. Eine der Hauptfiguren ist eine Prostituierte. Sie wird weder Kaiserin, noch Vestalin - dies sei schon mal verraten. Ich hatte lange Zeit Schwierigkeiten mit der Figur, wurde mit ihr nicht warm. Ich las ein paar autobiografische Schilderungen von neuzeitlichen Prostituierten, aber dies änderte nichts daran, dass ich mich in Cynthia nicht einfühlen konnte. Sie blieb auch äußerlich vage und verschwommen. Glücklicherweise wurde ich auf das außerordentlich informative Buch "Prostitution in der römischen Antike" von Bettina Eva Stumpp aufmerksam. Schon während ich es las, löste sich meine Abneigung gegen Cynthia auf. Sie bekam eine Biografie, eine Gestalt und eines Tages auch ein Gesicht.

Die Frauen, die sich prostituierten, taten es aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, aus dem Willen, zu überleben, aber oft auch aus Zwang. Viele von ihnen waren Sklavinnen, oft auch Töchter von Prostituierten, in der Sklaverei geboren oder in die Sklaverei verkauft. Immer wieder kam es vor, dass sich Freie aus Not selbst verkaufen mussten, ihre Kinder verkauften oder auf die Straße anschaffen schickten. Im Krieg gefangene Frauen und Kinder fielen in die Hände von Sklavenhändlern und wurden in die Prostitution verkauft, an Bordellbesitzer, aber auch in Haushalte. In manchen Gegenden des Imperiums florierte der Menschenraub, vor allem durch Piraterie. Ausgesetzte Kinder wurden als Sklaven aufgezogen und von ihren Besitzern zur Prostitution gezwungen. Aber auch ältere Prostituierte zogen gelegentlich Findelkinder auf und schickten diese später auf den Strich. Dies war ihre Altersvorsorge. Die Verdienstmöglichkeiten für Frauen waren in der Antike nicht sehr üppig. Neben Tätigkeiten in Haushalt und Familie bot die Textilherstellung ein kleines Auskommen, das aber oft nicht genügte, um über die Runden zu kommen.

In den größeren Städten gab es Bordelle. Die Besitzer ließen dort ihre Sklavinnen für sich arbeiten. Es gab aber auch Prostituierte, die eigenständig arbeiteten und sich in Bordellen Zellen anmieteten. Andere wiederum boten in der Öffentlichkeit ihre Dienste an. Säulenhallen, das Gebiet um den Circus Maximus, belebte Straßen und auch die Stadtbezirke, wo Militär stationiert war (Prätorianer, Gardereiter, Stadtkohorten) waren beliebte Orte der Kontaktaufnahme. Kunden entstammten überwiegend der Unterschicht: Es waren Arbeiter, Handwerker, Soldaten, auch Sklaven, gelegentlich aber auch besser situierte Männer. Die Prostituierten waren leicht und aufreizend bekleidet; oft entblößten sie ihre Oberkörper. Sie galten als geldgierig, aber auch als bösartig bis gewalttätig, was nicht verwundert, weil sie rechtlos waren und sich selbst schützen mussten. Öffentliche Gewalt gegen diese Frauen, aber auch gegenüber Schauspielerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen galt als Berufsrisiko und kein römischer Bürger, der etwas auf sich hielt, hätte ihnen aus Mitgefühl beigestanden - außer vielleicht, wenn es sich um die eigene Geliebte handelte.

Während von jungen Römerinnen erwartet wurde, dass sie jungfräulich, oft vor der Geschlechtsreife, die Ehe eingingen und sich keusch und ohne jeglichen Tadel verhielten, wurde den jungen Männern empfohlen, sich auszutoben, wann und wo sich Gelegenheit dazu bot. Sexuelle Askese galt als ungesund. Die Ehe war ein Zweckbündnis zum Knüpfen von gesellschaftlichen Beziehungen, zur Besitzerweiterung und zur Zeugung von Nachkommen. Eheleute sollten einander achten und freundschaftlich miteinander umgehen. Sexualität war Pflicht, um Kinder zu zeugen, aber Leidenschaft war dabei unerwünscht, weil damals die Vorstellung herrschte, Gefühle beim Sex könnten die Frauen auf den Geschmack und auf den falschen Weg bringen. Sexuelle Erregung gehörte in den Bereich der gewerblichen Liebe. Den Prostituierten wurde wiederum vorgeworfen, zu schauspielern - was aber schlicht ihrem Selbstschutz diente. Da weder Männer noch Frauen in der Ehe sexuelle Befriedigung fanden, waren außereheliche Beziehungen und der Gang ins Bordell vorprogrammiert. Der Ehebruch einer Frau wurde bestraft, ebenso ihr Gatte, wenn er den Ehebruch duldete, aber ein Mann durfte außerehelichen Sex haben, ohne dass ihm etwas geschah. Angesehene römische Bürger mieden die Bordelle - schließlich hatten sie Sklavinnen und Sklaven, die ihnen jeden Wunsch erfüllten. Bisexualität war in der römischen Oberschicht verbreitet.

Es ist überliefert, dass schon kleine Mädchen und Knaben zur Prostitution gezwungen wurden. Niemand in der Antike fand das anstößig, da es sich um Sklaven handelte. Sklaven hatten alles von ihren Herren zu erdulden, auch Gewalt und Misshandlungen. Aber es kam durchaus vor, dass die Lieblingssklavin freigelassen wurde und Konkubine eines Römers wurde. Solche Beziehungen galten nicht als schändlich.

Die Prostituierten der Antike kannten Methoden der Empfängnisverhütung. Schwangerschaften waren unerwünscht, bedeuteten einen längeren Verdienstausfall und weitere Verpflichtungen. Es gab Arzneimittel zum Schwangerschaftsabbruch. Es war auch bekannt, dass ungewohnte Belastungen wie Erschütterungen, Sprünge und das Heben schwerer Gegenstände einen Abort auslösen konnten. Im alten Rom galt ein Fötus vor dem Gesetz nicht als eigenständiges Lebewesen; eine Abtreibung war nicht strafbar. Brachte eine Prostituierte ein Kind zur Welt, war dessen Weg in die Prostitution geradezu vorgezeichnet.

Literatur:

Bettina Eva Stumpp: Prostitution in der römischen Antike, Akademie Verlag Berlin, 2001, ISBN 3-05-003459-9

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