Sonntag, 4. November 2018

Kaiser Nerva

Als Domitian am 18. September 96 von Verschwörern getötet wurde, war das Amt des Princeps frei geworden - doch für wen? Mögen manche Senatoren noch der alten Republik nachgetrauert haben, wird doch niemand ernsthaft daran gedacht haben, die Monarchie zu beseitigen, die sich längst etabliert hatte. Die Senatoren wählten einen der ihren, den 65jährigen Marcus Cocceius Nerva, zum Kaiser. Vermutlich hatte es zuvor schon Absprachen darüber gegeben.

Nerva hatte bereits ein hohes Alter erreicht und keine Nachkommen. Es war abzusehen, dass seine Herrschaft nur eine Übergangslösung sein würde. Seine Bereitschaft, die Verantwortung für das Reich zu übernehmen, kann jedoch hoch bewertet werden, denn die Situation war für ihn nicht ungefährlich.

Nerva stammte aus Narnia in Umbrien und wurde am 08.11.30 geboren. Bereits sein Großvater und sein Vater waren bedeutende Juristen im Dienst der julisch-claudischen Dynastie gewesen. Seine Karriere begann unter Nero. Zusammen mit dem berüchtigten Prätorianerpräfekten Tigellinus deckte er die pisonische Verschwörung auf. Dafür wurde er hoch geehrt. Nach Neros Tod war er ein treuer Mitarbeiter der Flavier. Zweimal wurde er Konsul: einmal zusammen mit Vespasian und einmal zusammen mit Domitian. Man kann darüber mutmaßen, wie es ihm gelang, in diesen unruhigen Zeiten nicht nur am Leben zu bleiben, sondern auch eine Führungsposition innerhalb des Senates einzunehmen. Gewiss war er als Jurist ein geschätzter Fachmann, aber darüber hinaus auch ein besonnener, anpassungsfähiger Mensch, der loyal zu den Kaisern stand und sich nicht zu Grausamkeiten oder Korruption hinreißen ließ. Porträts zeigen einen Mann mit einem schmalen, fast hageren Gesicht, einer hohen Stirn und einer gepflegten Kurzhaarfrisur.

Als Kaiser grenzte sich Nerva vom despotischen Gebaren Domitians ab, verband seine Herrschaft mit der Idee der Freiheit und legte Wert auf ein gutes Einvernehmen mit dem Senat. Eine Reihe von Maßnahmen zugunsten der Senatoren bekräftigte dies. Über den toten Kaiser wurde die damnatio memoriae verhängt. Senatoren unterlagen nur noch der Gerichtsbarkeit des Senates. Nerva sorgte mit seiner Sparsamkeit für eine Sanierung der Finanzen und setzte dafür auch sein eigenes Vermögen ein. Er unterstützte notleidende Bürger und rief die Alimentarstiftungen ins Leben, eine Erziehungs- und Unterhaltsbeihilfe für bedürftige Kinder.

Doch diesem Senatskaiser fehlte der Rückhalt beim Heer. Die Prätorianer in Rom und die Truppen in den Provinzen standen teilweise noch treu zu Domitian. Die Garde unter dem Kommando des Präfekten Casperius Aelianus meuterte gegen Nerva und zwang ihn, mehrere Verschwörer, die für Domitians Ermordung verantwortlich waren, auszuliefern. Nerva hatte es versäumt, die Garde durch Geldgeschenke für sich zu gewinnen. Auch im Senat gab es noch Anhänger Domitians. Und in Syrien stand Marcus Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus, erfolgreichster Feldherr Domitians, der in der Lage gewesen wäre, wie einst Vespasian die Truppen in den Ostprovinzen zu mobilisieren. Es wird vermutet, dass er die Meuterei der Prätorianer gegen Nerva unterstützte.

Ein neuer Bürgerkrieg drohte. Von einer Gruppe im Senat gedrängt, adoptierte Nerva Trajan, der damals als Statthalter in Obergermanien stand und ebenfalls über Truppen verfügte. Ob Trajan vorsorglich nach Germanien gesandt worden war oder ob er seine Ernennung noch Domitian verdankte, ist nicht bekannt. Im Panegyrikus lobt Plinius der Jüngere die Adoption Trajans als eine Maßnahme zur Rettung des Staates. "Sogleich sank aller Aufruhr zusammen." (Plinius, Paneg., 8,5).

Nerva wandte sich mit einem Homer-Zitat an Trajan: "Meine Tränen vergilt mit deinem Geschoss den Danaäern." (Überliefert von Cassius Dio, 68,3,4). Vermutlich wusste Trajan ohnehin, was zu tun war. Er beorderte den Präfekten Aelianus mit seinen Prätorianern zu sich nach Germanien und ließ ihn und vermutlich auch einige Offiziere hinrichten. Die neue Machtkonstellation setzte sich durch. Curiatus Maternus wurde seines Amtes enthoben und zog sich als Privatmann in seinen Heimatort Liria zurück.

Anfang Januar 98 erlitt Nerva einen Schlaganfall, an dem er drei Wochen später starb (27.01.98). Seine Asche wurde im Mausoleum des Augustus beigesetzt. Trajan ließ seinen Adoptivvater konsekrieren: Nerva wurde in einem feierlichen Akt unter die Staatsgötter erhoben. Der neue Kaiser weilte bis Mitte 99 an Rhein und Donau, um die Truppen für sich zu gewinnen. Regieren konnte er das Imperium auch von den Provinzen aus.

Nerva war etwa so alt wie Trajans leiblicher Vater gewesen. Womöglich wäre Traianus pater als Kandidat in Frage gekommen, war aber zu jener Zeit entweder schon verstorben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die Herrschaft zu übernehmen. Anfang 100 erwähnt ihn Plinius im Zusammenhang mit dem bereits vergöttlichten Nerva als "wenn nicht unter den Sternen, doch nahe bei den Sternen" weilend (Paneg. 89,2). Er war zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr am Leben. Im Jahr 113 ließ Kaiser Trajan seinen leiblichen Vater divinisieren und Münzen prägen, die ihn gleichermaßen wie Nerva ehrten. Trajan führte Nervas Politik fort und knüpfte an dessen Maßnahmen an. Mit Nerva hatte die Zeit der sogenannten Adoptivkaiser begonnen. Es war eine Phase der Stabilität für das römische Imperium. Aber die Monarchie blieb dennoch dynastisch und die Adoption eines Nachfolgers, obwohl ideologisch von Plinius verklärt, eine Maßnahme, die ergriffen wurde, wenn ein Herrscher keinen Sohn hatte, der ihm auf den Thron folgen konnte.

Literatur:

Annette Nünnerich-Asmus: Traian, darin: Werner Eck: Traian - Der Weg zum Kaisertum, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8035-2780-3

Plinius der Jüngere: Panegyrikus, Herausgegeben und übersetzt von Werner Kühn, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1985, ISBN: 3-534-09220-1

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