Sonntag, 18. November 2018

Das Vierkaiserjahr 69

Wenn man sich mit den dramatischen Ereignissen jenes Jahres beschäftigt, wundert man sich darüber, dass das Römische Imperium daraus wieder als Einheit hervorging und zu einer langen Phase der Stabilität zurückfand.

Gaius Julius Vindex, Statthalter der Provinz Gallia Lugdunensis, ein Senator aus Aquitanien (der Gegend um das heutige Bordeaux), erhob sich im Frühjahr des Jahres 68 gegen Kaiser Nero. Er fand breite Unterstützung und konnte ein Heer aufstellen. Vindex war gegen die ausschweifende Lebensweise des Kaisers und wollte ihn stürzen, jedoch nicht selbst herrschen. Als Sohn eines Senators hätte er das dazu nötige Sozialprestige gehabt, aber es sollten noch dreißig Jahre vergehen, bis mit Trajan ein Senator provinzialer Herkunft Kaiser wurde.

Vindex wollte Servius Sulpicius Galba, den Statthalter der Provinz Hispania Tarraconensis, zum Kaiser machen. Galba zögerte, ehe er sich dem Aufstand anschloss, zunächst nicht als Kandidat auf die Herrschaft, sondern als Legat des römischen Senates und Volkes. Unterstützt wurden Vindex und Galba von Marcus Salvius Otho, dem Statthalter der Provinz Lusitanien, die etwa dem heutigen Portugal entspricht. Sie wollten die Rheinarmeen als Verbündete gewinnen, was ihnen jedoch nicht gelang. Der Statthalter von Obergermanien, L. Verginius Rufus (später väterlicher Freund Plinius des Jüngeren) zog gegen die Aufständischen. Vindex wurde bei Vesontio (Besancon) geschlagen und wählte den Freitod.

Galba zog sich daraufhin nach Spanien zurück. Er war bereits über siebzig Jahre alt, aber ein angesehener Mann, der der julisch-claudischen Dynastie treu gedient hatte und lange als deren Nachfolger im Gespräch war. Der Überlieferung nach wurde Galba während seiner kurzen Regierung von seiner Umgebung beherrscht. Er wurde nicht im gesamten Imperium anerkannt. Während er nach Rom marschierte, ließ er mehrere Persönlichkeiten umbringen. Die Stimmung in Rom schlug um, die Leute fürchteten ihn. Galba, der kinderlos war, adoptierte L. Calpurnius Piso, der aus einer altangesehenen Familie stammte, um seine Position zu stärken.

Mit dieser Maßnahme enttäuschte er Otho, der seinerseits gehofft hatte, adoptiert zu werden. Otho erkundete die Stimmung unter den Prätorianern, die sich mit Galba als Kaiser schwer taten, weil er ihnen kein Geld geschenkt hatte. Anfangs fand er nur wenige Anhänger, aber immer mehr Offiziere und Soldaten traten zu ihm über. Das Volk aber versammelte sich und verlangte die Hinrichtung von Otho und dessen Mitverschwörern. Als Galba aus seiner Sänfte stürzte, wurde er von Soldaten umzingelt und erschlagen. Piso konnte sich zunächst in den Tempel der Vesta retten, doch Othos Anhänger fanden ihn, zogen ihn aus seinem Versteck und töteten ihn im Eingang des Tempels.

Der Senat erklärte nun Otho zum Kaiser. Dieser war 37 Jahre alt. Er war der erste Gatte der Poppaea Sabina gewesen, bevor Nero sie ihm ausgespannt hatte. Er nahm seine Aufgaben als Kaiser ernst, was ihm allgemein nicht zugetraut worden war. Er musste sich nun mit Aulus Vitellius auseinandersetzen, der im Januar 69 vom niedergermanischen Heer zum Kaiser ausgerufen worden war. Auch das obergermanische und britannische Heer unterstützte ihn. Vitellius ließ seine Truppen in zwei Säulen nach Italien marschieren. Seine beiden Heerführer Fabius Valens und Caecina Alienus gingen während ihres Marsches brutal gegen die Bevölkerung vor. Die Donauprovinzen unterstützten Otho, Spanien und Aquitanien traten auf die Seite des Vitellius, die Ostprovinzen, vor allem Syrien und Judäa, standen zu Otho. Das Imperium war, ebenso wie Italien, zutiefst zerrüttet.

Otho hatte vor, die Provinz Gallia Narbonensis einzunehmen, doch das Heer des Vitellius zog schnell heran und nahm die ersten Städte Oberitaliens ein. Es kam zur berühmt-berüchtigten Schlacht von Bedriacum, an der Otho selbst nicht teilnahm. Seine Truppen unterlagen, aber auch die Truppen des Vitellius hatten schwere Verluste erlitten. Otho konnte mit der Unterstützung durch heranziehende Abteilungen rechnen, und seine Anhänger rieten ihm, nicht aufzugeben. Doch er wünschte kein weiteres Blutvergießen. Nachdem er dies verkündet hatte, wollte er allein sein. Am darauffolgenden Morgen erstach er sich. Seine Anhänger und die Prätorianer trauerten um ihn, und einige Soldaten stürzten sich an seinem Scheiterhaufen ins Schwert. Othos Ruf war zeit seines Lebens nicht besonders gut gewesen, aber sein Opfertod wurde von den antiken Historikern gerühmt.

In Gallien erhielt Vitellius die Nachricht vom Sieg seiner Truppen. Aulus Vitellius war 57 Jahre alt, als er zum Imperator ausgerufen wurde. Dem Biografen Sueton nach war er ein Vielfraß und Alkoholiker. Porträts zeigen einen dicken Lebemann. Seine raue, burschikose Art kam bei den Soldaten an. Die Plünderungen der siegreichen Truppen setzten Italien mehr zu als der Bürgerkrieg zuvor. Vitellius zog in Rom wie im Triumph ein. Er ließ einige Anhänger Othos hinrichten, andere, vor allem hochrangige Personen, verschonte er. Er soll wenig Ahnung vom Recht gehabt haben, und seine Freunde und Freigelassenen führten für ihn die Regierungsgeschäfte. Aber das Volk feierte ihn. Die Legionen des Ostens hatten sich geweigert, den Eid auf Vitellius zu leisten. Von seinen Soldaten und Offizieren und von Mucian, dem Statthalter Syriens gedrängt, nahm Vespasian schließlich den Eid seiner Truppen an. Der 1. Juli des Jahres 69 gilt als sein Regierungsantritt (dies imperii). Doch erst am 22. Dezember wurde er von Senat in Rom anerkannt. Ausschlaggebend für Vespasians Proklamation war die Unzufriedenheit der Ostlegionen und die Tatsache, dass er zwei Söhne und potentielle Nachfolger hatte, von denen der ältere bereits als fähiger Offizier galt. Mucian zog in den Krieg gegen die Vitellianer. Der gesamte Osten einschließlich Ägypten huldigte Vespasian. Die Donautruppen und die Legionen Spaniens und Britanniens sowie die Flotten in Ravenna und Misenum traten zu ihm über. Vitellius war somit in der schwächeren Position. Ende Oktober wurde sein Heer bei Cremona geschlagen. In Rom konnten sich die Anhänger des Vitellius zunächst behaupten. Bei den Kämpfen fiel Sabinus, der Bruder Vespasians, während sich Domitian retten konnte. Am 21. Dezember eroberten Vespasians Truppen Rom. Vitellius wurde zu Tode gequält, seine Leiche wurde in den Tiber geworfen. Mit ihm kamen sein Bruder und sein Sohn um. Vespasian wurde Kaiser, der erste der flavischen Dynastie.

Literatur:

Wolfgang Seyfahrt: Römische Geschichte, Kaiserzeit I, Akademie-Verlag DDR, Berlin 1980

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