Sonntag, 11. November 2018

War Trajan ein Bewunderer Neros?

Aurelius Victor, ein spätantiker Geschichtsschreiber, der im vierten Jahrhundert lebte, überliefert eine seltsam anmutende Äußerung Kaiser Trajans, kein Kaiser hätte das Imperium so gut regiert wie Nero in seinen ersten fünf Jahren. Aus dieser Bemerkung, die nirgendwo anders auftaucht, zogen manche Autoren die Konsequenz, Trajan hätte Nero geschätzt.

Man kann die angebliche Bemerkung Trajans durchaus bezweifeln. Antike Autoren fühlten sich nicht der Objektivität verpflichtet, sondern sie schrieben für ein Publikum, das unterhalten werden wollte und Skandale,"sex and crime" sowie Übertreibungen liebte.

Nero war siebzehn Jahre alt, als er, letzter Spross der julisch-claudischen Dynastie, im Jahr 54 die Herrschaft über das römische Imperium übernahm. Jener Kaiser ist als vielfacher Mörder, Wüstling und Brandstifter in die Geschichte eingegangen. Viele dieser Vorwürfe werden heute differenziert betrachtet. Es ist erwiesen, dass er Rom im Jahr 64 nicht anzündete; er weilte außerhalb der Stadt. Dass er den Brand beauftragte, ist nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Auch der angebliche Mord an Britannicus, dem Sohn des Claudius, wird heute bezweifelt. Britannicus war Epileptiker und könnte auch an einem Anfall gestorben sein. Fakt ist, dass zahlreiche Senatoren unter Neros Herrschaft den Tod fanden oder in die Verbannung gingen, so dass das Hohe Haus mit neuen Männern besetzt werden musste. Aber auch Claudius, der Vorgänger Neros, hatte zahlreiche Todesurteile über Senatoren verhängt.

Ein Opfer des Claudius war Seneca, einer der reichsten Männer jener Zeit, heute berühmt durch seine philosophischen Schriften. Im Jahr 41 wurde er nach Korsika verbannt, wo er acht Jahre seines Lebens verbrachte. 49 wurde er auf Bestreben von Agrippina, der Mutter Neros, nach Rom zurückberufen, wo er die Aufgabe übernahm, Nero zu erziehen und auf seine künftige Herrschaft vorzubereiten. Seneca hatte kaum eine andere Wahl, als diesen Auftrag anzunehmen.

Die ersten Regierungsjahre Neros waren vielversprechend. Er orientierte sich am Beispiel des Augustus, respektierte den Senat, achtete die alten senatorischen Ämter und übte sich in Bescheidenheit. Der Einfluss von Seneca und dem Gardepräfekten Burrus war spürbar. Sie taten alles, um Nero in positivem Sinne zu leiten. Sie, die Erzieher und Mentoren des jungen Kaisers, trugen in Wahrheit die Verantwortung. Möglicherweise ist in dieser Zeit Trajans Vater in den Senat aufgestiegen. Seneca stammte wie er aus Spanien und es ist denkbar, dass Traianus pater zu seinen Freunden und Begünstigten zählte. Die ethische Ausrichtung Senecas passte gut zur Lebensauffassung der neuen Senatoren provinzialer Herkunft, die ambitioniert in den Staatsdienst traten und denen die altrömischen Tugenden (mos maiorum) noch etwas bedeuteten.

Ab dem Jahr 62 verschlechterte sich das Verhältnis des Kaisers zum Senat. Seneca und Burrus zogen sich zurück; Nero geriet unter den Einfluss des Prätorianerpräfekten Tigellinus und tat zunehmend, was er wollte. Agrippina, die ihren Sohn beherrschen wollte, wurde 59 umgebracht. Der Kaiser war nicht mehr bereit, die Macht mit seiner Mutter zu teilen. Er entwickelte sich zu dem Despoten, als der er in die Geschichte eingegangen ist. Im Jahr 68 starb Nero, vom Senat geächtet und verfolgt, durch Freitod, bei dem ihm sein Freigelassener unterstützte.

Kaiser Trajan bemühte sich zeitlebens um ein gutes Verhältnis zum Senat, wertete dessen Ansehen durch Gesten der Ehrfurcht auf und übte sich in Bescheidenheit. In Wahrheit vergab er nichts von seiner Macht, aber er verhielt sich der Oberschicht gegenüber respektvoll und strahlte dabei Souveränität aus, so dass der Senat ihn als den besten Princeps beurteilte. Es ist völlig ausgeschlossen, dass er Neros Persönlichkeit schätzte oder gar bewunderte. Eine positive Beurteilung der ersten fünf Jahre jenes Herrschers durch Trajan ist aber denkbar. Die römischen Kaiser respektierten die Entscheidungen und Leistungen ihrer Vorgänger auch dann, wenn sie sich später zum Negativen veränderten.

Eine derartige Bemerkung Trajans kann man sich gut zu einem Zeitpunkt vorstellen, als seine eigene Herrschaft bereits fest etabliert war. Und so geäußert, wurde sie, prägnant wie sie war, überliefert. So könnte es gewesen sein - aber auch ganz anders.

Plinius der Jüngere, ein Zeitzeuge Kaiser Trajans, überliefert ein anderes Statement des "Optimus Princeps". Plinius war in den Kronrat des Kaisers nach Centumcellae (Civitavecchia) berufen worden. Dort sprach Trajan Recht. Es ging um einen seiner Freigelassenen, der der Testamentsfälschung angeklagt war. Die Erben hatten den Kaiser gebeten, den Fall zu untersuchen, aber als er es tat, bekamen sie "kalte Füße" und wollten sich zurückziehen. Trajan ermutigte sie mit den Worten: "nec ille Polyclitus est nec ego Nero" - weder ist er ein Polyclitos, noch bin ich ein Nero. (Policlytos war ein berüchtigter Freigelassener Neros) - Plin., Briefe, VI, 31, (9). Mit diesen Worten grenzte sich Trajan deutlich von Nero ab. Plinius der Jüngere ist als Zeitzeuge Trajans und Augenzeuge jener Verhandlung glaubwürdiger als Aurelius Victor, der mehr als zweihundert Jahre später lebte.

Trajans anerkennende Worte, wenn er sie überhaupt ausgesprochen hat, galten Neros ersten, vielversprechenden Jahren, in denen er unter dem Einfluss verantwortungsvoller Berater stand. Es ist gut möglich, dass Trajans Familie von den "Prinzenerziehern" Seneca und Burrus in ihrem Aufstieg gefördert wurde.

Literatur:

Annette Nünnerich-Asmus: "Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einer Umbruchzeit?", darin: "Traian - der Weg zum Kaisertum", Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8053-2780-3

Plinius, Sämtliche Briefe, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998, ISBN 3-15-059706-4 Aurelius Victor, Epitome de Caesaribus

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