Samstag, 21. September 2019

Sulla, der Glückliche

An der Beschäftigung mit Geschichte fasziniert mich, dass beim genaueren Hinsehen die Dinge vielschichtiger, komplizierter, einfach anders sind, als man allgemein denkt. Wahrscheinlich gilt das nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für andere Themen und das Leben allgemein, aber es ist mir bei der Beschäftigung mit Geschichte zum ersten Mal aufgefallen. Und es trifft auch auf L. Cornelius Sulla zu, einen Mann, dessen Wirken berühmt- berüchtigt ist und den man seit eh und je mit Terror und Schrecken in Verbindung bringt.

Ich will gar nicht bestreiten, dass Sulla seine Gegner brutal bekämpft und mit den Samniten ein ganzes (ihm feindlich gesonnenes) Volk ausgelöscht hat. Doch die Endphase der römischen Republik ist geprägt von Machtkämpfen, Bürgerkriegen, Straßenschlachten, Mord und Totschlag sowie Usurpationsversuchen und Diktaturen von Einzelpersonen. Sulla war mehr noch als Marius, Caesar oder Pompeius eine Ausnahmeerscheinung der römischen Geschichte mit einer ungewöhnlich verlaufenden Karriere. Sulla, geboren 138 v. Chr., entstammte einer vornehmen und angesehenen Patrizierfamilie, aber "sein" Zweig der Cornelier hatte schon lange keinen Konsul mehr hervorgebracht und war politisch bedeutungslos. Seine Eltern starben früh und hinterließen ihm so wenig Geld, dass er in einem gewöhnlichen Mietshaus lebte. Er liebte den Umgang mit Schauspielern und Prostituierten, war aber auch mehrmals verheiratet. Eine seiner freizügigen Freundinnen hinterließ ihm eine kleine Erbschaft. Das Erbe seiner Stiefmutter schließlich ermöglichte ihm den Eintritt in die Ämterlaufbahn. Mit etwas über 30 Jahren wurde er Quästor des Marius und bewies sogleich Mut, Charisma und diplomatisches Geschick, als er die Auslieferung des feindlichen numidischen Königs Jughurtha an die Römer aushandelte. Dessen Schwiegervater Bocchus blieb Sulla freundschaftlich verbunden. Marius behielt Sulla auch während der Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen in seinen Diensten. Erstaunlich war das insofern, da Sulla nicht den für junge Aristokraten üblichen Militärdienst absolviert hatte. Dennoch bewährte er sich als Armeeführer. Zu Schwierigkeiten und schließlich zur Feindschaft zwischen Sulla und Marius kam es erst, als sie konträre politische Positionen einnahmen.

Marius verfolgte eine populare, auf die Volksversammlung gestützte Politik, während Sulla danach strebte, dem Senat die einstige Führungsrolle zurückzugeben, die durch die Bürgerkriege und gracchischen Reformen beschädigt war. Bei seiner ersten Bewerbung um die Prätur scheiterte Sulla und konnte sich erst im Folgejahr durch Stimmenkauf durchsetzen. Durch großzügige Spiele zeigte er sich dem Volk erkenntlich.

Als Statthalter in Kilikien musste er eine Krise managen: der König von Pontus, Mithridates IV., hatte den König von Kappadokien vertrieben und selbst einen neuen, ihm genehmen Machthaber dort eingesetzt. Sulla gelang es, das Heer des Mithridates zu vertreiben. Daraufhin ersuchten ihn die Parther, deren Einfluss sich nach Armenien und auch nach Kleinasien erstreckte, um Verhandlungen. Sulla präsentierte sich geschickt als das Oberhaupt einer Großmacht. Da er sich in Kleinasien erheblich bereichert hatte, fürchtete er in Rom eine Anklage gegen Korruption. Doch dazu kam es nicht. Sulla hatte Gönner im Senat, die das verhinderten.

In den Bundesgenossenkriegen zwischen italischen Stämmen und Rom bewährte sich Sulla als Heerführer. Er belagerte Pompeji, das sich ergab, und eroberte die Hauptstadt der Samniten. Nun nahm seine Karriere an Fahrt auf. Er errang das Kommando für den Krieg gegen Mithridates iV.. Das war der Kriegsschauplatz schlechthin, der einem Sieger gewaltiges Prestige in Aussicht stellte. Doch Marius und seine Anhänger setzten sich in Rom durch. Marius wollte selbst das Kommando in diesem Krieg und war mit Hilfe der Volkstribunen und Volksversammlung erfolgreich. Allerdings war dieser Weg umstritten, weil derartige Kommandos immer noch vom Senat vergeben wurden.

Die Delegation aus Rom, die bei Sullas Heer in Nola eintraf, wurde von dessen Soldaten gesteinigt. Die Soldaten mussten befürchten, dass Marius mit anderen, ihm ergebenen Truppen in den Krieg ziehen würde. Da die Truppen zunehmend auch aus unvermögenden Bürgern rekrutiert wurden, waren diese auf Krieg und Beutezüge angewiesen. Eine Entlassung hätte für sie Perspektivlosigkeit zur Folge gehabt. Dass Sulla seine Soldaten dazu aufgewiegelt hat, wird zwar behauptet, aber die Haltung der Männer wäre auch ohne sein Dazutun nachvollziehbar. Nun verlangten die Truppen von Sulla den Marsch auf Rom, und er gab ihnen, was sie wollten. Wollte er selbst nicht in Bedeutungslosigkeit versinken, musste er diesen Schritt tun. Seine Interessen deckten sich also mit denen seiner Soldaten. Seine Offiziere jedoch verweigerten ihm die Gefolgschaft.

Sullas Heranrücken sorgte in Rom für Panik und Entsetzen. In Rom ließ er mehrere seiner Gegner verfolgen und hinrichten. Marius floh nach Africa. In Folge erließ Sulla Gesetze, die die Macht des Senats wiederherstellen sollten. Es folgten freie Wahlen, bei denen er nicht verhindern konnte, dass einige seiner Anhänger übergangen wurden. Er musste schnell die Stadt stabilisieren, um in den Krieg gegen Mithridates ziehen zu können.

Mithridates hatte sich zum "Befreier" der Griechenstädte ernannt und ließ 80.000 Römer und Italiker umbringen. Sulla brachte zunächst Griechenland wieder unter römischen Einfluss. Sein Heer war ihm treu ergeben. Er galt als ein Befehlshaber, der im Ernstfall von seinen Soldaten höchste Tapferkeit und Stärke forderte, ansonsten aber großzügig war und auch über Disziplinlosigkeiten hinwegsah. Und er gab seinen Männern, wonach sie verlangten: Gelegenheiten zum Plündern, Siege und Auszeichnungen. Als 86 v. Chr. Athen erobert wurde, hielten sich die Soldaten hemmungslos schadlos, bis er sich gezwungen sah, einzugreifen. In den Schlachten bei Chaironeia und Orchomenos erlangten Sulla und seine Truppen Siege über eine zahlenmäßige Übermacht.

Der Senat hatte inzwischen ein kleineres Heer nach Kleinasien geschickt, das seinerseits gegen Mithridates operieren sollte. Dessen Kommandant Fimbria war sogar erfolgreich. Aber Mithridates' Position wurde schwächer; viele Stadtstaaten schlossen sich an Rom an. Schließlich kam es zum Friedensschluss, bei dem Mithridates sehr gnädig behandelt wurde und wieder römischer Klientelkönig wurde. Den Städten jedoch, die sich ihm angeschlossen hatten, wurden hohe Tribute auferlegt. Sulla zog gegen das Heer des konkurrierenden Feldherrn Fimbria. Die Soldaten liefen zu ihm über, Fimbria beging Selbstmord.

Nun zog Sulla erneut nach Rom. Als er mit seinem Heer in Brundisium ankam, leistete das zahlenmäßig überlegene Heer des Senats keinen Widerstand. Vielmehr liefen die Soldaten massenweise zu Sulla über. Auch andere Heerführer schlossen sich ihm an. In Folge kam es zu mehreren Schlachten, in denen sich Sulla und seine Befehlshaber durchsetzen konnten. Den Widerstand der Samniten, die Verbündete der Popularen waren, schlug er brutal nieder. Er ließ alle Samniten töten und ihre Städte dem Erdboden gleich machen. Der Senat hatte Sulla nichts mehr entgegenzusetzen. Für viele Aristokraten war er aber auch ein Verbündeter, mit dessen politischen Interessen sie konform gingen. Nach dem Tod der beiden amtierenden Konsuln wurde mit Sullas Bestreben ein "Interrex" eingesetzt, der seinerseits einen Dictator ernennen sollte, der den Staat stabilisieren und neu ordnen sollte. Sulla erklärte sich bereit, dies zu übernehmen. Tatsächlich war das Amt unbefristet.

Vor allem seine Proskriptionen haben Sullas Ruf als Tyrann in der Geschichte gefestigt. 4.700 römische Bürger wurden für vogelfrei erklärt. Es gab sogar Kopfprämien und es war nicht nur erwünscht, die Leute zu töten, sondern sogar gesetzlich vorgeschrieben. Mord und Willkür herrschten. Zu den Verfolgten zählte auch der spätere Diktator Caesar, der jedoch durch Vermittlung von Gönnern begnadigt wurde. Sulla ließ auch die Kinder und Enkel seiner Gegner verfolgen, so dass ganze Familien aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Das Grabmal seines Feindes Marius ließ Sulla schänden. Für sich selbst beschloss er zahlreiche Ehrungen. Unter anderem wurde ihm ein besonderes cognomen "Felix - der Glückliche" verliehen. Sulla hielt sich für einen Liebling des Glücks und tatsächlich haben sich manche seiner Karriereschritte einfach günstig gefügt, ohne dass er besonders zielstrebig oder ehrgeizig war. Rührend ist die Anekdote, wie er seine fünfte Ehefrau kennenlernte: die hübsche junge Valeria trat in der Öffentlichkeit an ihn heran und zog einen Faden aus seiner Toga. Als er sie fragte, was das solle, antwortete sie, sie wolle Anteil an seinem Glück haben. Er war von ihr und ihrer Antwort so angetan, dass er sie heiratete. Obwohl ihm Denkmäler, Statuen und Reiterstandbilder, errichtet wurden, gibt es außer Münzdarstellungen kein Porträt, das ihn mit Sicherheit darstellt.

Sullas Gesetzte zielten darauf, die Reformen der Gracchen wieder zurückzunehmen. Er stärkte die Macht des Senats, brachte seine Anhänger in wichtige politische Positionen und regelte die Ämterlaufbahn neu. Der Einfluss der Volkstribunen wurde geschmälert. Sulla ließ über seine Gesetze abstimmen, obwohl er das als Diktator nicht tun musste. Die Sklaven der Proskribierten, seiner verfolgten und getöteten Gegner, machte er zu römischen Bürgern und zu seinen Klienten. Seine Veteranen wurden großzügig abgefunden.

Zu Beginn des Jahres 79 v. Chr. legte Sulla vor der Volksversammlung die Diktatur nieder. Nach römischer Tradition erklärte er sich bereit, über sein Amt Rechenschaft abzulegen. Warum er sich aus dem politischen Leben zurückzog, ist bis heute rätselhaft. Hat er seine Aufgabe der Tradition folgend als abgeschlossen angesehen? War er die Verantwortung leid und wollte seinen Lebensabend genießen? Meinte er, sein Glück bereits ausgereizt zu haben? Caesar hatte für diesen Schritt Sullas kein Verständnis: Abdanken kam für ihn nicht in Frage - stattdessen wurde er umgebracht. Man kann Sulla zugutehalten, dass er als konservativer Politiker den Staat wieder ordnen wollte. Dass so etwas zu seiner Zeit nicht ohne Gewalt ging, zeigt das Bespiel des Augustus, der ähnlich wie Sulla mit militärischen Mitteln und durch brutale Ausschaltung seiner Gegner die Macht übernahm, aber später Milde walten ließ, was seinen Ruf in der Geschichte weitaus günstiger prägte.

Nach seiner Abdankung verließ Sulla mit Valeria Rom und ging auf sein Landgut bei Puteoli, wo er ein freizügiges Leben wie in seiner Jugend führte. Er vertrieb sich die Zeit mit Jagd und Fischfang und schrieb seine Memoiren, die leider nicht erhalten sind, aber von antiken Autoren als Quelle genutzt wurden. In Puteoli betrieb er noch ein bisschen lokale Politik. Infolge eines Streits mit einem Ratsherrn vor Ort soll er einen Blutsturz erlitten haben, an dem er 78 v. Chr. starb. Der Senat ehrte Sulla mit einem Staatsbegräbnis, nach dessen Vorbild Caesar und spätere Kaiser bestattet wurden.

Literatur:

Bernhardt Linke: "Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla", wbg Academic, 2015, ISBN 978-3534267132

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