Samstag, 7. September 2019

Aristokratische Reformer (2): Gaius Gracchus

Gaius Sempronius Gracchus war neun Jahre jünger als sein Bruder Tiberius, der im Jahr 133 von politischen Gegnern getötet worden war. Die Brüder gehörten einer der angesehensten und einflussreichsten Familien Roms an. Sie waren Enkel des Hannibal-Siegers Scipio Africanus; ihre Mutter Cornelia war dessen Tochter. Cornelia muss die ideale Verkörperung einer römischen Matrone gewesen sein, aber sie verstand es auch, den Ehrgeiz ihrer Söhne anzustacheln. Was sie und was Gaius beim Tod des Tiberius empfunden haben, kann man nur ahnen. Der Vater war relativ früh gestorben. In einer patriarchalischen Gesellschaft wie dem alten Rom musste in dieser Situation der Bruder derjenige sein, an dem sich Gaius orientierte, zumal der Altersunterschied ziemlich groß war. So soll Tiberius Gaius im Traum erschienen sein und ihm einen ebenfalls gewaltsamen Tod durch politische Gegner prophezeit haben. Gaius kannte seine Lebensaufgabe. Die Pietät gebot es, das Erbe von Tiberius anzutreten: neben seinem Vermögen kam auf ihn auch sein politisches Vermächtnis zu. Dies mutet tragisch an, fast wie ein Himmelfahrtskommando, aber Gaius hat es vielleicht nicht so gesehen und sich Hoffnungen gemacht, das Werk seines Bruders fortzuführen und zu einem guten Ende zu bringen.

Im Jahr 126 v. Chr. begann Gaius Gracchus seine politische Laufbahn. Er wurde Quästor des Statthalters von Sardinien. Ich wüsste so gern, wie er diese Amtszeit erlebt hat! Er wurde nicht wie üblich nach einem Jahr abgelöst und blieb noch ein weiteres Jahr dort. Wahrscheinlich wollte ihn der Senat so lange wie möglich fern von Rom wissen. Nach zwei Jahren hatte Gaius genug von dieser Hinhaltetaktik und kehrte eigenmächtig nach Rom zurück. Die Angriffe des Senats konterte er geschickt: er habe schon länger als üblich dem Staat gedient - und er wurde nicht nur frei gesprochen, sondern hatte durch seine leidenschaftliche Rede öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Cicero lobt zwar nicht die Politik des Gaius Gracchus, aber seine Brillanz als Redner und sein Pflichtbewusstsein, das er nur leider den falschen Zielen geopfert habe.

Im Jahr 123 v. Chr. wurde Gaius zum Volkstribun gewählt, obwohl die Senatoren versucht hatten, dies zu verhindern. Gaius legte sofort mehrere Gesetzesentwürfe vor. Wie Tiberius stimmte er sich nicht mit dem Senat darüber ab und ging somit auf Konfrontationskurs. Ein Gesetz sah vor, dass Politiker, denen ihr Amt vom Volk entzogen worden war, nie wieder ein Amt ausüben durften, was das Ende ihrer Karriere bedeutet hätte. Seine Mutter Cornelia soll Gaius davon überzeugt haben, das Gesetz zurückzuziehen. Vielleicht war es aber auch eher eine Drohung von Gaius gewesen.

Gaius setzte eine Erweiterung des Provokationsrechts durch. Römische Bürger durften sich bei drohender Todesstrafe an die Volksversammlung wenden. Nun aber wurden Hinrichtungen römischer Bürger ohne Gerichtsverfahren verboten. Wichtig war Gaius das Ackergesetz, bei dem er weiter ging als sein Bruder Tiberius. Er setzte sich für die Einrichtung von Kolonien, d.h. Ansiedlungen römischer Bürger ein, und zwar nicht nur in Italien, sondern erstmals auch in den Provinzen. Dies war notwendig, da in Italien immer weniger Boden für Siedler zur Verfügung stand.

Um sich die Sympathien der stadtrömischen Bevölkerung zu sichern, brachte Gaius ein Gesetz ein, das stabile Getreidepreise sichern sollte. Ein Gesetz über die Herkunft der Richter hatte einerseits das Ziel, den Einfluss der Senatoren zu beschränken. Künftig sollten zunehmend auch Ritter berufen werden bzw. die Senatoren ganz ablösen. Damit wollte sich Gaius die Unterstützung der Ritter sichern. Man muss bedenken, dass er selbst Senator war. In den Augen seiner Gegner beschädigte er seinen eigenen Stand. Gaius Gracchus hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die die Gegensätze innerhalb der Oberschicht verstärkte. Aber in Zukunft sollten immer mehr Ritter an der Verwaltung des Staates beteiligt werden. Auch die Kaiser des zweiten Jahrhunderts zogen zunehmend auch Ritter für wichtige Ämter heran. Wenn Gaius auf eine breite Unterstützung der Ritter gehofft hatte, so ging diese Hoffnung aber nicht in Erfüllung.

Gaius Gracchus sorgte für die Abschaffung von Härten beim Militär. Das Mindestalter eines Soldaten wurde auf 17 Jahre festgelegt. Die Ausrüstung wurde vom Staat übernommen - zuvor wurden die Kosten dafür vom Sold abgezogen.

Im Unterschied zu seinem Bruder streute Gaius seine politischen Bestrebungen viel weiter. Er verknüpfte seine Gesetze geschickt mit seinem eigenen Vorteil und seinem Schutz. Er zielte auf eine größere Anhängerschaft und eine nachhaltige Wirkung seiner Maßnahmen, die den Staat verändern sollten. Darin muss er persönlich eine Zukunft gesehen haben, eine Chance, erfolgreich zu sein. Dies gelang ihm zunächst auch. Er wurde erneut zum Volkstribun gewählt. Er war populär und hatte vielen Anhängern einflussreiche Ämter verschaffen können. Nun wollte er den Bundesgenossen in Italien den Vorteil des vollen Stimmrechts in Volksversammlungen verschaffen. Das würde ihm, so hoffte er, einen noch größeren Personenkreis zu Dankbarkeit verpflichten. Doch die Stadtrömer wollten ihre Rechte nicht teilen. Vom Senat wurde die Stimmung, die sich gegen Gracchus zu wenden schien, ausgenutzt. Der Konsul, der zuvor auf seiner Seite gestanden hatte, bekämpfte den Gesetzesentwurf und fand Anklang beim Volk. Gaius unterlag in der Abstimmung.

In dem Volkstribun Livius Drusus fand der Senat einen Gegenspieler, der Gaius durch völlig unrealistische, sehr viel weitreichendere Gesetzesentwürfe übertrumpfen sollte. Das waren leere Versprechungen, deren Umsetzung nicht geplant war, reine Demagogie in einer politischen Schlammschlacht. Im Unterschied zu Gaius erklärte Drusus, dass er im Einvernehmen mit dem Senat handelte. Somit sollte der Eindruck erweckt werden, die Konfrontationspolitik von Gaius sei gar nicht notwendig. Gaius Gracchus war zu dieser Zeit nicht in Rom, sondern mit der Gründung einer Kolonie auf dem Gebiet des ehemaligen Karthago beschäftigt. Er reiste so schnell wie möglich nach Rom, aber als er ankam, hatte sie die Lage zu seinen Ungunsten verändert.

Gaius bewarb sich um ein drittes Volkstribunat, aber er scheiterte. Zwei seiner mächtigsten Gegner wurden Konsuln. Öffentlich wurden Gerüchte verbreitet, die Gaius schaden sollten. Es gab auch Bestrebungen, seine Koloniegründung rückgängig zu machen. Am Tag der Abstimmung war die Stimmung in Rom so aufgeladen, dass ein Liktor des einen der beiden Konsuln von Gaius' Anhängern erschlagen wurde. Daraufhin rief der Senat den Notstand aus. Die Senatoren und Ritter durften sich bewaffnen und auch noch bewaffnete Sklaven mitbringen. Gaius und seine Anhänger besetzten den Aventin. Sie versuchten, die Sklaven zum Aufstand zu mobilisieren, hatten jedoch keinen Erfolg. Der Aventin wurde belagert und gestürmt, und 250 Anhänger von Gaius wurden an Ort und Stelle umgebracht. Er selbst konnte zunächst fliehen, ließ sich aber von seinem Sklaven töten, als er seine Lage als aussichtslos erkannte.

Die Eskalationen waren der Anfang vom Ende der Republik. In modernen Publikationen wird immer wieder betont, dass die Brüder Gracchus vor allem ihrem Machtzuwachs und Eigennutz dienten. Doch ihre Gesetze und Gesetzesentwürfe haben bzw. hätten wirklich das Leben vieler Menschen verbessert. Wenn man also die Frage nach dem Nutzen stellt, kommt man an dieser Tatsache nicht vorbei. Tiberius und Gaius Gracchus waren Aristokraten, und sie bedienten sich der popularen Methode, um sich politisch zu profilieren. Obwohl sie auch ihren eigenen Vorteil im Sinne hatten, kann man ihnen den Willen, für eine gerechtere Gesellschaft einzutreten, nicht absprechen. Dies finde ich bedeutsam in einer Zeit, in der unsoziale Politik als alternativlos hingestellt wird. Tiberius und Gaius Gracchus waren Reformer, die ein hohes Risiko eingingen und letztlich ihr Leben für ihre Ziele hingaben. Hätten sie sich so engagiert, wenn sie nicht von der Richtigkeit ihrer Maßnahmen überzeugt gewesen wären?

Literatur:

Bernhardt Linke: "Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla", wbg Academic, 2015, ISBN 978-3534267132

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen