Samstag, 30. Juni 2018

Der Antiheld

Ich schrieb, dass mich Kaiser Trajan als historische Persönlichkeit motiviert. Motivation ist sehr wichtig, wenn man an einem Roman arbeitet. Mein Buch handelt vom Vorzeigekaiser Roms und von dessen nahezu idealer Gattin. Plinius der Jüngere berichtet vom "zuchtvollen Schweigen" im Palast Trajans (Panegyrikus, 47,6). Die Kaiserin Plotina nennt er sanctissima femina, übersetzt so viel wie "höchst ehrenwerte Frau" oder "Muster weiblicher Tugend") (Plinius der Jüngere, Briefe, IX, 28). Für die Zeitgenossen des Herrscherpaares war es zweifellos angenehm, dass die beiden bemüht waren, sich ihrer Position würdig zu erweisen. Aber man spürt auch, wie autoritär das gesellschaftliche System bereits ausgerichtet war, und als moderner Leser ist man ein wenig gelangweilt. Ich habe mich bemüht, Kaiser und Kaiserin etwas menschlicher zu zeichnen. Er ist nicht immer gut gelaunt, manchmal weniger zugänglich, gelegentlich sogar zornig oder gleichgültig. Sie hat manchmal Sorgen und Selbstzweifel und braucht die Zuwendung ihrer Dienerinnen. Beide zeigen gelegentlich Überlastungserscheinungen. Etwas Anderes wäre für mich unrealistisch.

Weitere Figuren bringen Leben in die Geschichte. Allen voran Laberius Maximus, für mich der Antiheld des Romans. Ich kann nicht genau sagen, ob diese Figur die wesentlichen Kriterien eines Antihelden erfüllt. Es ist mir auch nicht sonderlich wichtig, ihn zu kategorisieren. Er ist ehrlich, manchmal ungehobelt, kritisch, eigenwillig, leicht unwirsch, maßlos bis grausam. Härte und Grausamkeit stellt er regelrecht zur Schau, indem er vor Soldaten eine Sklavin vergewaltigt. Dies war zu jener Zeit völlig rechtens. Er stellt Autoritäten in Frage und mischt so manche Szene auf. Jene Szenen, in die er hinein poltert, habe ich ausgesprochen gern geschrieben. Besonders auffällig verhält sich Maximus beim Wagenrennen im Circus: Er lässt sich in seiner Begeisterung für einen bestimmten Rennstall völlig gehen, ohne Rücksicht auf seinen Stand als Senator. Die Idee dazu kam mir, während ich auf dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause fuhr. Ich musste dermaßen lachen, dass ich sicherheitshalber vom Rad abgestiegen bin.

Für Gaius, den Protagonisten, ist der Einfluss des Laberius Maximus heilsam, und er begreift bald, welche Lektionen er diesem Mann verdankt. Vom echten Maximus wissen wir nur wenig. Im ersten Dakerkrieg führte der ehemalige Konsul eine Heeressäule durch den Rotenturmpass in Decebals Reich und nahm die Schwester des feindlichen Königs gefangen. Für diesen Erfolg wurde er mit dem ordentlichen Konsulat belohnt, den er als Kollege des Kaisers ausübte. Später fiel er in Ungnade und wurde auf eine Insel verbannt, wo er vermutlich auch starb. Worin sein Vergehen bestand, ist nicht überliefert (siehe dazu auch "Konkurrenten und Verschwörer 1" hier im Blog.

Ich entschied mich zunächst für eine Verbannung des Laberius nach dem ersten Dakerkrieg. Gaius, zu jenem Zeitpunkt in seinem Dienst, war zutiefst niedergeschlagen. Auch mir fehlte diese Figur sehr. Als ich nach längerer Pause den Roman zu Ende zu schrieb, änderte ich das entsprechende Kapitel und Maximus durfte im zweiten Dakerkrieg mit dabei sein. (Wann genau er in Ungnade fiel, ist nicht bekannt.) Aber es war nicht mehr wie zuvor. Er gab gewissermaßen seine Abschiedsvorstellung. Die Figur hatte sich ausgetobt und irgendwann hieß es abtreten.

Eine Romanhandlung entwickelt ihr Eigenleben, und meine Geschichte hat eine Figur wie Maximus dringend gebraucht. Dass der Antiheld auch positive Charakterzüge hat, dürfte eigentlich klar sein - aber lest selbst.

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