Sonntag, 26. Mai 2019

Von Alexander zu Trajan (2)

Alexander der Große wird heute durchaus kritisch betrachtet. In der Antike war er eine Ausnahme-Persönlichkeit, berühmt, schon zu Lebzeiten ein Held, ein Mythos, geradezu ein Halbgott. Er veränderte die damalige Welt und jeder Feldherr musste in ihm ein Vorbild sehen, denn er war ein genialer und mutiger Stratege, selbst waffenerprobt, stark und tapfer. Damals, als das Recht des Stärkeren herrschte, waren ihm Glanz und Ruhm sicher. Seine Eroberungszüge hatten den Nimbus von Heldentaten.

Von Kaiser Trajan ist überliefert, dass er sich während des Partherkrieges dessen bewusst war, auf den Spuren des Makedonen zu wandeln. In Babylon suchte er das Sterbezimmer Alexanders auf. Am Persischen Golf schließlich bedauerte er sein Alter, das ihn hinderte, so weit wie Alexander vorzudringen, und nannte ihn einen glücklichen Mann. Ist ihm dabei bewusst gewesen, dass sein Idol bereits mit 32 Jahren verstorben war? In jenem Alter hatte Trajan die höheren Ämter des cursus honorum vor sich und an seine künftige Herrschaft war noch nicht zu denken.

Trajan war kein leiblicher Sohn eines Monarchen, der Kindheit und Jugend bei Hofe verbracht hatte. Er verdankte seine Herrschaft einer besonderen politischen Konstellation: Er wurde vom Kaiser Nerva adoptiert, als dieser einer Stütze bedurfte. Die römische Kaiserzeit kennt mehrere Beispiele dafür, dass junge Herrscher, die bereits als Prinzen zur Welt gekommen waren oder relativ jung an die Macht kamen, ihrer Verantwortung für das Reich nicht bzw. nicht vollständig gerecht wurden. Beispiele sind Caligula, Nero, Commodus und auch Domitian. Ihre Herrschaft begann vielversprechend und wurde problematisch – bis hin zu ihrem gewaltsamen Ende. Erfahrene Männer, die sich in politischen Ämtern und militärischen Kommandos in verschiedenen Provinzen des Imperiums bewährt hatten, erwiesen sich als geeigneter. Zu jenen Männern zähle ich Vespasian, Trajan, Hadrian und Antoninus Pius. Sie verstanden ihre Herrschaft als Dienst am Reich. Sie besaßen die persönliche Reife, um Verantwortung wahrzunehmen, ohne sich in Eskapaden zu verstricken.

Der Grund für den Partherkrieg Trajans war eine Vertragsverletzung der Parther. Wie weit die Pläne des Imperators und seiner Berater reichten, ist nicht überliefert und wurde höchstwahrscheinlich nicht öffentlich gemacht. Ob Trajan in seinen letzten Jahren nach Kriegsruhm dürstete, wissen wir nicht. Darüber gibt es kontroverse Ansichten, die aber letztlich spekulativ bleiben. Hildegard Temporini, eine Kennerin jener Zeit, nennt Trajan einen Realpolitiker und hält es für unwahrscheinlich, dass er sich in politischen Entscheidungen von einer romantischen Alexander-Verehrung leiten ließ. Herr Prof. Strobel, ebenfalls Experte, sieht die Ereignisse kritischer und nennt den Partherfeldzug ein „Abenteuer“.

Trajan agierte als Feldherr anders als Alexander. Seine Feldzüge waren gründlich vorbereitete Unternehmungen. Der Imperator stützte sich auf einen gewaltigen Apparat: eine perfekt organisierte Berufsarmee, ritterliche und senatorische Offiziere, erfahrene Centurionen, Legionen und Hilfstruppen, seine Berater, Beamte, aber auch Techniker wie sein Architekt Apollodoros. Auch der mitunter kritische Cassius Dio berichtet, dass Trajan seine Pläne mit Bedachtsamkeit verfolgte. Er leitete die Feldzüge, aber er tat sich nicht durch waghalsige Aktionen hervor. Bis auf den Angriff auf Hatra, wo ihm die Pfeile der Gegner gefährlich nahe kamen, sind keine Situationen überliefert, in denen er in Lebensgefahr geriet. Er führte Heeresabteilungen, beobachtete Schlachten, suchte verschiedene Kriegsschauplätze auf, hielt Besprechungen ab, empfing Gesandte. Gelegentlich spornte er seine Soldaten dadurch an, dass er zu Fuß mit ihnen marschierte und die Flüsse durchwatete. Er nahm an Waffenübungen teil, hielt Ansprachen an das Heer und leitete Opfer, die in Vorbereitung von Feldzügen obligatorisch waren. Zu seinen Aufgaben als Heerführer gehörte auch die Sorge für die Verwundeten. Der Imperator war kein Vorkämpfer, sondern übergeordneter Leiter des Unternehmens, der das Kriegsgeschehen überblickte. Trajan war bestrebt, die Truppen durch seine persönliche Anwesenheit zu motivieren. Auch darin sehe ich einen Dienst am Imperium und nicht etwa einen privaten Abenteuertrip.

Ich halte es aber für möglich, dass ihn die militärischen Erfolge und vor allem das Vordringen nach Armenien, Mesopotamien, nach Babylon und bis zum persischen Golf verändert haben. Und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass auch ein Realpolitiker wie Trajan sich von der Gunst der Stunde und persönlichen Emotionen hinreißen ließ. Wenn sein Ausspruch angesichts eines nach Indien segelnden Schiffes authentisch ist, hat er sich dadurch, dass er seiner Sehnsucht Ausdruck verlieh, angreifbar gemacht. Tatsache aber ist, dass er sich mit einer Fahrt aufs Meer zufrieden gab und umkehrte. Der Realpolitiker in ihm hat letztlich gesiegt.

Auch das Privatleben Trajans wich von dem Alexanders ab. Alexander war mit drei Frauen gleichzeitig verheiratet: Roxane, Stateira und Parysatis. Barsine war seine Geliebte. Er hatte aber auch Beziehungen zu Männern. Darüber, wie weit seine enge Freundschaft mit Hephaistion ging, kann man nur spekulieren. Die Liebe von Männern zu Knaben oder jungen Männern war in der griechischen Antike völlig normal. Dabei nahm der erwachsene oder ranghöhere Mann die Rolle eines Mentors ein, aber das Verhältnis war meist nicht nur platonisch.

Trajan heiratete Plotina, ehe er Kaiser wurde, und blieb ihr Gatte bis an sein Lebensende. Der Überlieferung nach war es eine harmonische Ehe: Plotina verhielt sich ganz im Sinne ihres Mannes und nahm vorsichtig und diplomatisch ihren Einfluss wahr. Ob Liebe im Spiel war, wissen wir nicht und dies war in der Antike ohnehin von untergeordneter Bedeutung. Ehen in der Oberschicht Roms wurden aus Kalkül eingegangen. Überliefert ist jedoch Trajans Vorliebe für Knaben, die gewiss Sklaven waren. Außerdem ist seine Liebe zu einem Pantomimen namens Pylades und seine Schwärmerei für den Prinzen Arbandos, Sohn des Fürsten von Edessa, überliefert. Beziehungen zu Knaben und jungen Männern waren auch in der römischen Aristokratie üblich, die sich am griechischen Vorbild orientierte. Trajan war in Beziehungen maßvoll, denn es sind keinerlei Exzesse von ihm bekannt und es wird nur erwähnt, dass er niemandem schadete. Zur Sexualität in der Antike, auch in der Ehe, siehe Beitrag "Prostitution".

Ein Bindeglied zwischen Alexander und Trajan ist die Herakles (Hercules)-Verehrung beider Persönlichkeiten. Alexander stammte der Überlieferung nach von Herakles ab und fühlte sich als Erbe von Heroen. Das war keineswegs Größenwahn, sondern eine damals sehr starke Wertebindung. Trajan wiederum verehrte den Hercules Gaditanus seiner südspanischen Heimat. Menschen brauchen Orientierung und Vorbilder. Gereifte Persönlichkeiten vermögen den Wert solcher Orientierung zu erkennen, gehen aber ihren eigenen Weg. Alexander der Große war eine beeindruckende, die Welt prägende Erscheinung, Eroberer eines riesigen Reiches und ein hochbegabter Mensch. Seine Faszination ist – bei aller Kritik – ungebrochen. Aber ich würde einem Alexander als Staatsmann nicht vertrauen. Dem Realpolitiker Trajan schon.

Literatur:

Hans-Joachim Gehrke: „Alexander der Große“, Verlag: C.H.Beck, ISBN: 9783406410437

Plutarch: „Alexander“, Reclam Universal-Bibliothek, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-15-019261-0

Hildegard Temporini: „Die Frauen am Hofe Trajans“, De Gruyter, Berlin 1978, ISBN 3-11-002297-4

Karl Strobel: "Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte", Verlag Pustet, Regensburg, 2010, ISBN 978-3-7917-2172-9

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