Freitag, 17. Mai 2019

Von Alexander zu Trajan (1)

Im Winter des Jahres 116 spielte sich im Süden Mesopotamiens eine hollywoodreife Szene ab. Kaiser Trajan hatte, ohne auf Widerstand zu stoßen, die parthische Königstadt Ktesiphon erobert. Er fuhr mit einer Flotte den Tigris hinunter bis zum Persischen Golf. Dort verlangte er, aufs Meer hinaus zu fahren. Er sah ein nach Indien segelndes Schiff und beklagte, zu alt zu sein, um wie Alexander der Große nach Indien zu reisen. In Babylon hatte er Alexanders Sterbezimmer aufgesucht und dem makedonischen König ein Opfer dargebracht. Der Kaiser sandte Siegesbotschaften an den Senat, worauf dieser ihm das Recht einräumte, so viele Triumphe zu feiern wie er wollte. Die Erfolge Trajans sollten nicht von Dauer sein.

Wie wahrscheinlich jeder Feldherr der Antike, hat Trajan Alexander verehrt und bewundert. Ob er sich ihm ebenbürtig oder sich als sein Nachfolger fühlte, können wir nicht wissen. Persönliche Motive eines römischen Kaisers durften nach offizieller Version kein Grund sein, Kriege zu führen, und wurden daher auch nicht publik gemacht. Ich möchte mich zunächst Alexander dem Großen zuwenden, um die Verehrung seiner Person nachvollziehen zu können.

Alexander wurde 356 v.Chr. in Pella als Sohn des makedonischen Königs Philipp II. geboren. Philipp organisierte und zentralisierte sein Reich und war bestrebt, seinen Einfluss auf ganz Griechenland auszudehnen. Griechenland war keine politische Einheit, sondern bestand aus rivalisierenden Stadtstaaten. Als diese Philipps Machtstreben durchschauten, vereinten sie sich gegen ihn. Es kam zur Schlacht, die Philipp dank seiner hervorragend ausgebildeten Armee für sich entschied. Von da an beherrschte Makedonien Griechenland. Alexander genoss eine umfassende und gründliche Erziehung. Aristoteles wurde sein Lehrer. Der Königssohn war, wenn man der Überlieferung Glauben schenkt, schon als Kind ungewöhnlich ehrgeizig, wissbegierig, hatte viele unterschiedliche Interessen und einen starken Willen. Die Siege seines Vaters betrübten ihn, weil er fürchtete, dieser würde ihm nicht genügend Herausforderungen übrig lassen. Er war aber auch freundlich und großzügig, so dass ihm Zuneigung und Bewunderung der Menschen zufielen. Philipp plante einen Krieg gegen die Perser, aber er kam nicht mehr dazu, dieses Vorhaben auszuführen. Er fiel 336 einem Attentat zum Opfer und der erst zwanzigjährige Alexander wurde sein Nachfolger. Zuvor war es zur Feindseligkeiten zwischen Vater und Sohn gekommen. Der Verdacht, Alexander und seine Mutter Olympias hätten Philipp ermorden lassen, ließ sich nie ganz ausräumen und ist durchaus plausibel.

Alexander trat die Nachfolge seines Vaters an. Man kann sagen, dass er während seiner Herrschaft fast ständig mit Kriegen oder deren Vorbereitung beschäftigt war. Sein Ziel war es, die damalig bekannte Welt zu erobern. Er und seine Truppen zogen durch Kleinasien, weiter nach Syrien und nach Ägypten, wo er Alexandria gründete. Er eroberte Mesopotamien und Babylonien, schlug den Perserkönig Dareios, der ihm entfloh und schließlich von seinen eigenen Leuten ermordet wurde. Fortan war Alexander Herrscher über Asien. Konkurrenten und Kritiker bestrafte er mit äußerster Härte. Seinen verstorbenen Feinden zollte er Respekt und ließ sie ehrenvoll bestatten. In Makedonien war Polygamie rechtens. Philipp war mehrmals verheiratet gewesen, und auch Alexander ging politische Ehen ein. Barsine, Stateira, Roxane, Parysatis– und natürlich Hephaistion – Alexanders Beziehungen liefern Stoff für mehrere Romane! Bisexualität und Promiskuität der antiken Oberschicht sind ein Thema für sich.

Von Persien aus drang Alexander mit seinem Heer immer weiter vor: Er streifte das Kaspische Meer, zog weiter nach Innerasien und schließlich nach Indien. Eine Fahrt auf den Indischen Ozean hinaus beendete den Eroberungszug. Die Truppen wollten nicht mehr weiter ziehen. Auf einem mühsamen, opferreichen Marsch gelangte Alexander der Große schließlich zurück nach Mesopotamien. Er plante die Eroberung Arabiens, aber dazu kam es nicht mehr. Am 10. Juni des Jahres 323 starb Alexander in Babylon. Er war vermutlich an Malaria erkrankt.

Mit seinen Eroberungszügen, deren Dimensionen alles damals Vorstellbare sprengten, hat sich Alexander Ruhm erworben, der bis heute nachwirkt. Dies gelang ihm durch die Politik seines Vaters, seine persönlichen Begabungen, wozu politische Klugheit, militärisches Geschick und eigene Kühnheit gehörten. Seine Feldherren waren seine engsten Freunde, mit denen er aufgewachsen und erzogen worden war. Das Wichtigste aber war sein Charisma, das seine Truppen dazu brachte, ihm bis ans Ende der damals bekannten Welt zu folgen. Alexander war absolut mitreißend, setzte immer wieder sein Leben ein und ging in seiner Kühnheit und Opferbereitschaft all seinen Leuten voran. Er verfügte über ein unerschütterliches Bewusstsein seiner Lebensaufgabe. Er gewann Schlachten gegen vielfache Übermacht auf Grund von List und militärischer Geschicklichkeit, aber vor allem wegen seines persönlichen Mutes. Völlig furchtlos stürmte er ins Zentrum, während sich manche seiner Offiziere an den Flanken herumplagten und der Erfolg noch nicht abzusehen war. Damit schockierte er seine Gegner, die oftmals ihr Heil in der Flucht suchten. Nicht einmal von Kriegselefanten ließ er sich abschrecken – und gewann wieder eine Schlacht gegen ein zahlenmäßig stärkeres Heer. Alexander nahm jede Schlacht an, oft unter für ihn ungünstigen Voraussetzungen, und immer siegte er. Er wurde mehrmals verwundet, davon mindestens einmal lebensgefährlich.

Jener starke innere Antrieb, die Welt zu erobern, zu Lebzeiten ein Held zu sein wie Achilles und Hector, die Protagonisten der Ilias, war Alexanders Erfolgsgeheimnis. In der heutigen Welt wäre er sicher ein Entdecker, ein Grenzgänger, vielleicht ein Extremsportler oder Wissenschaftler. Jeder Coach hätte seine Freude an Alexander – und würde früher oder später an ihm verzweifeln. Alexander ließ sich von niemandem einspannen. Alexander drückte der Welt seinen Stempel auf. Er fasziniert, berührt und polarisiert bis heute.

Alexander sah sich als Nachfolger von Göttern und Heroen. Während die Lebensläufe mancher Persönlichkeiten der Geschichte nach ihrem Tode überhöht wurden, lebte Alexander den Mythos. Schon zu Lebzeiten wurde er zum Halbgott, der seinem Willen, seinem Traum tausende, ja zehntausende Menschenleben opferte. Seiner Strahlkraft und seinem gewinnenden Wesen steht seine Brutalität gegenüber, mit der er jeglichen Widerstand im Keim erstickte. Seinen engen Freund Kleitos durchbohrte im Alkoholrausch mit einer Lanze, als dieser einige Worte der Kritik aussprach. Philotas, den Sohn seines engsten Vertrauten Parmenion, ließ er foltern und anschließend hinrichten. Grund war vermutlich eine Verschwörung. Im Mai 330 ließ Alexander den Palast von Persepolis anzünden, wahrscheinlich unter Alkoholeinfluss. Gelage, sogenannte Symposien, gehörten zur griechischen und makedonischen Lebensart und dauerten mitunter Tage an. Die Sage des Trojanischen Krieges, die Ilias, die auch das antike Rom beeinflusste, berührte mich schon als Kind. Ich bin kein Fan von Brad Pitt, aber seine Darstellung des Achilles in „Troja“ war ein Ereignis, das seinesgleichen sucht: Achill, der im Grunde ein dunkler Held ist, einer, der tötet, weil er nichts Anderes kann – eine tragische Gestalt, ist neuzeitlich geprägt. Jene Darstellung vergisst das Leidenschaftliche, Heroische und auch die Zerrissenheit. Brad Pitts Achill ist ein entseelter Halbirrer. Alexander, voller Leidenschaft und Charisma, kam dem Achilles der antiken Mythologie näher. Die Sehnsucht Alexanders nach Grenzen und sein Willen, diese zu überwinden, sind, denke ich, für Menschen der Neuzeit sehr nachvollziehbar. Was Alexander den Großen und Kaiser Trajan verband und was beide Persönlichkeiten trennte, wird Gegenstand des meines nächsten Beitrags sein.

Literatur:

Hans-Joachim Gehrke: „Alexander der Große“, Verlag: C.H.Beck, ISBN: 9783406410437

Plutarch: „Alexander“, Reclam Universal-Bibliothek, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-15-019261-0

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