Samstag, 5. Juni 2021

Caligulas Nemi-Schiffe

In meiner Kindheit empfand ich die Prunkgondel des sächsischen Kurfürsten Friedrich August III., die im Schlosspark Pillnitz zu besichtigen ist, als etwas ganz Besonderes, und konnte mir nicht richtig vorstellen, dass dieses Schiffchen wirklich benutzt wurde (es wurde). Jene Gondel hätte im Vergleich zu den Nemi-Schiffen Caligulas gerade mal zum Beiboot getaugt. Caligula war vier Jahre lang Herrscher eines Weltreiches und in seiner Gigantomanie übertraf er alle anderen Kaiser des Prinzipats. Sueton erwähnt seine Baumaßnahmen, die nicht aufwändig genug sein konnten: er ließ Dämme im tiefen Meer errichten, Lavagestein abtragen, Berge einebnen. Und wer mit einer Schiffsbrücke den Golf von Baiae überspannen ließ, nur um über das Meer reiten zu können, der bestieg bei einer Seereise keine gewöhnliche Liburne, sondern er ließ Schiffe bauen „deren Heck mit Edelsteinen besetzt und deren Segel bunt waren, die aber auch auf reichlich bemessenem Raum Bäder, Säulengänge und Speisezimmer … aufwiesen. Auf diesen Schiffen wollte er am hellichten Tag unter Chorgesang und Musik zechend die Küste von Kampanien entlangfahren.“

Man könnte diese Schilderungen für eine Übertreibung halten. Doch 1929 und 1932 wurden zwei große und nicht nur prachtvoll, sondern geradezu modern ausgestattete Schiffe aus dem Nemisee in den Albanerbergen geborgen. In der Gegend hatte sich über die Zeiten hinweg die Legende eines Schatzes im See erhalten. Fischer hatten immer mal Gegenstände aus dem Wasser geholt und die ersten Bergungsversuche gab es bereits im 15. Und 16. Jahrhundert. Bei Versuchen im 19. Jahrhundert wurde dann klar, dass es sich um zwei Schiffe handelte, doch es kam zu Beschädigungen, ohne dass sie geborgen werden konnten. Mussolini plante die Bergung der Schiffe aus dem See mit großem Aufwand. Zunächst musste ein antiker Tunnel repariert werden, durch den das Wasser des Sees abgelassen werden konnte. Eine Zufahrtsstraße wurde gebaut und im Zuge der Baumaßnahmen wurde die antike Straße entdeckt, die zum dortigen Heiligtum der Diana führte. 1929 wurde das erste Schiff aus dem See geborgen, 1932 das zweite. Was für eine Sensation! Die Schiffe wurden restauriert und 1940 in einem eigens dafür errichteten Museum ausgestellt. Sie zählen zu den längsten Holzschiffen, die jemals existierten.

Die Schiffe waren über 70 Meter lang und mehr als 20 Meter breit. Sie waren ziemlich groß für den Nemisee. Eines der Schiffe trug einen Tempel für die Göttin Diana, die der Kaiser verehrte – er hatte auch das alte Heiligtum am See restaurieren lassen. Das andere Schiff war ein schwimmender Palast und Lustgarten des Kaisers mit Thermen und einem Warmwassersystem. Die Bleirohre tragen Caligulas Namen, und damit ist der Beweis geliefert, dass ihm die Schiffe gehörten. Sie waren sorgfältig von Marineingenieuren und Werftarbeitern nach dem Muster römischer Großkampfschiffe errichtet worden. Die Schiffsrümpfe waren mit Bleiplatten beplankt und eines der Schiffe war auf Grund seiner Stabilität und Breite hochseetauglich. Zur besonderen Stabilität gab es neben dem Kiel in der Mitte auch Nebenkiele. Es wird angenommen, dass es sich um Prototypen handelte, um Experimente römischer Schiffbauer, aber es ist auch gut denkbar, dass Caligula den vollen Aufwand in Auftrag gab und Schiffe mit allem Drum und Dran haben wollte, die auf dem Meer hätten fahren können, obwohl sie dafür nie vorgesehen waren.

Leider werden die Schiffe in antiken Quellen nicht erwähnt, und es ist auch nicht bekannt, wann sie im See versenkt wurden. Denkbar ist, dass dies anlässlich der Ermordung des Kaisers oder bald danach geschah. Die Nachwelt konnte sich nicht lange an diesen wundervollen Zeugnissen antiker Schiffbaukunst erfreuen. Leider wurden sie im Jahr 1944 durch einen Brand zerstört. Als Verursacher wurden deutsche Wehrmachtssoldaten beschuldigt, aber auch andere Möglichkeiten sind in Erwägung gezogen worden. Es ist unendlich schade, dass die Schiffe zwar viele Jahrhunderte, jedoch nicht den zweiten Weltkrieg überstanden haben. Im heutigen Museum befinden sich vierzehn Meter lange Modelle der Schiffe und Einzelstücke, die gerettet wurden. Der „Caesarenwahn“ Caligulas hat letztlich etwas hervorgebracht, bei dessen Anblick Menschen der Neuzeit bewundernd auf die Leistungen der Antike blicken konnten.

Literatur:

H.D.L. Viereck: "Die römische Flotte", Nikol Vlgs.-Ges., Hamburg, 1996, ISBN 3-930656-33-7

Wikipedia-Artikel über die Nemi-Schiffe

Der Standard.de: „Nazis zerstörten Caligulas Riesenschiffe“

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