Samstag, 24. April 2021

Livia, die erste Kaiserin Roms

Der Geschichtsschreiber Cassius Dio überliefert eine Äußerung von Livia, die sich wie ein Ausschnitt aus einem Interview liest: "Einmal fragte sie jemand, wie sie einen so starken Einfluss auf Augustus bekommen habe. Sie antwortete: Dadurch, dass sie selbst auf ein tadelloses, sittliches Benehmen geachtet, gerne seine Wünsche erfüllt, sich nie in seine Angelegenheiten gemischt und vor allem so getan habe, als merke sie nichts von seinen Liebschaften." Ich habe mir in diesem Zusammenhang den Blick in die antiken Quellen gespart, denn sie sind bekanntermaßen frauenfeindlich, vor allem, da es um eine bedeutsame Frau geht, die mehr Einfluss hatte, als es den altrömischen Tugenden entsprach. Das waren keine persönlichen Animositäten der Autoren, das war gesellschaftlicher Konsens. Frauen galten damals als Menschen zweiter Klasse, als zänkisch, charakterschwach und als Intrigantinnen. Livia wurde sogar verdächtigt, alle potentiellen Thronfolger des Augustus aus dem Weg geräumt zu haben, um ihrem Sohn Tiberius den Weg zur Macht zu bahnen. Das hat sie ganz gewiss nicht getan. Denn Livia war nur so einflussreich, wie Augustus es ihr gestattete.

Livia Drusilla stammte aus zwei bedeutenden Familien des alten Adels, den Claudiern und den Liviern. Ihr Vater war ein Claudius, der aber von einem Livier adoptiert worden war. Die Claudier waren Patrizier, die Livier eine bedeutende plebejische Familie. Livia war vierzehn Jahre alt, als Caesar ermordet wurde. Ihr Vater war Anhänger der Caesar-Mörder und landete bald auf den Proskripitionslisten der Triumvirn (Octavian, Marcus Antonius und Lepidus). Er floh in die Ostprovinzen des Reiches. Seine Tochter verheiratete er mit einem Verwandten, Tiberius Claudius Nero, Vater des späteren Kaisers Tiberius. Auch Claudius Nero sympathisierte mit den Caesar-Mördern. Er war ungefähr 26 Jahre älter als Livia. Solche Altersunterschiede in römischen Ehen waren nicht ungewöhnlich. Noch bevor Livia ihren ersten Sohn zur Welt brachte, stürzte sich ihr Vater in sein Schwert. Nach dem Sieg Octavians bei Actium hatte er keine Hoffnung mehr.

Livia und ihr Mann flohen mit dem kleinen Tiberius aus Rom und Italien über Sizilien nach Sparta, wo sie "Asyl" fanden, denn Sparta war den Claudiern verbunden. Claudius Nero sympathisierte mit Marcus Antonius. Als die Triumvirn sich einigten, konnten Livia und ihr Mann nach Rom zurückkehren. Am 23. September 39 feierte Octavian seinen 24. Geburtstag. Wahrscheinlich begegneten er und Livia sich erstmals bei dieser Feier. Nach Tacitus fand Augustus Livia sehr anziehend und verliebte sich auf der Stelle in sie. Doch politisches Kalkül hat ganz sicher eine Rolle gespielt: diese Frau brachte ihm Verbindungen zur alten Aristokratie ein, die er als Emporkömmling gut brauchen konnte. Livia war zwanzig Jahre alt und hochschwanger. Octavian bat Claudius Nero, sich von ihr scheiden zu lassen. Claudius Nero war klug genug, darauf einzugehen. Es war seine persönliche Versöhnung mit Octavian. Bei der Hochzeit von Octavian und Livia war er anwesend und übergab seine Ex-Frau sogar ihrem künftigen Gatten. Diese Eheschließung galt in der Öffentlichkeit als ein Skandal. Eigentlich durfte eine schwangere Frau per Gesetz keinen anderen heiraten, aber Octavian sorgte für eine Sondererlaubnis durch das Kollegium der Pontifices. Wieder einmal ein Beweis, dass dieser Mann vor nichts zurückschreckte! Seine Ehe mit Livia sollte allerdings sehr harmonisch sein und bis an sein Lebensende andauern.

Drei Monate nach der Hochzeit wurde Drusus geboren, Livias zweiter Sohn. Es gab Gerüchte, wonach dieser aus einem ehebrecherischen Verhältnis von Livia und Octavian stammte, und dazu passte es, dass Octavian Drusus seinem älteren Bruder vorzog. Damals ging der spöttische Spruch um: "Wer Glück hat, bekommt auch ein Dreimonatskind."

Drusus und Tiberius wuchsen bei ihrem Vater auf, bis dieser starb. Dann nahmen Octavian und Livia die beiden in ihr Haus. Claudius Nero hatte verfügt, dass Octavian Vormund der Jungen wurde. Im Jahre 35 wurden die Gattinnen der bedeutenden beiden Triumvirn außergewöhnlich geehrt. Octavia, Octavians Schwester, war mit Marcus Antonius verheiratet gewesen, doch der hatte sie verstoßen, um mit Kleopatra zusammenzuleben. Diese Entscheidung wurde von Octavian politisch ausgeschlachtet und beschleunigte das Ende von Antonius. Livia und Octavia wurden nach dem Willen Octavians unantastbar wie Volkstribunen, und sie durften, anders als die meisten Matronen, ohne Vormund sein. Ihnen wurden Statuen in der Öffentlichkeit errichtet. Die Art und Weise, wie Octavian/Augustus Gattin und Schwester ehrte, mag sich Trajan später von ihm abgeschaut haben. Octavia, die ihre eigenen Kinder aus früherer Ehe, die gemeinsamen mit Marcus Antonius und auch die von Antonius und Kleopatra großzog, galt ebenso als Ideal einer tugendhaften Römerin wie Livia. Doch Livia hatte eine komplizierte Fehlgeburt und konnte Augustus keine Kinder gebären, obwohl er sich sehnlichst gemeinsame Nachkommen wünschte. Seine Tochter Julia aus erster Ehe gebar ihm die beiden Enkel Gaius und Lucius, auf denen seine große Hoffnung ruhte. Doch zunächst war sein Wunschnachfolger Octavias Sohn Marcellus. Leider starb auch dieser hoffnungsvolle junge Mann viel zu früh.

Nach dem Sieg über Antonius und Kleopatra und dem Freitod der beiden war Octavian unangefochten mächtigster Mann Roms - und Livia war die Gattin des Siegers. Im Jahr 30 v.Chr. gab Octavian mit großer Geste sein Imperium zurück, um dem Senat und römischen Volk die alten Befugnisse zu geben, so dass (scheinbar) der Zustand wie vor den Bürgerkriegen wiederhergestellt war. Doch in Wirklichkeit hatte sich die Lage grundlegend geändert. Man bat ihn, im Interesse des inneren Friedens weiterhin den Staat zu leiten. Er erhielt nach und nach Sonderrechte und es bildete sich die Herrschaftsform des Prinzipats heraus. Als ihm im Jahr 27 v. Chr. der Name Augustus verliehen wurde, der auch eine besondere sakrale Bedeutung hatte, war seine Ausnahmestellung gefestigt. Er ging geduldig und diplomatisch vor und ebenso verhielt sich auch Livia - ganz im Sinne ihres Gatten. Und das war durch und durch römisch. Die Frau folgte dem Beispiel ihres Ehemannes. Plinius der Jüngere konnte im Jahr 100 im Senat sagen, Plotina hätte all ihre guten Eigenschaften von Trajan. Und wirklich füllte sie ihre Rolle ähnlich perfekt aus wie Livia, und auch sie übte so viel Einfluss aus, wie sie konnte und durfte.

Im Jahr 9 v.Chr. ehrte Augustus seine Gattin mit dem Dreikinderrecht, das sonst nur Männern und den Vestalinnen zustand. Damit wurde sie von Strafen befreit, die Kinderlosen durch die neuen Sittengesetze drohten. Jene Gesetze waren sehr streng und nicht wirklich umzusetzen. Der Princeps legte Wert auf Propaganda und seine Hinwendung zu den alten Sitten war zwar wirkungsvoll inszeniert, doch voller Doppelmoral. Er selbst hielt seinen hehren Idealen keineswegs stand. Und er schreckte nicht davor zurück, Julia, sein einziges Kind, diesem Propagandafeldzug zu opfern. Sie musste ihren freizügigen Lebensstil mit der Verbannung auf eine Insel büßen. Auch der Dichter Ovid, der wohl zu Julias Bekanntenkreis zählte, musste ins Exil gehen.

Augustus schätzte Livias Meinung. Wenn er sie um Rat fragte, machte er sich vorher Aufzeichnungen, eine Art Stichwortzettel. Beide wohnten auf dem Palatin in getrennten Häusern und Haushalten. Das Haus der Livia ist heute noch für seine Wandmalereien berühmt. Aber sie verbrachten auch Zeit auf Samos, wo sie sich besonders gern aufhielten. Livia erlebte die ganzen familiären Tragödien mit: den Tod des Marcellus, den des Agrippa, des treuesten Anhängers und Helfers des Princeps, den ihres eigenen Sohnes Drusus, der sie besonders traf, den frühen Tod des Germanicus und die Anschuldigungen seiner Witwe Agrippina. Der Tod der beiden Enkel und Adoptivsöhne Gaius und Lucius traf Augustus so sehr, dass er den Verlust nie überwand. Auch Livia hat sicher um die jungen Männer getrauert. Und sie muss besorgt gewesen sein, als sich Tiberius nach Rhodos zurückzog. Er hatte sein freiwilliges Exil erzwungen und protestierte auf diese Weise gegen seine Behandlung durch Augustus. Als von allen Thronfolgekandidaten letztlich nur Tiberius übrig blieb, der endlich wieder in Rom lebte und vom Princeps adoptiert wurde, mag Livia erleichtert gewesen sein. Doch sie kannte auch den schwierigen Charakter ihres Sohnes. Würde er der Aufgabe gewachsen sein, die auf ihn wartete? Doch die Frage erübrigte sich: Augustus selbst kannte die unangenehmen Wesenszüge des Tiberius gut genug, hielt sie jedoch für verzeihlich. Tiberius war tüchtig, und es gab sonst niemanden mehr, der als Nachfolger in Frage kam.

Augustus war immer kränklich, doch er erreichte ein hohes Alter von fast 76 Jahren. Auch in vorgerücktem Alter schlief er mit jungen Frauen, die Livia sogar ausgesucht haben soll. Augustus war, und darin folgte er Caesar, ein Herzensbrecher. Marcus Antonius neckte ihn früher, er schliefe ja nicht nur mit Livia, sondern mit der halben Aristokratie. Es heißt, er habe die Frauen der einflussreichen Männer auf diese Weise auch aushorchen wollen. Aber das macht es auch nicht gerade besser. Als der Princeps am 19. August des Jahres 14 in den Armen seiner Frau starb, sprach er: "Livia, gedenke unserer glücklichen Ehe und lebe wohl!" Man könnte sagen, Augustus inszenierte sich noch auf dem Totenbett, doch dass seine Ehe nach damaligen Maßstäben glücklich war, bezweifelt wohl niemand.

Augustus hatte Livia nicht nur zur Miterbin eingesetzt, er adoptierte sie auch testamentarisch, so dass sie fortan Julia Augusta hieß. Livia erreichte beim Senat, dass Augustus unter die Staatsgötter erhoben wurde. Sie selbst wurde Priesterin des verstorbenen Princeps. Tiberius hatte nach der Scheidung von Julia nicht mehr geheiratet und somit war Livia quasi Kaiserin neben ihrem Sohn. Als sie sich nach seinem Empfinden übermäßig ehren ließ, trat er dem entgegen. Einige Ehrungen nahm er nicht an, um auch Livia auszuschließen. Ihrem Sohn gegenüber war sie nicht diplomatisch: Sie meinte, dass er ihr seine Macht verdankte, und ließ ihn das spüren. Doch Tiberius war konservativ und meinte, man solle Frauen nicht übermäßig ehren. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn verschlechterte sich mit den Jahren, und er entmachtete sie schrittweise. Diplomatie war nicht mehr angesagt, zumal Tiberius eher ehrlich und unbequem war.

Im Jahre 29 n.Chr. starb Livia im Alter von 86 Jahren. Tiberius lebte schon eine Weile auf Capri. Er hatte seine Mutter nicht während ihrer Krankheit besucht und kehrte auch nicht zu ihrer Bestattung nach Rom zurück. Livias Urenkel Gaius, Sohn des Germanicus - der spätere Kaiser Caligula - hielt die Trauerrede. Er hatte einige Jahre im Haus seiner Urgroßmutter gelebt und stand ihr nahe. Tiberius ließ keine öffentliche Ehrung seiner Mutter zu und erfüllte auch nicht ihre testamentarischen Verfügungen. Er lehnte es ab, Livia unter die Staatsgötter zu erheben. Dafür sorgte später ihr Enkel Claudius, als er Kaiser war, denn durch seine Großmutter war er Augustus verbunden. Mit einiger Verspätung, aber immerhin, wurde Livia im Jahr 42 zur Diva.

Literatur:

Hildegard Temporini: "Die Kaiserinnen Roms", Beck-Verlag München, ISBN 3 406 49513 3

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