Samstag, 10. April 2021

Kaiser Tiberius 14-37 n.Chr.

Am 17. September des Jahres 14 n. Chr. bestätigte der Senat die Alleinherrschaft des Tiberius. Der Mann, der die Herrschaft übernahm, wollte weder große Reden halten, noch Ehrungen entgegennehmen oder sich feiern lassen. Er wollte seine Pflicht tun.

Er machte dem Senat den Vorschlag, die enorme Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Das kann eine Geste der Bescheidenheit gewesen sein – oder auch echte Absicht. Die Senatoren jedoch ärgerten sich über sein Zögern, konfrontierten ihn mit der Tatsache, dass die Aufgabe nicht zu teilen sei, und Tiberius nahm im Interesse des Staates an. Manche Senatoren hatten sich über das Hin und Her so geärgert, sie ihn aufforderten, endlich zu herrschen oder es bleiben zu lassen.

Tiberius unternahm den Versuch, den Senat stärker als Augustus wieder an Entscheidungen zu beteiligen. Auch in diesem Zusammenhang bezichtigten ihn antike Historiker der Verstellung: er habe nur scheinbar Freiheiten ermöglichen wollen. Die Senatoren deuteten das Entgegenkommen des Princeps als dessen Schwäche. Sie ließen ihn das spüren und isolierten ihn in Abstimmungen. Schon dadurch muss Tiberius allmählich resigniert haben.

Bald nach seinem Herrschaftsantritt ereigneten sich zwei Todesfälle, die Aufsehen erregten. Agrippa Postumus, der Enkel des Augustus, war in der Verbannung ermordet worden. Die Überlieferung ist unschlüssig darüber, ob noch Augustus selbst den Befehl dazu gab oder ob dessen Gattin Livia ihre Hände im Spiel hatte - möglicherweise sogar mit Billigung durch Tiberius. Wahrscheinlicher klingt die Version, wonach ein Centurio von der Wachmannschaft des Agrippa eigenmächtig gehandelt hatte. Auch Julia, die ehemalige Gattin des Tiberius, starb in der Verbannung - wahrscheinlich eines natürlichen Todes. Doch beide Todesfälle überschatteten den Beginn seiner Amtszeit.

Tiberius regierte pragmatisch und mit Bemühen um Stabilität. Beamte in den Provinzen ließ er ungewöhnlich lange im Amt. Auf Eroberungskriege war er nicht aus, sondern bevorzugte diplomatische Lösungen. Er wollte keine glanzvollen Auftritte in der Öffentlichkeit und benahm sich relativ bescheiden, eher wie ein Privatmann. Als er den Titel "Vater des Vaterlandes" ablehnte, kam das nicht gut an. Es bedeutete, dass er kein Landesvater sein wollte. Er bedauerte es auch, sich als Herrscher an der öffentlichen Meinung orientieren zu müssen.

Die Truppen in Pannonien und in Germanien begannen zu meutern. Tiberius sandte seinen Sohn Drusus nach Pannonien, aber dieser konnte sich nur mühsam durchsetzen. Der Kaiser hatte einen guten Ruf bei den Soldaten; sie kannten ihn als umsichtigen und geschickten Feldherrn. In Germanien aber war Germanicus, der beliebte junge Neffe des Tiberius, im Amt. Er hatte Mühe, die Revolte zu bekämpfen. Die Soldaten sicherten ihm sogar ihre Unterstützung zu, falls er Kaiser werden wolle. Doch Germanicus ließ sich nicht darauf ein. Er musste mit äußerster Härte gegen die meuternden Soldaten vorgehen.

Germanicus nutzte nun die Gelegenheit, der Stimmung der Soldaten eine andere Richtung zu geben: er begann neue Kämpfe gegen die Germanen und manche seiner Vorstöße waren eigenmächtig, d.h. nicht mit Tiberius abgestimmt. Er wollte die Niederlage des Varus rächen. Er suchte mit seinen Soldaten das ehemalige Schlachtfeld auf und ließ die Toten bestatten. Doch im Jahr 17 berief Tiberius Germanicus ab. Die Feldzüge waren verlustreich und ohne nennenswerte Erfolge gewesen. Der Princeps kannte die Lage dort sehr gut und wusste, dass sich die Stämme bald gegenseitig bekämpfen würden, wenn sie Rom nicht mehr als gemeinsamen Feind hatten.

Germanicus durfte in Rom einen prächtigen Triumph feiern. Es war der letzte Triumphzug, den ein Feldherr feierte, der nicht selbst der Kaiser war. Dann wurde er in den Osten des Imperiums geschickt, nach Kappadokien, um das Klientelkönigreich zur römischen Provinz zu machen. Er sollte auch diesen Bereich des Imperiums kennenlernen. Unterstützen sollte ihn der Statthalter von Syrien, Piso, ein Freund des Tiberius. Doch Germanicus und Piso kamen nicht gut miteinander aus. Germanicus gelang es, sowohl Kappadokien, als auch das benachbarte Kommagene dem römischen Imperium einzuverleiben.

Als Germanicus im Jahre 19 nach Ägypten reiste, war Tiberius verärgert, denn eigentlich war es Senatoren verboten, Ägypten zu betreten. Augustus hatte es so verfügt, um zu verhindern, dass ein Aristokrat die Getreideversorgung Roms unter seine Kontrolle bringen konnte, um eigene Machtansprüche geltend zu machen. Ägypten wurde von Rittern verwaltet. Germanicus reiste als Tourist, aber dennoch hatte er seine Befugnisse überschritten oder zumindest eigenmächtig interpretiert. Als er nach Syrien zurückkam, gab es wieder Auseinandersetzungen mit Piso, so dass dieser abreisen wollte. Germanicus erkrankte plötzlich und starb bald darauf im Alter von 33 Jahren. Damit war Tiberius seines Adoptivsohnes und Nachfolgers beraubt. Agrippina, die Gattin des Tiberius jedoch beschuldigte Piso, Germanicus vergiftet zu haben, und sie beschuldigte auch Livia und Tiberius, in den Mord involviert zu sein. Tiberius hatte Germanicus als seine Stütze betrachtet und dass er ihn beseitigen wollte, ist auszuschließen. Höchstwahrscheinlich war auch Piso unschuldig und Germanicus erlag einer Krankheit. Doch die Ereignisse überschatteten wieder die Herrschaft des Kaisers. Dass Livia und Tiberius in der Öffentlichkeit nicht exzessiv um Germanicus trauerten, wurde nicht gut aufgenommen und verstärkte die Gerüchte. Doch die Feierlichkeiten um seine Beisetzung waren aufwändig und glanzvoll.

In Syrien hatten Freunde des Germanicus einen neuen Statthalter eingesetzt, und Piso wiederum unternahm einen Versuch, diesen zu stürzen. Das war versuchter Bürgerkrieg, und der Senat verurteilte ihn dafür zum Tode. Piso kam dem Urteil zuvor und nahm sich das Leben. Tiberius war in diesen Ereignissen nicht in der Lage, sich so zu positionieren, dass ihm das Volk Glauben schenkte und Partei für ihn ergriff.

Im Jahr 17 gab es in der Provinz Asia schwere Erdbeben. Tiberius half großzügig, rasch und unbürokratisch: die betroffenen Städte erhielten Finanzhilfen und jahrelange Steuerbefreiungen.

Magier und Astrologen, die vor allem aus Kleinasien kamen, wurden von Tiberius aus Italien ausgewiesen. Im Widerspruch dazu betrieb er selbst Astrologie, war abergläubisch und hatte auch einen persönlichen Astrologen – der natürlich an seinem Hof verblieb. Die ägyptische und die jüdische Religion waren den Römern suspekt. Tiberius zwang Ägypter und Juden, Insignien ihrer religiösen Kulte zu verbrennen. Viertausend Juden im geeigneten Alter wurden nach Sardinien deportiert und dort gezwungen, gegen Aufständische und Räuber zu kämpfen. Kamen sie im ungesunden Klima der Insel um, war das der Zentrale in Rom nur recht. Alle anderen mussten ihrem Glauben abschwören oder Italien verlassen.

Im Jahr 21 n.Chr. zog sich Tiberius für mehrere Monate nach Kampanien zurück. In dieser Zeit gab es einen Aufstand in Germanien, den der Kaiser lediglich durch Anweisungen aus der Ferne unter Kontrolle brachte. Als man ihm vorwarf, dass weder er noch Drusus selbst vor Ort gewesen sei, antwortete er, er benötige keine Nachhilfe im Kriegführen. Als man ihm gar einen Triumph zuerkennen wollte, lehnte Tiberius ab und wies auf seine Kriegsleistungen und Triumphe in jungen Jahren hin - er hätte so etwas im Alter nicht mehr nötig. Auch damit machte er sich keine Freunde.

Im Jahr 23 n.Chr. starb Drusus, der Sohn des Tiberius, nach längerer Krankheit. Tiberius hatte währenddessen pflichtbewusst weitergearbeitet und seinen Sohn nicht öffentlich betrauert. Wieder verstand man ihn nicht und hielt ihn für kaltherzig. Tatsächlich muss es ihn schwer getroffen haben, dass er seinen Sohn überlebte. Gerüchte machten den Prätorianerpräfekten Seian für den Tod des Drusus verantwortlich, was jedoch sehr unwahrscheinlich ist. In Folge empfahl Tiberius die beiden älteren Söhne der Agrippina, Drusus Julius Caesar und Nero Julius Caesar, dem Senat als seine potentiellen Nachfolger. Zu jener Zeit starben auch seine ehemalige Frau Vipsania, einer seiner beiden Enkel und einer seiner treuesten Freunde unter den Senatoren. All diese Verluste müssen ihn mürbe und zunehmend depressiv gemacht haben.

Höchstwahrscheinlich wurde der Kaiser durch seinen Prätorianerpräfekten ermutigt, sich nach Capri zurückzuziehen. Doch es muss dem Kaiser auch selbst ein tiefes Bedürfnis gewesen sein. Seian war sein treuester Untergebener und wurde quasi sein Stellvertreter in Rom. Zuvor hatte er seine eigene Stellung ausgebaut und dafür gesorgt, dass die kaiserliche Garde in einem Kastell bei Rom zentral untergebraucht wurde. Seian war ehrgeizig und wollte sogar in die kaiserliche Familie einheiraten. Doch Tiberius widersetzte sich seinen Heiratsplänen: er war sehr standesbewusst und machte das Seian unmissverständlich klar. Der Präfekt hatte höchstwahrscheinlich nicht vor, selbst Princeps zu werden - dies war einem Ritter zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich. Doch er wurde sehr mächtig in Rom, durfte sogar Münzen prägen lassen und wurde mit Statuen geehrt. Sein Geburtstag wurde zum Feiertag. Das waren ungewöhnliche Ehrungen. Tiberius, der wenigen Menschen vertrauten konnte, setzte in Seian besonderes Vertrauen. Der Präfekt hatte den Kaiser bei einem Gastmahl in einer Grotte vor Steinschlag geschützt, als er sich über ihn warf und ihn mit seinem Körper deckte. Er bestärkte Tiberius in seiner Angst vor Verschwörungen - es waren wohl Agrippina und ihre Familie, die verdächtigt wurden. Und Tiberius ging darauf ein. Im Jahr 26 zog er sich auf die Insel zurück, die schwer zugänglich war, und erließ eine Verordnung, wonach man ihn in seiner Ruhe nicht stören durfte. Seian und seine Prätorianer kontrollierten, wer den Princeps noch aufsuchte. Die Flotte von Misenum mag nun öfter Capri angelaufen haben - für die Kontrolle über das Meer und die Inseln war sie schließlich da. Manchmal ging der Kaiser auch an Bord eines Schiffes und fuhr an der Küste Kampaniens entlang. Auf Capri wurde ein Signalturm errichtet. Vermutlich wurde die Flotte durch Licht- oder Rauchzeichen kontaktiert, wenn Tiberius Kontakt wünschte. Dieser Rückzug aus der Öffentlichkeit war eine Kapitulation des Herrschers, der auf diese Weise die Akzeptanz der Bevölkerung verlor. Tiberius regierte zwar weiter, korrespondierte mit dem Senat und traf Entscheidungen, doch die Kommunikation verlief mit Verzögerung, und oftmals verlor sich der Princeps in Andeutungen, statt Klartext zu reden – wozu er durchaus in der Lage war.

Im Jahr 29 starb Livia im hohen Alter von 86 Jahren. Das Verhältnis zwischen ihr und Tiberius war immer schwierig gewesen. Sie hatte sich oft einmischen wollen und darauf bestanden, dass der Sohn nicht seinen Leistungen, sondern allein ihr die Herrschaft verdankte. Sie holte sogar alte Briefe des Augustus hervor, in denen sich dieser über Tiberius und seinen Charakter beklagt hatte, um sich ihren Sohn durch persönliche Angriffe gefügig zu machen. Das rärgerte ihn sehr. Doch die Pietät hätte es geboten, dass Tiberius seiner Mutter die letzte Ehre erwies. Dass er dies nicht tat und sich nur per Brief entschuldigen ließ, nahm ihm die Öffentlichkeit übel. Er erklärte die testamentarischen Verfügungen Livias für ungültig und verhinderte auch die Ehrungen, die der Senat für sie beschlossen hatte. Von da an, hieß es, wurde er immer einsamer und grausamer.

Seian bewirkte vielleicht, dass Tiberius seine Schwiegertochter und Feindin Agrippina in die Verbannung schickte. Als sie dagegen protestierte, ließ er sie auspeitschen, berichtet Sueton, so dass sie ein Auge verlor. War das wirklich nötig? Genügte es nicht, sie ihrer Strafe zuzuführen, die schon grausam genug war? Sie wählte in der Verbannung den freiwilligen Hungertod. Einer ihrer Söhne wurde ebenfalls verbannt, ein anderer auf dem Palatin gefangen gehalten, wo er verhungerte. Dafür mag Seian gesorgt haben, aber Tiberius hätte die grausamen Urteile abmildern müssen. Ein weiterer Sohn des Germanicus und der Agrippina, Gaius (Caligula), lebte einige Jahre mit Tiberius zusammen auf Capri.

Im Jahr 31 wurde Seian Konsul - zusammen mit Tiberius. Doch dann zog sich der Kaiser aus dem Amt zurück. Weil Seian nicht gleichzeitig Konsul und Prätorianerpräfekt sein konnte, wurde er durch Macro, den bisherigen Kommandant der Vigiles, der Feuerwehr, abgelöst – ein geschickter Schachzug des Kaisers, mit dem er Seian in Sicherheit wiegte, obwohl sein Sturz längst im Gange war. Die Garde erhielt ein Geldgeschenk. Schließlich ließ Tiberius Seian in den Senat bestellen, entmachten und verhaften. Dabei sollen auch die Vigiles im Einsatz gewesen sein, um notfalls die Prätorianer in Schach zu halten. Seian und seine drei Kinder wurden hingerichtet. Antonia, die Schwiegertochter des Tiberius und Nichte des Augustus, hatte den Kaiser vor dem Präfekten gewarnt. Hatte Seian wirklich einen Staatsstreich geplant? Es gab Gerüchte, er hätte Drusus, den Sohn des Tiberius, vergiften lassen. Möglicherweise hat Tiberius daraufhin seinem Präfekten das Vertrauen entzogen. Der Verdacht einer Verschwörung sorgte für Majestätsprozesse und Hinrichtungen. Von unzähligen Leichen in den Gefängnissen war die Rede. Tiberius wurde gehasst und gefürchtet.

Im Jahr 32 kam es in Rom zu Unruhen, weil der Brotpreis durch Versorgungsprobleme gestiegen war. Es gab Missstimmungen und Vorwürfen gegen den Kaiser. Tiberius beschuldigte die Senatoren und Beamten, nicht genügend durchzugreifen. Doch wäre es nicht seine Aufgabe gewesen, selbst einzugreifen und die Not zu lindern? Im Jahr 33 bewies er noch einmal Verantwortungsbewusstsein, als er eine Finanzkrise durch zinslose Kredite entschärfte, die er selbst zur Verfügung stellte. Auch während eines Brandes in Rom stellte er große Summen zur Verfügung. In echter Not war er außergewöhnlich großzügig, doch weil es Ausnahmen waren, erreichte er die Herzen der Menschen nicht.

Am 16.März des Jahres 37 starb Tiberius am Cap Misenum. Er hatte noch einmal einen Landaufenthalt eingelegt, war aber bereits kränklich. Als er wieder nach Capri zurückkehren wollte, wurde er durch schlechtes Wetter aufgehalten und starb in einer Villa im Alter von 78 Jahren. Gerüchte, wonach der Präfekt Macro und Caligula seinen Tod beschleunigten, lassen sich nicht bestätigen. Von Tiberius sind keine letzten Worte überliefert. Er ernannte keinen Nachfolger. Sein Enkel Tiberius Gemellus und sein Großneffe Gaius, Sohn des Germanicus, kamen in Frage. Der Prätorianerpräfekt Macro favorisierte Gaius und sicherte ihm die Unterstützung der Garde.

Die Bevölkerung der Stadt Rom jubelte über den Tod des Kaisers. "In den Tiber mit Tiberius!", riefen die Leute. Dennoch zog der tote Herrscher in Rom ein und wurde neben Augustus in dessen Mausoleum bestattet. Gaius hielt ihm die Trauerrede und er hat auch den Trauerzug begleitet, wobei ihm die Herzen der Menschen zuflogen. Er bewies Pietät und der Anfang seiner Regierung war vielversprechend. Was dann aus Caligula und seiner Herrschaft wurde, ist bekannt: ein finsteres Kapitel der römischen Kaiserzeit.

Literatur:

Holger Sonnabend: Tiberius, Kaiser ohne Volk, Zabern-Verlag, 2021, ISBN 978-3-8053-5258-1

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen