Freitag, 2. April 2021

Tiberius: sein Werdegang bis zur Alleinherrschaft im Jahr 14

Als ich hier über Augustus schrieb, beschloss ich, mir seine Nachfolger in der julisch-claudischen Dynastie für später aufzuheben. Anlass, mich nun dem zweiten Princeps Tiberius zu widmen, war meine aktuelle Lektüre. Ich las die Romantrilogie von Iris Kammerer: "Der Tribun", "Die Schwerter des Tiberius" sowie "Wolf und Adler". Die Romane sind hervorragend, ich kann sie nur wärmstens empfehlen. Der zweite Band, besonders aber die Abschlussszene des ersten Bandes hat mich gepackt. Iris Kammerer ist es gelungen, Tiberius zum Leben zu erwecken, und zwar mit einer unglaublichen Präsenz. Aber: es ging um seine guten Jahre, noch vor seiner Herrschaft, als er zwar misstrauisch und manchmal arrogant, aber insgesamt realistisch, integer und kompetent – und außenpolitisch erfolgreich war. Jener Mann strahlte keine Wärme aus, was aber nicht heißt, dass er keine in sich trug. Er war zurückhaltend und pragmatisch, Gefühle zeigte er selten und vor allem nicht öffentlich. Er war kein Politiker der Herzen. Das Volk mochte ihn nicht, aber er war ein arbeitsamer, verantwortungsvoller und bedachtsamer Heerführer und Verwalter. Auftritte auf der ganz großen Bühne lagen ihm nicht. Er wurde als grausam und heuchlerisch missverstanden. Er war ein wenig menschenscheu und somit als Kaiser nicht unbedingt eine Idealbesetzung. Tiberius war gebildet und loyal, aber auch hölzern und nachtragend. Alles in allem war er ein Politiker von Format, und Iris Kammerer wird ihm absolut gerecht - gerechter als so mancher antike Historiker.

Der spätere Kaiser stammte aus der Familie der Claudier, einem vornehmen Patriziergeschlecht. Mit vollständigem Namen hieß er Tiberius Claudius Nero wie sein Vater. Der Name Nero war ein häufiges cognomen in der claudischen Familie. Die Mutter des Tiberius war Livia Drusilla, später Gattin des Kaisers Augustus. Livia war damals noch sehr jung und der Vater des Tiberius stand im Bürgerkrieg zwischen den Mördern und Anhängern Caesars auf der falschen Seite. Die Eltern mussten mit dem Baby nach Sizilien und Griechenland fliehen, um den Proskriptionen zu entgehen. Sie gerieten dabei mehrmals in Gefahr. Als sich die Lage endlich beruhigte, lernte Octavian, der Sieger, Livia kennen und begehrte sie sogleich als seine Gattin. Der Vater des Tiberius musste sie ihm überlassen und spielte sogar den Brautvater - im Tausch gegen politische Sicherheit. Nur drei Monate nach der Eheschließung wurde Drusus, der Bruder des Tiberius, geboren. Es ist möglich, dass er ein Sohn des Augustus war, denn dieser zog ihn Tiberius vor. Jenes Schicksal sollte sich für Tiberius mehrmals wiederholen: Augustus setzte ihn immer wieder zurück.

Tiberius war ein stattlicher Mann mit harmonischen Proportionen. Er hatte große Augen und soll sogar bei Dunkelheit gut gesehen haben – was reichlich negativ-legendär klingt; eine Affinität zur Finsternis. Er soll nur selten gescherzt haben. Zu Ironie war er durchaus fähig. Er trug einen einfachen Kurzhaarschnitt, aber im Nacken war sein Haar etwas länger. Ich habe gelegentlich erlebt, dass Porträts Trajans fälschlicherweise Tiberius zugeordnet wurden. Haarschnitt und ernster Gesichtsausdruck stimmen weitgehend überein, und dennoch kann man beide Herrscher eigentlich nicht miteinander verwechseln. Tiberius hatte ein schmaleres Gesicht, sein Kinn war weniger ausgeprägt, seine Stirn höher und ich finde, man erkennt die Ähnlichkeit mit seiner Mutter Livia.

Octavian/Augustus überließ beide Söhne dem Tiberius Claudius Nero zur Erziehung. Als dieser starb, hielt der neunjährige Tiberius die Trauerrede. Dies war sein erster öffentlicher Soloauftritt. Dreizehnjährig war er beim Triumph des Octavian über dessen Siege in Illyrien, bei Actium und in Ägypten dabei. Er ritt links vor dem Wagen des Triumphators, rechts ritt Marcellus, der Neffe Octavians, der wohl dessen Wunschnachfolger war. Marcellus heiratete Julia, die einzige Tochter Octavians, während Tiberius mit Vipsania Agrippina verlobt wurde, der Tochter des Vipsanius Agrippa, eines Getreuen Octavians.

Sein Militärtribunat absolvierte Tiberius in Spanien, als Augustus dort Krieg gegen die Kantabrer führte. Auch Marcellus war dabei. Nach Beendigung des Krieges förderte Augustus die beiden jungen Männer, indem er ihnen einen frühen Eintritt in die Ämterlaufbahn ermöglichte. Marcellus wurde Ädil und durfte mit dem Geld des Augustus Spiele finanzieren, Tiberius hingegen erhielt die untergeordnete Position eines Quästors. Auf diesem Posten - er war für die Getreideversorgung zuständig - leistete er gute Arbeit, wie immer in seiner Laufbahn. Marcellus, der Wunschnachfolger des Augustus, starb früh, schon 25 n. Chr.

Seinen ersten außenpolitischen Erfolg hatte Tiberius bei diplomatischen Verwicklungen mit den Parthern und Armeniern. Während Augustus nach Syrien reiste, um dort zu verhandeln, sollte sich Tiberius um die Verhältnisse in Armenien kümmern. Der armenische Königssohn Tigranes war nach Rom geflohen; sein Bruder Artaxes hatte widerrechtlich, d.h. ohne Anerkennung Roms, die Herrschaft übernommen. Doch er wurde ermordet, noch ehe Tiberius mit seinem Heer einmarschierte. Der Konflikt war gelöst und wurde als Erfolg verkauft. Augustus konnte durch Verhandlungen erreichen, dass die Feldzeichen des Crassus, die die Parther erbeutet hatten, zurückgegeben wurden.

Zurück in Rom, wurde Tiberius mit Vipsania Agrippina verheiratet. Es war eine harmonische Ehe, und bald wurde der Sohn Drusus geboren. Der Bruder des Tiberius, ebenfalls ein Drusus, hatte mit seiner Gattin Antonia mehrere Kinder, von denen nur drei überlebten: Germanicus, Livilla und Claudius - der spätere Kaiser.

Im Jahr 16 v. Chr. wurde Tiberius Prätor und bald danach Statthalter in Gallien. In dieser Zeit gab es Konflikte mit den Germanen; Augustus eilte selbst nach Gallien. Es kam zu einer Niederlage gegen germanische Stämme, für die der Statthalter Lollius verantwortlich war. Nun sah Augustus die Zeit gekommen, sich in Feldzügen gegen Germanien zu profilieren. Tiberius und Drusus wurden beauftragt, in die Alpen und ins Alpenvorland einzudringen.

Tiberius gelangte bis an den Bodensee, wo er gegen die Briganten kämpfte, denen die heutige Stadt Bregenz ihren Namen verdankt. Die Insel Mainau war Stützpunkt des Tiberius während einer Seeschlacht. Der Sieg über die Alpenvölker endete mit der Errichtung der Provinz Rätien. Tiberius hatte sich als militärischer Experte für die Nordprovinzen bewährt.

Im Jahre 13 v. Chr. wurde er Konsul. Im Folgejahr verstarb sein Schwiegervater Agrippa. Augustus zwang Tiberius, sich von Vipsania scheiden zu lassen und seine Tochter Julia zu heiraten, die Agrippas Frau gewesen war. Sie war zu jung, um Witwe zu sein, und musste standesgemäß neu verheiratet werden. Es heißt, dass sie Tiberius schon vor der Eheschließung attraktiv fand, was diesen wiederum abstieß - es war schlicht unmoralisch. Tiberius litt sehr darunter, dass er Vipsania verstoßen musste. Als sie ihm später begegnete, war er wie erstarrt und hatte Tränen in den Augen. Aber er fügte sich in das Arrangement des Augustus. Anfangs müssen Tiberius und Julia ganz gut miteinander ausgekommen sein, aber dann kam es zum Zerwürfnis, vielleicht auch durch den Tod des gemeinsamen Sohnes, und sie schliefen fortan getrennt.

In den Jahren 8 bis 7 v. Chr. war Tiberius Befehlshaber in Germanien. Zuvor hatte er in Pannonien die Lage bereinigt und war dafür mit den Triumphalinsignien ausgezeichnet worden, ohne selbst triumphieren zu dürfen. Diese Verfahrensweise etablierte sich in der Kaiserzeit: nur der Princeps selbst durfte im Triumph einziehen. Drusus, der Bruder des Tiberius, hatte einen Vorsprung in der Gunst des Augustus und der Livia. Doch er starb an den Folgen eines Unfalls, den er in Germanien erlitt. Tiberius wurde von Augustus beauftragt, zu ihm zu eilen, und es gelang ihm, den Bruder noch lebend anzutreffen. Er überführte den Leichnam des Drusus nach Rom, wo er im Mausoleum des Augustus beigesetzt wurde.

Die Offensiven gegen die Germanen wurden nun von Tiberius geleitet und waren erfolgreich. Anfang des Jahres 7 v.Chr. feierte er einen Triumph. Dieser Lohn für seine Leistungen mag ihn endlich zufrieden gestimmt haben. Doch Augustus hatte seine Enkel Gaius und Lucius adoptiert und somit war er nicht in dessen Nähe gerückt.

Im Jahre 6 v. Chr. kam es dann zum Bruch zwischen ihm und dem Princeps. Tiberius erbat vom Kaiser, sich nach Rhodos zurückziehen zu dürfen. Er wollte Gaius und Lucius nicht im Weg sein und wahrscheinlich war seine Entscheidung auch eine kritische Geste gegenüber Augustus, der ihn noch immer nicht als seinen wichtigsten und treuesten Helfer anerkennen wollte. Auch die Entfremdung von Julia kann ein Grund gewesen sein. Augustus protestierte zunächst, doch Tiberius gab nicht nach und trat schließlich in Hungerstreik. Auch Livia konnte ihn nicht umstimmen. Im Jahre 6 v. Chr. reiste Tiberius nach Rhodos ab; Augustus hatte ihm die Genehmigung erteilt. Allerdings betonte der Kaiser immer wieder in der Öffentlichkeit, Tiberius hätte ihn im Stich gelassen. Vielleicht hätte er sich deutlicher zu ihm bekennen sollen.

Rhodos hatte nicht nur ein angenehmes Klima, sondern lag auch an Seefahrtsrouten und bot ein geistiges Leben, das Tiberius schätzte. Er war dem Griechischen sehr zugetan, liebte die Literatur und die Sprache und wurde häufig in seinem freiwilligen Exil besucht, obwohl er sich Mühe gab, lediglich als Privatmann dort zu leben. Er ist ein Beispiel mehr dafür, dass Bildung und militärisches Geschick einander nicht ausschlossen. Doch sein Entscheidung, sich zurückzuziehen, wurde in Rom nicht gut aufgenommen.

Auf Rhodos erreichte Tiberius der Bescheid des Augustus, dass er Julia - seine Tochter und Gattin des Tiberius - in die Verbannung geschickt hatte. Sie war wohl kein Kind von Traurigkeit und Augustus, der die alten Tugenden und Moralvorstellungen stärken wollte, musste sie kalt stellen. Tiberius fügte sich - wieder einmal. Zunächst verwehrte Augustus ihm die Rückkehr nach Rom, aber später gab er nach, und Tiberius durfte wieder kommen, musste sich allerdings von Staatsdingen fern halten. Die beiden Enkel des Augustus, die er adoptiert hatte, starben beide jung. Daraufhin musste Tiberius ran: Augustus hatte niemanden sonst, den er zum Nachfolger aufbauen konnte

Augustus litt sehr unter dem Verlust seiner Enkel. Doch das Leben musste weitergehen. Tiberius war der beste Feldherr und verantwortungsvollste Verwalter, über den das Reich verfügte. Sicher hat auch Livia auf Augustus eingewirkt. Im Jahre 4 n.Chr. wurde Tiberius von Augustus adoptiert. Er musste zuvor Germanicus, den Sohn seines Bruders Drusus, adoptieren. Endlich erkannte ihn der Kaiser als seinen loyalen Helfer und Nachfolger an, und fortan stützte er sich auf ihn. Er fand sogar warme, berührende Worte für seinen Stief- und Adoptivsohn. Tiberius erhielt die Rechte eines Volkstribuns, die tribunicia potestas, für zehn Jahre. Er war nun der Kronprinz - im Alter von 46 Jahren.

In den Jahren 4-6 n.Chr. war Tiberius wieder Feldherr in Germanien, ehe er nach Pannonien geschickt wurde, um dort Aufstände niederzuschlagen. Im Jahre 9 kam es in Germanien zur Katastrophe, als germanisch-römische Hilfstruppen abfielen und das Heer des Varus in eine Falle lockten. Hätte Tiberius die Niederlage verhindern können? Ich meine, er an Stelle des Varus hätte sich nicht in den Hinterhalt locken lassen.

Angesichts der Katastrophe verzichtete Tiberius auf einen Triumph, der ihm auf Grund seiner Erfolge in Pannonien zugestanden hätte. In den Jahren 10-12 n.Chr. musste er wieder einmal in Germanien die Situation stabilisieren. Abgelöst wurde er von Germanicus, seinen Neffen, der davon besessen war, die Niederlage des Varus zu rächen. Im Jahre 13 n. Chr. verlieh Augustus seinem potentiellen Nachfolger das imperium proconsulare, die Befehlsgewalt über die Provinzen. Tiberius unterstützte den greisen Augustus in allen Lebenslagen, ob bei politischen Entscheidungen oder bei Gastmählern, als der Nachfolger dem erschöpften Herrscher die Schriftrolle abnahm, aus der dieser vorgelesen hatte. Augustus, der oft kränklich war, starb im stolzen Alter von 76 Jahren. Tiberius soll in seinen letzten Stunden bei ihm gewesen sein. Er wusste, vor welche Herausforderungen er gestellt war. Er war entschlossen, auch darin Augustus zu gehorchen, der ihm die Herrschaft vermacht hatte. Dass er durchaus zwiespältige Gefühle hatte, sollte sich bald zeigen.

Literatur:

Holger Sonnabend: Tiberius, Kaiser ohne Volk, Zabern-Verlag, 2021, ISBN 978-3-8053-5258-1

Iris Kammerer: " Der Tribun" Heyne-Verlag, ISBN-13 : 978-3453873599 "Die Schwerter des Tiberius", Heyne-Verlag, ISBN-13 : 978-3453873605

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