Samstag, 23. Mai 2020

Flottenstützpunkt Misenum

Wie differenziert die antike Schifffahrt war, gerät manchmal ein bisschen in den Hintergrund – zu Unrecht. Die Römer haben Schiffbau und Seefahrt nicht erfunden, sondern vieles bei Seefahrernationen wie den Karthagern und Griechen abgeschaut. Und obwohl die Marine nicht annähernd die Bedeutung wie das Landheer erlangte, war sie doch wichtig und wurde wie die gesamte römische Ordnung mit System und Pragmatismus organisiert. Das Thema begeistert mich immer wieder aufs Neue und ich habe hier schon im Beitrag „Zur See“ darüber gebloggt. Jedem Interessierten kann ich das Museum für Antike Schifffahrt in Mainz empfehlen, natürlich auch die unten erwähnte Literatur.

Zwei Hauptflotten kontrollierten während der Dominanz Roms den Mittelmeerraum. Sie hatten die Aufgabe, gegen Piraten und Schmuggler vorzugehen, aber sie kamen auch unterstützend in Feldzügen zum Einsatz, vor allem beim Truppentransport. In Ausnahmesituationen wie Bürgerkriegen oder drohenden Angriffen auf Italien griff man auf die Marine zurück. In Rom und ganz Italien befanden sich bis auf die Gardetruppen, die Stadtkohorten (eine Polizeitruppe) und die paramilitärische Feuerwehr normalerweise keine Truppen. Wichtig waren die Marinesoldaten auch zum Schutz der zum Imperium gehörenden Mittelmeerinseln. Hauptstützpunkte waren Ravenna und Misenum im Golf von Neapel. Die Flotte von Misenum war die bedeutendere von beiden. Weitere Flottenstützpunkte der classis praetoria misenensis waren unter anderem Karthago, Piraeus, Ostia in der Nähe von Rom, Centumcellae (Civitavecchia) und Caralis (Cagliari). Die Stärke jener Flotte wird auf maximal 250 Schiffe geschätzt. Wohlgemerkt: das war nur eine der beiden Hauptflotten. Es gab auch bedeutende Provinzflotten, die vor allem Flüsse kontrollierten, sowie Flottenverbände auf Binnenseen und eigens zur Kontrolle von Häfen. Die Flotte von Misenum umfasste alle Schiffstypen, die für den militärischen Einsatz bekannt sind. Auf einige Schiffe werde ich noch eingehen.

Der Hafen Misenum entstand vermutlich unter Kaiser Augustus, der das Reich, seine Verwaltung und auch das Heer neu organisierte. Die Siedlung, die sich beim Hafen befand, wurde damals in den Rang einer Colonia erhoben. In jener Siedlung wohnte Plinius der Ältere, als er die Flotte im Jahr 79, dem Katastrophenjahr, kommandierte. Er war ritterlicher Präfekt. Armeekommandos waren bevorzugte Stationen in ritterlichen Laufbahnen. Plinius der Ältere war ein Gelehrter, aber auch ein in verschiedenen Funktionen bewährter Beamter und Offizier. Er hatte persönlichen und regelmäßigen Kontakt zu Kaiser Vespasian und Titus setzte in ihn sicher ebensolches Vertrauen wie sein Vater. Ein weiterer bekannter Präfekt der Flotte von Misenum ist für das Jahr 114 belegt: Marcius Turbo, der spätere Prätorianerpräfekt Hadrians, der schon unter Trajan bedeutende militärische Kommandos bekleidete.

Die Küste bot gute Voraussetzung zum Bau eines Hafens. Eine Halbinsel, die in eine Landzunge ausläuft (Capo Miseno), bot Schutz nach Süden hin. Daran schlossen sich beide Hafenbecken an. Das äußere davon war der Vorhafen, wo Schiffe für kürzere Zeit anlegen konnten. Der Vorhafen war von zwei versetzten Molen geschützt. Die Südmole war 180 Meter lang und durch doppelte Pfeiler stärker gebaut als die kürzere, versetzte Westmole. Hinter dieser Mole befand sich ja die Landzunge, die einen natürlichen Schutz bot. Um die Ufer des Vorhafens herum befanden sich Werften und andere Zweckbauten wie Kasernengebäude und Ausbildungsstätten für die Soldaten. Der Binnenhafen, heute Lago Miseno, war eine Lagune. Es gab eine Verbindung zum Vorhafen, die von den Schiffen zur Durchfahrt genutzt wurde. Über diese Durchfahrt führte eine Brücke hinweg, und darüber verlief die Straße zum berühmten Seebad Baiae. Das innere Hafenbecken bot auch Schiffen zum Überwintern genügend Schutz. Während des Winters ruhte die Schifffahrt. Der gesamte Hafen von Misenum war zwei Kilometer lang, maximal 500 Meter breit und die größte Tiefe betrug etwa 14 Meter.

Römische Kriegsschiffe unterschieden sich wesentlich von Handelsschiffen. Sie waren leichter gebaut, hatten kaum Tiefgang und nur wenige Decksaufbauten. Antike Kriegsschiffe waren vor allem schwimmende Plattformen zum Truppentransport. Übernachtet wurde in der Regel nicht an Bord, sondern an Land. Kriegsschiffe waren nicht so seetüchtig wie die Handelsschiffe und bewegten sich vorzugsweise entlang der Küsten oder auf Flüssen. Sie wurden von den Soldaten gerudert – die Ruderreihen sind ein wesentliches Kennzeichen. Doch sie hatten auch Segel, die bei günstigem Wind genutzt wurden. Wenn Schlachten bevorstanden, wurden Mast und Segel abgebaut und zurückgelassen. „Galeerensklaven“ gab es in der Antike nicht.

Der römische Marineinfanterist war ähnlich wie ein Legionär ausgerüstet. Er trug Helm und Panzer, dazu einen ovalen oder rechteckigen Schild als Körperschutz. Bewaffnet war er mit Wurfspeeren sowie Schwert und Dolch für den Nahkampf. Es gab Enterhaken, lange Sichelmesser zum Zerschneiden der Takelage feindlicher Schiffe, Enterbrücken und natürlich auch Pfeil- und Wurfgeschütze. Auch Brandlanzen, deren Spitzen mit Schwefel, Harz, Erdpech versehen waren, wurden auf gegnerische Schiffe geschleudert.

Als im Jahr 79 eine auffällige Wolke über dem Vesuv erschien, plante Plinius der Ältere eine Erkundungsfahrt. Er ließ dazu eine Liburne vorbereiten, ein leichtes Kriegsschiff mit zwei Ruderreihen (Bireme). Es gab Liburnen verschiedener Größe in der römischen Flotte: Flussliburnen waren kleiner und hatten eventuell nur eine Ruderreihe. Die Flotte von Misenum hatte hauptsächlich Triremen im Einsatz, Schiffe mit drei Ruderreihen. Doch als Plinius der Ältere zu einer Rettungsaktion auslaufen ließ, weil ihm eine Bewohnerin am Vesuv um Hilfe gebeten hatte, kamen Quadriremen, Vierruderer, zum Einsatz. Es handelte sich um größere Schiffe, besonders für Transporte geeignet. Plinius dachte an eine Evakuierung des Küstenabschnittes unterhalb des Vesuv, einer dicht besiedelten Gegend. Jene großen Schiffe waren an die 40 Meter lang und etwa fünf Meter breit. Eine schöne Darstellung (auch mit Querschnitt) einer Quinquereme (Fünfruderer) ist in Conollys Buch „Die Römische Armee" enthalten. Die Ruderer sitzen in Reihen versetzt übereinander: ein Mann, darüber zweimal zwei. Die Besatzung einer Trireme bestand aus 200 Mann, davon 170 Ruderern. Zur römischen Flotte gehörten auch spezielle Transportschiffe. Manchmal wurden Schiffe aus zivilem Einsatz umgerüstet. Octavia, die Schwester des Augustus, ließ phaseli mit Rammsporn, Turm und Verschanzungen ausrüsten und machte sie ihrem Bruder zum Geschenk. Der phaselus, ein schnelles Segelschiff, ging in die Literatur ein. Der Dichter Catull widmete solch einem Schiff sein Carmen IV.

Die Seefahrt war damals sehr vom Wetter und vom Wind abhängig. Bei seiner Fahrt nach Stabiae konnte Plinius günstigen Wind nutzen. Pomponianus, sein Offizier, der in die entgegengesetzte Richtung fliehen wollte, aber nicht mehr dazu kam, konnte wegen des Gegenwindes nicht auslaufen. Ungünstige Winde hielten Plinius den Jüngeren etwa dreißig Jahre später an der Küste der heutigen Türkei auf, als er nach Bithynien unterwegs war.

Plinius der Ältere sah sich während der Katastrophe gezwungen, seine Rettungsmission zu ändern. Die Küste unterhalb des Vesuv war durch herabstürzende Gesteinsbrocken unzugänglich geworden. Er fuhr weiter nach Stabiae, wo er am nächsten Tag den Tod fand. Was aus den Schiffen und ihrer Besatzung wurde, ist nicht überliefert.

Literatur:

H.D.L. Viereck: "Die römische Flotte", Nikol Vlgs.-Ges., Hamburg, 1996, ISBN 3-930656-33-7

Peter Conolly: „Die römische Armee“, Tessloff-Verlag, Hamburg 1976, ISBN 3-7886-0180/9

Plinius der Jüngere, Briefe, VI 16 und 20, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998, ISBN 3-15-059706-4

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