Samstag, 16. Mai 2020

Antike Katastrophen, Umgang damit und Bewertung

Hätte sich jemand in der Antike den Menschen entgegengestellt, die angesichts der Katastrophe aus Pompeji und Herculaneum flohen, und ihnen zugerufen, dass die Krise auch eine große Chance sei, hätten sie ihm mindestens eine runtergehauen, und zu Recht. Aber ein modernes Virus lässt die Menschenfischer des Internets zur Hochform auflaufen. Ich muss mir selber immer wieder klar machen, dass diese Leute Kunden akquirieren. Das relativiert einige Geschmacklosigkeiten.

Als Kaiser Titus im ersten Jahrhundert von der Katastrophe im Golf von Neapel erfuhr, leitete er sofortige Hilfsmaßnahmen ein. Er bildete eine Kommission aus Konsularen, welche die Hilfs- und Rettungsaktionen in Kampanien koordinieren musste. Die Landgüter von Verunglückten, die keine Erben hatten, wurden zu Zentren des Wiederaufbaus. Die Schicht aus Asche und Gestein, die Pompeji und Herculaneum bedeckte, war so undurchdringlich, dass an diesen Orten nichts mehr zu machen war. Vereinzelt ragten nur noch die Spitzen der höchsten Gebäude heraus. Hoffnungen, dort Überlebende zu finden, hatte niemand mehr. Selbst Plünderer kamen nicht durch. Andere Orte der Region waren zwar geschädigt, aber nicht vollständig zerstört. Dorthin hatten sich wohl auch Bewohner aus Pompeji und anderen verschütteten Städten geflüchtet. Pompeji hatte 20.000 Einwohner, von denen 2.000 tot aufgefunden wurden. Aus Herculaneum, das später betroffen war, konnten wahrscheinlich noch mehr Einwohner fliehen. Doch das einst blühende, reich besiedelte Kampanien war für längere Zeit nicht mehr das, was es einmal war.

Die Kaiser verstanden sich in hohem Maße als Landesväter. Sogar der berüchtigte Nero leistete nach dem Großbrand Roms im Jahre 64 konkrete Hilfe. Er kam sofort in die Stadt, denn er hatte sich außerhalb aufgehalten, öffnete private Parkanlagen für die Bevölkerung, ließ Notunterkünfte errichten, organisierte Lebensmittellieferungen aus dem Umland und senkte den Getreidepreis. Dennoch verbreitete sich das Gerücht, er selbst hätte den Brand legen lassen, was heute aber als unwahrscheinlich angesehen wird. Nach der Katastrophe ließ er den Schutt wegräumen und erließ neue Verordnungen zum Brandschutz. Und natürlich ließ Nero neu bauen. Er plante nicht nur seine eigene gewaltige Stadtvilla, das Goldene Haus, sondern er ließ auch Straßen instand setzen und stiftete Prämien für den Wiederaufbau durch Privatleute.

Kaiser Hadrian ließ im zweiten Jahrhundert die Straße zwischen Stabiae und Nuceria von Vulkangestein beräumen, so dass sie nutzbar wurde. Später wurde auch in Kampanien wieder gebaut.

Viele Menschen der Antike interpretierten Katastrophen als Strafe der Götter. Im Christentum erfuhren solche Interpretation noch eine Steigerung: Naturkatastrophen waren Vorboten der Apokalypse, des jüngsten Gerichtes. Tatsächlich bedeutet Apokalypse nicht Untergang, sondern Übergang und Wandlung. Auch heute gibt es Stimmen, die in Katastrophen schicksalhafte Strafen für unser modernes Leben sehen. Eher sind Katastrophen Folgen der Umweltzerstörung durch den Menschen und der negativen Aspekte der Globalisierung.

In der Antike waren Sühnegebete für sämtliche im Verdacht stehende Gottheiten Reaktionen auf Katastrophen. Doch auch damals gab es bereits Versuche, Naturkatastrophen wissenschaftlich zu erklären – die freilich heute etwas seltsam anmuteten. Und nicht jeder Mensch der Antike glaubte an die Götter des Olymp. Der gebildete Cicero glaubte nicht an die Weissagung, die Interpretation des Vogelfluges sowie die Eingeweideschau durch die Priester, hielt die religiösen Zeremonien jedoch für wichtig für die Moral und den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Plinius der Jüngere erlebte den Vesuvausbruch des Jahres 79 als Augenzeuge mit. Von den ersten, noch harmlosen Erdstößen, die der Katastrophe vorangingen, ließ er sich nicht beunruhigen: sowas käme in Kampanien schließlich häufig vor. Als das Erdbeben stärker wurde, hielt er es jedoch für besser, das Haus zu verlassen. Er und auch sein Onkel versuchten, angesichts der Katastrophe nicht in Panik zu geraten und sogar Ruhe auszustrahlen und andere zu ermutigen. Als der Ort Misenum von vielen Menschen fluchtartig verlassen wurde, fürchtete Plinius die Massenpanik nicht weniger als die Katastrophe und verließ mit seiner Mutter die Straße. Als sich der Himmel verdunkelte, befürchtete auch er den Untergang der Welt und rechnete mit seinem Tod, nicht panisch, sondern schicksalsergeben.

Die Beschäftigung mit Geschichte ist immer auch lehrreich für die Gegenwart, kann relativieren und für eine gewisse Gelassenheit sorgen. Katastrophen sind schlimm und tragisch, aber nach jeder Katastrophe ging das Leben schon immer weiter. Am Golf von Neapel wurde wieder gebaut, es entstanden Wohnhäuser, Tempel, Herbergen, Kneipen, Theater, Villen und Bordelle. Man arbeitete, und nach getaner Arbeit traf man sich, aß und trank zusammen, und man feierte – es gab viele Feiertage in der Antike. Es wurde gelebt, und so wird es wieder sein. Das sind doch Aussichten, die optimistisch stimmen.

Literatur:

Holger Sonnabend: "Naturkatastrophen in der Antike", Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 1999, ISBN: 978-3476015488

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