Sonntag, 29. März 2020

Marcus Aurelius: Kaiser, Philosoph und Krisenmanager

Marcus Aurelius wurde am 26. April des Jahres 121 geboren. Kaiser Hadrian regierte seit vier Jahren. Der Vater des Marcus starb früh, und er wuchs bei seinem Großvater auf. Die Familie war mit dem Kaiserhaus verwandt und dem Jungen wurde eine hervorragende Bildung zuteil. Marcus war schon als Kind sehr ernsthaft bei allem, was er tat und sich aneignete. Seine Lehrer liebte und verehrte er und war ein eifriger Schüler. Als Teenager lief er im Philosophenmantel herum und übte sich in Askese, indem er zeitweise auf dem Fußboden schlief.

Im Jahr 138 adoptierte Hadrian Antoninus, der als Kaiser den Beinamen Pius erhielt, unter der Bedingung, dass dieser Marcus Aurelius und Lucius Verus adoptierte. Im gleichen Jahr starb Hadrian. Eine Statue des Antoninus Pius steht vor der Saalburg. Berühmt ist das Reiterstandbild des Marcus Aurelius auf dem Kapitol in Rom - das einzige Bildnis dieser Art eines römischen Kaisers, das nicht im Mittelalter zerstört und eingeschmolzen wurde. Grund dafür war eine Verwechslung: es wurde fälschlicherweise für ein Bildnis des Kaisers Konstantin gehalten, der das Christentum anerkannte.

Zum Zeitpunkt seiner Adoption durch Antoninus war Marcus Aurelius 17 Jahre alt. Die Aussicht, einmal selbst Kaiser zu werden, soll ihn zunächst traurig gestimmt haben. Er wusste, dass dieses Amt für einen ernsthaften Menschen wie ihn eine Bürde sein würde. Bereits 140 ernannte Antoninus nur ihn allein zum Caesar - zu seinem Thronfolger. Marcus zog in den kaiserlichen Palast ein und lebte 23 Jahre mit Antoninus in gutem Einvernehmen. Er empfand für seinen Adoptivvater echte Liebe und echten Respekt und sah in ihm, wie auch in seinen Lehrern, ein Vorbild, dem er nacheiferte. Die stoische Philosophie, die er seine Mutter nannte, war für ihn Lebenshilfe und moralischer Halt. Marcus war mit seiner asketischen Art bei einigen Römern nicht so beliebt wie Lucius Verus, der viel mehr Lebemann war als er. Aber während seiner Regierungszeit, die von Krisen bestimmt war, erwies er sich als disziplinierter, umsichtiger und aufopfernder Monarch; er war der richtige Mann am richtigen Platz.

Im Jahr 145 heiratete Marcus die Tochter des Antoninus, Faustina die Jüngere. Vom Privatleben des Marcus Aurelius, das ebenfalls von Krisen erschüttert wurde, wird mein nächster Text handeln. Seit 146 erhielt er die tribunizische Gewalt und war damit Mitregent. Als Antoninus 161 starb, wurde Marcus Aurelius im Alter von 40 Jahren Kaiser. Sofort ernannte er Lucius Verus zu seinem Mitregenten. Gleich zu Beginn seiner Herrschaft kam es zu einer verheerenden Überschwemmung des Tibers, die Rom sehr zusetzte. Der armenisch-parthische Krieg, der schon unter Antoninus gedroht hatte, brach aus. An dieser Stelle muss ich noch einmal darauf hinweisen: wer den Partherkrieg Trajans als ein Abenteuer darstellt, das einzig der Ruhmsucht des Herrschers entsprach, übersieht die Kontinuität der römisch-parthischen Konflikte.

Im Frühjahr 162 zog Lucius Verus in den Osten des Imperiums, um die Operationen zu leiten. Er eroberte die armenische Hauptstadt Artaxata. In Ephesos heiratete er die Tochter des Marcus Aurelius, die fünfzehnjährige Lucilla. Eheschließungen innerhalb der Führungsschicht des Imperiums waren ein wichtiges politisches Instrument. Der Partherkrieg war erfolgreich, die Städte Seleukia und Ktesiphon wurden 165 erobert. Im Folgejahr wurde ein Feldzug gegen Medien (im heutigen Iran) notwendig. Danach kam es zum Friedensschluss mit dem Partherreich. Marcus Aurelius und Lucius Verus triumphierten gemeinsam in Rom.

Es ist gut möglich, dass die im Osten grassierende Seuche, die Antoninische Pest (vermutlich Masern oder Pocken), die Parther schon so weit mitgenommen hatte, dass sie deswegen Frieden schlossen. Die Seuche wurde von den im Orient stationierten römischen Truppen nach Europa eingeschleppt. Sie breitete sich über Italien bis nach Germanien aus. Ganze Landstriche verödeten. An manchen Tagen zählte man 2.000 Tote in Rom. Die Hygiene war im alten Rom auf einem relativ hohen Niveau. Auch die Medizin war gut entwickelt, es gab viele spezialisierte Ärzte und das Heer wurde entsprechend gut versorgt. Doch die Ärzte der Antike standen auch Erkrankungen, deren Heilung heute kein Problem mehr ist, ratlos gegenüber. Ihre Erkenntnisse beschränkten sich auf die Anwendung von pflanzlicher Heilkunde, Operationen an und dicht unterhalb der Haut sowie Wundversorgung. Von der menschlichen Anatomie und Prozessen innerhalb des Organismus wussten sie nur wenig und ihre Vorstellungen davon muten heute seltsam an. Die Mittel, die sie einer Pandemie entgegensetzen konnten, waren äußert beschränkt. Noch vor wenigen Wochen hätte ich wohl geschrieben, dass wir heute weitaus besser dran sind.

Noch während im Osten des Imperiums Krieg geführt wurde, fielen die Chatten in die germanischen Provinzen und Rätien ein. Auseinandersetzungen mit den Markomannen drohten. Noch konnten die an den Grenzen stationierten Truppen die Lage kontrollieren und einen Krieg verzögern. Rom fürchtete diesen Krieg. Marcus Aurelius ließ Priester aller Gottheiten beten, um ihn zu verhindern. Doch 166 fielen die Quaden und Markomannen in das Imperium ein und drangen bis nach Norditalien vor. Der Prätorianerpräfekt Victorinus kämpfte gegen sie und fiel. Erst als beide Kaiser nach Oberitalien kamen, zogen sich die Germanen zurück und ließen sich auf Friedensverhandlungen ein. Es waren erste Völkerwanderungen, mit denen schon Domitian konfrontiert war und die eine ernste Bedrohung für das gesamte Imperium und die damalige Zivilisation darstellte. Völker, die damals wanderten, kamen in der Regel nicht in friedlicher Absicht. Raub- und Plünderungszüge, Mord und Totschlag waren bei germanischen Stämmen, aber auch bei den Sarmaten, die mich faszinieren, nicht geächtet, sondern Tradition und gehörte zum Lebensunterhalt.

Beide Kaiser verbrachten den Winter in Aquileia an der Adria und starteten im Folgejahr einen Vergeltungsfeldzug. Der Statthalter von Niederpannonien führte Krieg und der spätere Kaiser Pertinax kämpfte in Rätien und Noricum gegen die feindlichen Stämme. Im Januar 169 wollte Lucius Verus nach Rom zurückkehren. Marcus Aurelius begleitete ihn ein Stück, doch Verus erlitt einen Schlaganfall und starb an dessen Folgen im Alter von 42 Jahren. Nun musste Marcus seinen Mitregenten mit allen Ehren bestatten. Er hatte eine Stütze verloren.

Der Kaiser musste weiter gegen die Germanen aufrüsten. Er sah sich gezwungen, eigenen Hausrat, Schmuck und Edelsteine zu versteigern, um die Kassen zu füllen. Im Oktober 169 verließ er Rom. Erst acht Jahre später sollte er dorthin zurückkehren. Eine Reihe von Feldzügen und Gefechten gegen Germanen und Sarmaten folgten. Marcus Aurelius hätte gewiss gern unter anderen Bedingungen regiert. Er verbrachte Jahre in Feldlagern, wo er auch seine Selbstbetrachtungen verfasste. Darin ermahnte er sich selbst immer wieder zum Durchhalten, zu Pflichterfüllung und Gelassenheit. Manche seiner Aussagen sind heute noch gern zitierte Aphorismen. Doch nicht alle Gedanken sind für uns nachvollziebar. Die stoische Philosophie mutet mitunter lebensfeindlich an. Ich werde mich ein andermal konkreter damit beschäftigen.

Allmählich wurde der Kaiser Herr der Lage. Immer noch erkrankten Soldaten. Er setzte seine Gardeeinheiten ein, was normal war, wenn der Herrscher im Feld war, doch er zog auch Gladiatoren zum Kriegsdienst heran. Er war kein Freund der Gladiatorenspiele, was ihm die Römer übel nahmen. Marcus Aurelius schreckte nicht vor unpopulären Entscheidungen zurück. Als Soldaten von ihm eine Sonderzahlung verlangten, lehnte er dies ab mit der Begründung, jenes Geld müsste er ihren Familien abpressen.

Im Jahr 171 wurden die Germanen und die Jazygen entscheidend besiegt. Doch 174 kam es zu einem neuen Feldzug gegen die Quaden. Marcus Aurelius wurde zum siebenten Mal zum Imperator ausgerufen. Doch auf den Höhepunkt des Erfolges an der Donaugrenze folgte eine Schreckensnachricht aus dem Orient. Avidius Cassius, der siegreiche Feldherr aus dem Partherkrieg, usurpierte. Marcus Aurelius begab sich von der Donaugrenze aus nach Syrien. Avidius Cassius war vielleicht durch ein Gerücht vom Tod des Kaisers ermutigt worden, einen Aufstand anzuzetteln. Doch noch ehe der Kaiser in Syrien ankam, wurde Cassius umgebracht. All dies bestätigt, wie wichtig es war, wenn der Herrscher an Krisenherden persönlich präsent war. Mit Faustina und seinem Sohn Commodus reiste Marcus Aurelius durch den Osten, doch die Metropole Antiochia, die Cassius unterstützt hatte, besuchte er nicht. Seitdem durfte niemand mehr seine Heimatprovinz als Statthalter verwalten. In Kleinasien erkrankte die Kaiserin Faustina schwer und verstarb. Marcus Aurelius heiratete nicht noch einmal, sondern nahm sich eine Konkubine. In Athen ließ sich der Kaiser in die Eleusinischen Mysterien einweihen, einen Erlösungskult, der in der römischen Oberschicht Anklang fand. Auch Hadrian hatte sich in Eleusis weihen lassen.

Im Jahr 176 kehrte Marcus Aurelius auf dem Seeweg nach Rom zurück. Er feierte einen Triumph über Germanen und Sarmaten und die Bürger Roms erhielten ein Geldgeschenk. Commodus wurde zum Mitregenten ernannt. Der Kaiser ließ eine Siegessäule errichten, auf deren Reliefband die Kampfhandlungen gegen Markomannen, Quaden und Jazygen dargestellt sind. Sie ähnelt der Trajanssäule und steht noch heute auf der Piazza Colonna in Rom. Die Gesundheit des Kaisers war angegriffen, und er zog sich aufs Land zurück, um sich zu erholen. Reisen und Kriege hatten ihn geschwächt. Im Feldlager führte ein Kaiser nicht nur Krieg, sondern regierte weiterhin das Reich, sprach Recht und empfing Gesandtschaften. Als Marcus Aurelius nach Rom zurückkehrte, erhob er seinen damals sechzehnjährigen Sohn Commodus zum Mitregenten. Wieder kam es zum Krieg an der Donau. Beide Kaiser brachen 178 zu einem neuen Feldzug auf. Sie waren erfolgreich. Commodus wurde zum dritten Mal, Marcus Aurelius zum zehnten Mal zum Imperator ausgerufen. Doch Marcus erkrankte plötzlich und starb nach nur sieben Tagen in Vindobona, dem heutigen Wien. Es ist möglich, dass auch er der Seuche erlag. Seine Mitarbeiter waren in Sorge, sich anzustecken, und Commodus durfte nur kurz bei ihm sein.

Mir war nicht mehr bewusst, welch besondere Persönlichkeit Marcus Aurelius war. Einige Fakten zu seiner Regierung waren mir zwar bekannt, doch nicht das Ausmaß seiner Leistungen und der Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Er zählt mit Recht zu den bedeutendsten Herrschern der Antike und der Weltgeschichte, und das nicht nur auf Grund seiner Maßnahmen in einer Zeit der Krise, sondern auch wegen seines Charakters, der ihn all dies meistern ließ.

Literatur:

Wolfgang Seyfahrt: "Römische Geschichte, Kaiserzeit 1", Akademie Verlag (DDR), Berlin 1980

Theodor Birt "Das Römische Weltreich", Th. Knaur Nachfahren Verlag Berlin, 1941

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