Sonntag, 22. März 2020

Die antoninische Dynastie

Im letzten Beitrag hatte ich noch geschrieben: nein, ich befasse mich nicht mit antiken Katastrophen und Krisenmanagern, denn zu jenem Zeitpunkt musste ich mich ablenken und wenigstens im Blog Normalität haben.

Das Thema rückte mir doch näher, und hinzu kam ein Artikel-Tipp einer Freundin über die Antoninische Pest mit aktuellem Bezug zu Corona. All das ließ mich umdenken. Mir war bekannt, dass Kaiser Marcus Aurelius nicht nur Kriege an mehreren Fronten führte, sondern dass sich damals auch die sogenannte Pest ausbreitete, die vielleicht eine Pocken-oder Masern-Pandemie war. Die Dimensionen jener Seuche waren mir nicht bewusst gewesen. Da ging es um Jahre und mehrere Infektionswellen, um die Verödung ganzer Landstriche und Ausrottung kompletter Familien. Dazu kam die Bedrohung einer ersten Völkerwanderung, mit der das Römische Imperium konfrontiert war.

Die Antonine, Marcus Aurelius … das ist ein gewaltiger Themenkomplex, mit dem ich mich noch gar nicht beschäftigen wollte. Dies ist nun ein vorsichtiger Beginn, und ich muss ein wenig ausholen. Die sogenannte Antonine oder Antoninische Dynastie umfasst die Kaiser Antoninus Pius, Marcus Aurelius, Lucius Verus und Commodus im Zeitraum 138 bis 192 n. Chr. Marcus Aurelius und Lucius Verus waren bis zum Tod des Verus gemeinsame Regenten, d.h. Kaiser im Doppelpack. Insgesamt handelt es sich um drei Generationen.

Aber eigentlich muss ich noch weiter ausholen. Man sprach und spricht auch von den sogenannten Adovtivkaisern. Es begann mit Nerva, der selbst nicht adoptiert wurde, aber seinen Nachfolger Trajan durch Adoption bestimmte, weil er keinen leiblichen Nachkommen hatte. Jener Vorgang war gar nicht so außergewöhnlich. Wenn ein vornehmer Römer keinen Sohn hatte, dem er Reichtum und Prestige vererben konnte, adoptierte er eine geeignete Persönlichkeit: er nahm denjenigen an Sohnes statt an. So funktionierte es auch an der Spitze des Imperiums. Dass jene Behelfslösung dann noch ideologisch verklärt wurde, soll nicht davon ablenken, dass der Beste immer noch der Sohn des Besten war. Nur wenn kein leiblicher Sohn existierte, wurde eine geeignete Persönlichkeit per Rechtsakt zum Sohn erklärt. Dies konnte auch ein älterer Mann sein.

Frauen hatten in der römischen Antike keine real definierte Macht. Eine "Kaiserin" war nur die Ehefrau des Kaisers, doch sie konnte hinter den Kulissen enormen Einfluss ausüben. Außerdem wurde über die Frauen großes Vermögen vererbt, getrennt vom Fiscus, einer Kasse, über die der Kaiser für öffentliche Ausgaben verfügte, die aber kein reines Privatvermögen war. Einmalig für die sogenannte Hohe Kaiserzeit ist die Bedeutung der Frauen für die Dynastie. Zu jener Zeit stand hinter einem Mann an der Spitze des Staates mindestens eine starke Frau. Oft waren es mehrere Frauen. Unter Trajan wurde nicht nur seine kinderlose Gattin Plotina zur Augusta erhoben, sondern auch seine Schwester. Ulpia Marciana hatte keinen Sohn. Wir kennen nur ihre Tochter Salonia Matidia. Sie, die ältere Matidia, hatte ebenfalls keine Söhne, aber drei Töchter aus verschiedenen Ehen: die jüngere Matidia, die spätere Kaiserin Sabina - und Rupilia Faustina, eine Ahnin der antoninischen Dynastie. Marciana und Matidia halfen dabei, die Macht zu vererben und wurden nach ihrem Tod zu Göttinnen. Doch auch Plotina wurde hoch geehrt und vergöttlicht. Durch die Thronfolge und wahrscheinlich auch Adoption Hadrians, dessen Adoptiv- Mutter sie war und den sie mütterlich geliebt und gefördert hatte, nahm auch sie ihren Platz innerhalb der Dynastie ein. Diese dynastischen Bindungen über die weibliche Linie der Familie waren erstaunlich flexibel und fortschrittlich.

Wie Nerva, hatte auch Trajan keinen leiblichen Sohn. Sein Großneffe und Mündel Hadrian wurde von ihm wie ein Sohn aufgezogen. Hadrians Privilegien hielten sich in moderaten Grenzen, wenn auch die Fakten für ihn sprechen. Ob er bis zuletzt Trajans Wunschnachfolger war, wird sich wohl nie klären. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Adoption überschatteten Hadrians gesamte Herrschaft. Er war deshalb bemüht, beizeiten klare Verhältnisse zu schaffen. Im Jahr 136 adoptierte Hadrian L. Ceionius Commodus, einen der beiden (ordentlichen) Konsuln. Es gab Gerüchte, dass Hadrian und Commodus miteinander intim waren. Doch der Erbe des Imperiums war gesundheitlich nicht sehr robust und soll an einer Lungenkrankheit gelitten haben. Bereits im Januar 138 starb er, der den Strapazen der neuen Aufgaben nicht gewachsen war. Hadrian war krank, die Kaiserin Sabina war bereits verstorben. Hadrian musste noch einmal eine bedeutsame Entscheidung treffen. Er adoptierte T. Aurelius Fulvus Boionius Arrius Antoninus, einen Mann, der nur 10 Jahre jünger als er selbst war. Antoninus, der als Antoninus Pius in die Geschichte einging, adoptierte seinerseits den gleichnamigen Sohn des L. Ceionius Commodus und M. Annius Verus, den späteren Kaiser Marcus Aurelius. Lucius war damals acht, Marcus zehn Jahre alt. Somit hatte Hadrian die Verantwortung über das Imperium über zwei Generationen hinweg gesichert. Antoninus mag wegen seines Alters als Übergangskandidat angesehen worden sein, doch er regierte länger als Trajan und Hadrian, nämlich 23 Jahre lang, und starb in einem für die Antike relativ hohem Alter von 74 Jahren. Seine Gattin Faustina (die Ältere) war schon im Alter von 35 Jahren verstorben. Antoninus hatte nicht wieder geheiratet und lebte seit Faustinas Tod mit einer Konkubine zusammen. Faustina war vergöttlicht worden, die Konkubine Lysistrate war des Kaisers private Beziehung. Sicher hatte sie einigen Einfluss, wurde aber nicht im Mausoleum der Familie bestattet. Die römische Gesellschaft war durchlässig, innerhalb bestimmter Grenzen.

Die Tochter des Antonius und der Faustina, Faustina die Jüngere, wurde im Alter von etwa 15 Jahren mit dem Thronerben Marcus verheiratet. Die jüngere Faustina war der ganze Stolz ihres Vaters. Sie stammte in direkter Linie von der vergöttlichten älteren Matidia, der Großnichte Trajans ab - wie Marcus selbst. Faustina gebar ungefähr 12, vielleicht sogar 14 Kinder. Wie viel öffentliche Aufmerksamkeit der jungen Familie an der Spitze des Imperiums zuteilwurde, ahnt man im Vergleich mit heutigen Monarchien wie dem britischen Königshaus und seinen Nachkommen. Damals waren die Möglichkeiten der Verbreitung von Bildern und Nachrichten natürlich auf einem anderen Niveau, doch öffentliche Auftritte und Münzprägungen feierten ein hoffnungsvolles Zeitalter. 161 übernahm Marcus Aurelius die Macht über das Imperium. Er erhob den zwei Jahre jüngeren Lucius Verus zu seinem Mitregenten. Jene Konstellation der Machtteilung über das Imperium sollte in der Spätantike Bedeutung erlangen.

Marcus Aurelius ist als der Philosoph auf dem Kaiserthron in die Geschichte eingegangen. Seine Selbstbetrachtungen verfasste er in Krisenzeiten, in Militärlagern, als germanische Völker die Grenzen des Imperiums bedrohten und seine Soldaten von einer Pandemie dezimiert wurden. Seine Gedanken sind in die Weltliteratur eingegangen und leisten noch heute echte Lebenshilfe. Auch ich habe ein Motto von Marcus Aurelius eingerahmt in der Nähe meines Schreibtisches stehen. Mit seinem Wirken als Krisenmanager werde ich mich im nächsten Beitrag beschäftigen.

Literatur:

Hildegard Temporini „Die Kaiserinnen Roms“, Verlag C.H. Beck, München 2002, ISBN 3 406 49513 3

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