Sonntag, 22. Juli 2018

Das Buch X der Briefsammlung des Plinius

Die Briefsammlung Plinius des Jüngeren ist vollständig überliefert. Die Kunstbriefe der Bücher I-IX waren zur Veröffentlichung bestimmt und geben einen guten Überblick über das Leben der Oberschicht im alten Rom zu Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. Nach dem Tod des Plinius (um 113-115) wurde seine amtliche Korrespondenz mit Kaiser Trajan gefunden und der Briefsammlung als X. Buch hinzugefügt. Diesem Glücksumstand verdanken wir ein einzigartiges Zeugnis über die römische Provinzialverwaltung und Trajans Regierungsgrundsätze.

Jene Briefe sind nicht ins Kunstvolle gesteigert, umfassen verschiedenste Themen von Bauprojekten bis hin zu Empfehlungsschreiben und sind gerade wegen ihrer Authentizität wertvoll. Obwohl man davon ausgehen kann, dass die kaiserlichen Kanzleien die Antworten des Imperators verfassten und auch Plinius sich an gewisse amtliche Floskeln hielt, berühren die Schreiben durch ihre Alltagsnähe und Unmittelbarkeit. Denjenigen, die sich die Quellen jener Zeit erschließen möchten, empfehle ich nicht unbedingt den Panegyrikus des Plinius, sondern zuallererst die Briefe des Buches X.

Ich möchte mich nicht den wohl bekanntesten Briefen des Buches X über die Behandlung der Christen (X, 96 und 97) zuwenden, weil diese schon oft zitiert und erörtert wurden und auch gern für Aufgaben in Lateinkursen benutzt werden. Ich hatte selbst das Glück, einen Aufgabenkomplex zum Thema "Plinius, Trajan und die Christen" lösen zu dürfen und habe das mit viel Freude getan. Aber auch andere Briefe des Buches X sind interessant.

Einer meiner Lieblingssätze überhaupt ist das Eingangsstatement des Kaisers, das er seinem Statthalter sendet, als dieser seine Provinz Bithynien erreicht hat: "Die Einwohner der Provinz werden, so glaube ich, wohl merken, dass ich Fürsorge trage für sie. Denn auch Du wirst Dich bemühen, ihnen deutlich zu zeigen, dass Du auserwählt wurdest, um als Abgesandter bei ihnen mein Stellvertreter zu sein". (X, 18 (2)). Seltsam erscheint es auf ersten Blick, dass der Kaiser Vereinen jeglicher Art äußerst misstrauisch gegenüber stand und sie in Städten verbot, in denen das römische Recht galt. Ein Brand hatte mehrere Gebäude in Nicomedia (heute Izmit in der Türkei) zerstört, und Plinius fragte Trajan um Erlaubnis, dort eine freiwillige Feuerwehr einzurichten. Der Kaiser untersagte dies mit der Begründung, dass jener Teil der Provinz und vor allem die Städte immer wieder unter solchen Vereinigungen zu leiden hatten und, egal welchen Namen man dem Verein auch gab, diese in kürzester Zeit Brennpunkt politischer Unruhen würden (X, 34). Sogenannte freie Städte verwalteten sich selbst und hatten ihre eigenen Gesetze, die ihnen meist auch Privilegien einräumten. Solche Privilegien tastete der Kaiser nicht an (X, 48).

Interessant finde ich jene Schreiben, aus denen ersichtlich ist, dass der Kaiser Mittelwege ging und eigene Anordnungen oder ältere Gesetze in Härtefällen modifizierte. Rat und Volksversammlung der Gemeinde Amisus hatten einem Mann vor 20 Jahren eine Summe von 40.000 Denaren geschenkt und forderten diese nun zurück, da Trajan solche Schenkungen aus öffentlichen Kassen verboten hatte. Von Plinius zu diesem Fall befragt, antwortete der Kaiser, vor langer Zeit erfolgte Schenkungen dürften nicht für ungültig erklärt werden, damit nicht die Existenz vieler Leute ruiniert werde. "Ich wünsche nämlich", fügte er hinzu, "dass man sich allerorten um die Menschen nicht weniger kümmert als um die Finanzen" (X, 111).

In fast allen Städten wurden stolze Bauwerke errichtet: Bäder, Tempel, Theater, Gymnasien (damals Sportzentren). Trajan genehmigt solche Bauten mit deutlichem Hinweis, dass sie die Möglichkeiten der jeweiligen Städte nicht übersteigen und keine zusätzlichen Belastungen durch Abgaben mit sich bringen dürften (X, 24). Er verfolgte also keine Politik des Wachstums um jeden Preis!

Was Huldigungen seiner Person anging, war er Rationalist. Er unterstützte den Vorschlag des Plinius, der Stadt Byzanz teure Gesandtschaften ihm zu Ehren nach Rom und zum Statthalter von Moesien zu erlassen und die Grußadressen per Post zu übermitteln. Dem Versuch einiger Leute aus Prusa, Dion Chrysostomos wegen Majestätsbeleidigung anzuzeigen, weil er seine Frau und seinen Sohn in der Nähe einer Kaiserstatue bestattet hatte, tritt Trajan mit Entschiedenheit entgegen: Seinen Grundsatz, nicht durch Furcht und Schrecken der Menschen und durch Majestätsprozesse seinem Namen Respekt zu verschaffen, kenne Plinius doch genau!

Plinius gratulierte dem Herrscher zu Geburtstagen und übermittelte ihm Gelübde der Provinzbewohner und Soldaten anlässlich seines Regierungsantrittes mit überschwänglichen Worten. Er sprach vom Tag, an dem der Kaiser das Reich gerettet hat und Schirmherr über die Menschheit wurde (X, 52 und X, 102). Trajan bedankte sich knapp, aber freundlich für die Glückwünsche. Aus all dem wie auch der stets ergebenen Haltung des Plinius wird die Distanz zwischen dem Herrscher und seinem Vertrauten deutlich.

Zum Thema siehe auch "Plinius in Bithynien" hier im Blog.

Literatur:

Plinius der Jüngere, Sämtliche Briefe, Buch X, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, 1998, ISBN: 3-15-059706-4

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