Sonntag, 16. Juli 2017

Adoptiv-Vater und Sohn? Trajan und Hadrian

Die Überlieferung betont den Gegensatz beider Kaiser. Nicht nur ihre Außenpolitik war grundverschieden, sondern auch ihr Charakter, heißt es. Die Autoren dieser Quellen gehörten überwiegend der römischen Oberschicht an und repräsentieren deren Wertung.

Der Großvater Hadrians muss mit einer Tante Trajans verheiratet gewesen sein. Man kann Trajan als Großcousin Hadrians oder Hadrian als weitläufigen Neffen Trajans bezeichnen. Hadrian wurde am 24. Januar des Jahres 76 in Rom geboren. Als sein Vater starb, übernahm Trajan zusammen mit dem späteren Gardepräfekten Acilius Attianus die Vormundschaft über den damals etwa zehnjährigen Jungen.

Als Fünfzehnjähriger, berichtet die Biografie der Historia Augusta, ging Hadrian in die spanische Heimat, um sich dort Waffenübungen und der Jagd zu widmen. In seiner Jagdleidenschaft muss er das übliche Maß überschritten haben, und Trajan berief ihn nach Rom zurück, um ihn dort wie seinen Sohn zu behandeln. Schon frühzeitig begeisterte sich Hadrian für griechische Studien und erhielt den Spitznamen graeculus (Griechlein). Er durchlief die obligatorischen Ämter eines jungen Senators, zu denen auch ein Truppenkommando an der Donau gehörte. Als Nerva Trajan adoptierte, sandten die Donautruppen Hadrian nach Obergermanien, um den künftigen Herrscher zu beglückwünschen. Trajan behielt Hadrian in der obergermanischen Provinz. Militärisches und administratives Zentrum war Mogontiacum (Mainz). Als die Nachricht vom Tod Nervas eintraf, wollte Hadrian der erste Gratulant sein. Es wird berichtet, dass sein Schwager Servianus ihn erst in Mogontiacum aufzuhalten versuchte und anschließend seinen Reisewagen manipulierte, um zu verhindern, dass er vor seinem eigenen Boten bei Trajan eintraf. Obwohl Hadrian die Reise zu Fuß fortsetzte, kam er vor dem Mann des Servianus in Colonia Agrippinensis (Köln) an. Dies klingt reichlich legendär, mag aber den einen oder anderen wahren Kern haben.

Der Biograf schreibt, Hadrian sei von Trajan geliebt worden, aber es gab auch Verstimmungen. (Auch zwischen leiblichen Kindern und deren Eltern gibt es mitunter Unstimmigkeiten - ungetrübte Harmonie wäre unnormal.) Die Freunde Trajans nahmen ihn zunächst nicht ernst, aber der mächtige Licinius Sura, engster Vertrauter des Herrschers, und die Kaiserin Plotina begünstigten ihn. Im Jahr 100 heiratete Hadrian Trajans Großnichte Sabina. Hildegard Temporini hat überzeugend ausgeführt, dass eine so bedeutsame Eheschließung unmöglich gegen den Widerstand des Kaisers erfolgt sein kann, der angeblich davon nicht begeistert war. Vielmehr hat Trajan, da er keinen Sohn hatte, über die weibliche Linie seiner Familie eine Dynastie geschaffen und Hadrian als Nachfolger aufgebaut.

Ulpia Marciana, die Schwester Trajans, wurde ebenso geehrt wie seine Gattin Plotina und nach ihrem Tod unter die Staatsgötter erhoben. Ihre Tochter Matidia erbte sofort den Augusta-Titel und trat somit an ihre Stelle. Hadrian war auf diese Weise dem Kaiser zweifach verbunden: durch eigene Verwandtschaft wie durch die Ehe mit Sabina, Matidias Tochter (siehe dazu unten: "Eine neue Dynastie").

Während Trajan als gleichermaßen souverän wie umgänglich bekannt war, muss Hadrian komplizierter gewesen sein. Laut seiner Biografie vereinte er in sich die gegensätzlichsten Verhaltensweisen; er war "immer und in jeder Hinsicht wandelbar". Er war vielfältig talentiert, übte sich in Poesie und Wissenschaften, beschäftigte sich mit Geometrie, Arithmetik und Malerei, musizierte und sang. Als Dilettant zögerte er nicht, Experten zu kritisieren. Als Hadrian sich einmal in eine Besprechung zwischen Trajan und dessen Architekten Apollodoros einmischte, wies jener ihn zurecht. Apollodoros musste dies, als Hadrian regierte, mit dem Leben bezahlen.

Als Kaiser bereiste er sein Imperium, nicht nur seines Amtes wegen, sondern auch aus touristischer Neugier. Ebenso wie Trajan war er volkstümlich und auf diese Weise ein Herrscher zum Anfassen. Die Römer konnten ihn gelegentlich beim Baden in den öffentlichen Thermen antreffen. Er hatte Humor und war großzügig, galt aber auch als nachtragend, ließ sich von Gerüchten beeinflussen und neigte zeitweise zu Grausamkeiten. Hadrian war multitaskingfähig.

Ähnlich wie Trajan war er ein Kenner des Soldatenhandwerks, geübt im Gebrauch von Waffen und verfügte über körperliche Fitness und Ausdauer. Er verstand es, Heer und Volk für sich zu gewinnen. Wie Trajan hatte er eine Vorliebe für schöne Knaben und junge Männer. Der Tod seines Lieblings Antinous nahm ihn sehr mit. Auch die Jagdleidenschaft teilte er mit seinem Adoptivvater.

Genauer betrachtet, ist der Gegensatz beider Männer nicht so gravierend. Es ist gut möglich, dass Trajan die vielseitigen Talente seines Ziehsohnes zu schätzen wusste, solange dieser seine Pflichten nicht vernachlässigte und dabei Maß hielt. Hadrian brach mit der expansiven Außenpolitik seines Vorgängers. Er bemühte sich um Sicherung der Grenzen. Die Zeit der großen Eroberungen war vorbei. Dieser Erkenntnis jedoch ging ein Lernprozess mit schweren und opferreichen Konflikten voran. Hadrian, jünger und flexibler als Trajan, erkannte die Zeichen der Zeit und handelte danach.

Wie Trajan in seinen letzten Monaten über all das dachte, wissen wir nicht. Als er im Sommer 117 von Syrien aus nach Rom aufbrach, übergab er sämtliche an der Partherfront stationierten Truppen an Hadrian. Er versetzte ihn somit in eine ähnliche Ausgangsposition, in der er selbst im Jahr 97 war. Ein letzter Schritt fehlte noch: die Adoption, vollzogen in der Hauptstadt, vor Jupiter auf dem Kapitol, verbunden mit einer Siegesmeldung. Und um all das zu tun, ist Trajan, meine ich, aus Antiochia abgereist, sobald seine Gesundheit dies erlaubte. Deswegen setzte er sich der strapaziösen Reise aus. Dass er als Feldherr triumphieren würde, war Tradition, aber es wird, da er krank war, kaum sein dringendster Wunsch gewesen sein. Die Chance, dass er sich gesundheitlich stabilisierte, war in Antiochia wesentlich größer als während einer Reise. Leider starb er unterwegs und konnte die Adoption nicht mehr in aller Form vollziehen.

Hadrian hat viele Wertvorstellungen Trajans geteilt. Ihm gelang es aber nicht, in solch gutem Einvernehmen mit dem Senat zu regieren wie sein Vorgänger. Einige Männer, die ihm einst zur Macht verholfen hatten und lange Zeit treu ergeben waren, ließ er später hinrichten. Andere fielen in Ungnade. Zu Beginn und zum Ende seiner Herrschaft kam es zu Todesurteilen gegen Senatoren. Dies konnte ihm das Hohe Haus nicht verzeihen. Antoninus Pius musste die Vergöttlichung seines Vorgängers im Senat durchsetzen. Hadrians Feinde in diesem Gremium hätten das gern verhindert. Jene Abneigung, sogar Feindschaft Hadrian gegenüber ist Grund für die teils negative Überlieferung. Die Betonung des Gegensatzes zu Trajan sowie der Vorwurf der durch Plotinas Gunst erschlichenen Adoption sollte sowohl Hadrians Anspruch auf den Thron und ihn persönlich entwerten, aber auch Trajan von einem vermeintlichen Fehlgriff bei der Nachfolgeregelung entlasten.

Hadrian grenzte sich auch äußerlich von Trajan ab: Er brachte den Bart wieder in Mode. Aber er wurde dennoch durch ihn geprägt und ehrte seine Adoptiveltern noch lange nach ihrem Ableben. Die Nachfolge konnte er rechtzeitig regeln und zeigte in seiner Wahl über zwei Generationen noch einmal sein politisches Geschick.

Quellen:

Historia Augusta: Hadrianus, Artemis Verlag Zürich und München, 1976, ISBN 3 7608 3568 6

Hildegard Temporini: "Die Kaiserinnen Roms", Verlag C.H. Beck, München 2002, ISBN 3 406 49513 3

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