Samstag, 29. August 2020

Epikur und das Streben nach Glück

Ich werde mich in den nächsten Texten einigen antiken Philosophen und ihren Lehren widmen und beginne mit Epikur. Nicht nur deswegen, weil die Kaiserin Plotina, Trajans Gattin, eine Anhängerin seiner Philosophie war, aber dies ist schon ein wichtiger Grund. Außerdem passt die Lehre Epikurs sehr gut in die heutige Zeit, und viele seiner Gedanken und Bemühungen sind für mich nachvollziehbar und erstrebenswert.

Plotina nimmt eine Ausnahmestellung unter den bedeutenden Frauen Roms ein. Viele privilegierte Römerinnen, Gattinen, Geliebte oder Schwestern mächtiger Männer, gerieten durch Skandale, Liebschaften und sonstige Ausschweifungen in Verruf. Nicht alles, was überliefert ist, muss sich im Detail so zugetragen haben, aber die alten Römer liebten den Klatsch, je verrückter und emotionaler, desto besser. Plotina aber galt als das Idealbild einer Frau, zurückhaltend, keusch, in moralischer Hinsicht tadellos, der Göttin Juno ähnlich. Hätte sie nur den geringsten Anlass zu zweideutigen Gerüchten gegeben, die Öffentlichkeit hätte sich mit Vergnügen darauf gestürzt. Aber da war nichts, was Anstoß erregte. Nur die Hoffnungen auf einen Thronerben erfüllten sich damals nicht. Trajan und Plotina blieben kinderlos.

Eine Kaiserin im alten Rom war nur die Gattin des Kaisers. Dennoch war sie mächtiger als mancher Mann im Imperium, hatte regelmäßig Zugang zum Herrscher, verfügte über ihr eigenes beträchtliches Vermögen und ihre Beziehungen. Von Plotina ist bekannt, dass sie Trajan in politischen Entscheidungen beeinflusste. Umgekehrt muss auch er sie um Rat gebeten haben. Sie soll ihn ermutigt haben, gegen korrupte Statthalter konsequenter vorzugehen. Sie förderte Hadrian als Erben des Reiches und war sicher daran beteiligt, dass die Herrschaft im August 117 auf ihn überging.

Diese bedeutende Frau war gebildet und kultiviert und fand Ausgleich wie Halt in der Philosophie. Sie korrespondierte mit der epikureischen Schule in Athen und setzte sich bei Hadrian für sie ein. Welcher Art war die Lehre, die sie ansprach?

Epikur wurde schon in der Antike missverstanden. Der Stoiker Epiktet nannte ihn einen Wüstling. Völlig zu Unrecht, galten Epikureer auch später als reine Genussmenschen ohne Maß und Moral. Doch auf die Epikureer der Antike trifft dies überhaupt nicht zu. Epikur war der Ansicht, man solle das Leben auf Freude und Glück ausrichten. Dazu zählte auch der Genuss der einfachen, erreichbaren Dinge: "Schick mir ein Stück Käse, damit ich ein Festmahl halten kann", schrieb er an einen Freund. Epikur empfahl den Rückzug aus der Öffentlichkeit, aus Geschäften und Politik, um zur Seelenruhe zu finden. Starke Begierden und Emotionen waren für ihn hinderlich, um diesen Weg zu gehen. Er und seine Schüler strebten ein einfaches Leben an, ohne Luxus, mit Freude an der Natur und in freundschaftlicher Verbundenheit. Ihr Versammlungsort war ein Garten, Kepos, den Epikur einst gekauft hatte. Dort waren Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, auch Frauen und Sklaven, sogar Hetären, willkommen. Die Tatsache, dass Frauen ebenso zum Philosophieren eingeladen waren wie Männer, mag ein Grund gewesen dafür gewesen sein, dass Plotina diese Lehre bevorzugte. Dass sich die Epikureer in keinem ehrwürdigen Gebäude, sondern in einem Garten trafen, ist mir sehr sympathisch. Der Garten als Ort zum Loslassen und Auftanken - jedem Gartenfreund wird das einleuchten.

Epikur soll mit einer Hetäre zusammengelebt und gewissen Damen auch mal Komplimente gemacht haben. Er war eben ein menschlicher Weiser, der die schönen Dinge des Lebens schätzte und sich nicht arrogant über andere erhob.

Das Streben der Epikureer nach innerer Freiheit ("die schönste Frucht der Selbstgenügsamkeit ist die Freiheit"), nach Glück in den einfachen Dingen, nach guten Gesprächen, Entspannung und Muße, nach Gelassenheit und Freude selbst in schwierigen Lebenslagen ist nach wie vor höchst aktuell und alltagstauglich - "eine Arznei der Seele". Ich sehe Parallelen zu fernöstlichen Lehren und meine, dass Epikur immer "modern" sein wird.

Epikur war der Ansicht, die Götter seien fern, vollkommen zwar und glückselig, aber sie kümmerten sich nicht um die Menschen, und die Menschen hätten auch nichts von ihnen zu erwarten, weder Zuwendungen, noch Strafen. Er nahm seinen Schülern die Angst vor dem Tod, vor einem Gericht im Jenseits, denn er war überzeugt von der Auflösung des Individuums beim Sterben, und dies war für ihn etwas Gutes. Man brauche den Tod nicht zu fürchten, denn "er ist, genau betrachtet, ein Nichts, weil nur das, was wir empfinden, für uns Realität ist… wenn wir sind, ist der Tod nicht, und wenn der Tod ist, sind wir nicht."

Epikur, der in jungen Jahren, mit 14, zur Philosophie fand, ermahnte seine Schüler: "Wer jung ist, soll nicht zögern zu philosophieren, und wer alt ist, soll nicht müde werden im Philosophieren. Denn für keinen ist es zu früh und für keinen zu spät, sich um die Gesundheit der Seele zu kümmern." Wie wahr, auch heute noch, nach über 2.000 Jahren!

Wann mag Plotina, die mehr als dreihundert Jahre nach Epikur lebte, mit seinen Lehren in Berührung gekommen sein? Vermutlich im Elternhaus, vielleicht durch einen griechischen Lehrer der Familie. Ob sie in ihrer Jugend Gelegenheit hatte, nach Athen zu reisen, ist eher fraglich. Die Mädchen im alten Rom wurden sehr jung verheiratet. Vielleicht hat sie, als sie im Gefolge Trajans in den Partherkrieg aufbrach, während des Zwischenstopps in Athen dem Kepos einen Besuch abgestattet. Und sie stand im schriftlichen Kontakt mit anderen Schülern und Lehrern. Heute könnte eine Frau wie Plotina selbst einen Staat lenken. Aber würde sie es tun - oder würde sie nicht lieber ein Leben in Achtsamkeit und körperlicher und seelischer Balance führen?

Nur auf ersten Blick erscheint es widersprüchlich, dass eine so öffentliche Person wie sie einer Lehre anhing, die gesellschaftliche Zurückhaltung anstrebte. Plotina nahm politischen Einfluss, trat an der Seite Trajans öffentlich auf, sicher auch ohne ihn, nahm an Empfängen teil und empfing gewiss auch selbst - und nicht nur private Besucher. Sie wird Stunden in den Logen des Circus Maximus und des Kolosseums verbracht haben, ohne dass uns bekannt ist, wie sie zu dieser Massenunterhaltung stand. Ihre repräsentativen Pflichten führten wahrscheinlich zum Wunsch nach Rückzug und Erholung. Die Kaiserin wird sich ihre Ruheinseln geschaffen haben, und sie wusste, dass ihr innere Freiheit und Gelassenheit eher zum Glück verhelfen konnten als das zwanzigste Landgut oder der großartigste Palast. So manch stressgeplagter und vom Burnout bedrohter Mensch der Neuzeit empfindet vielleicht ähnlich. Griechische Philosophie fand im Rom der Kaiserzeit großen Anklang. Das trifft auch auf andere Lehren und Strömungen zu, insbesondere auf die stoische Philosophie, der ich mich im nächsten Text widmen werde.

Wilhelm Weischedel: "Die Philosophische Hintertreppe", dtv Verlagsgesellschaft, 2005, ISBN 978 3423300209 Literatur:

Wilhelm Weischedel: "Die Philosoph

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen