Sonntag, 19. Juli 2020

Caesar, Cleopatra und ein Vulkan oder des Journalismus seltsame Blüten

Um 44 v. Chr. geschah es, dass der Vulkan Okmok in Alaska ausbrach und einen Tsunami auslöste, der sich vom Beringmeer in den Pazifik, um Kap Horn herum weiter in den Atlantik ausbreitete, durch die Straße von Gibraltar auf das Mittelmeer traf und in eine deutlich spürbare Flutwelle im Tiber mündete, die in den Vorgarten von Marcus Iunius Brutus schwappte. Dieser war daraufhin so genervt, dass seine Geduld Caesar gegenüber schwand. Es kam zur Ermordung Caesars und zum Untergang der römischen Republik. Scherz beiseite, so war es nicht. Doch die aktuelle Studie über einen Vulkanausbruch und seine Auswirkungen auf den Mittelmeerraum, vor allem aber deren Präsentation in den Medien drängen mir diese Version geradezu auf.

Das Ganze lässt mich an die Chaostheorie denken, und tatsächlich sind Klima und Wetter chaotische Systeme. Aber so faszinierend dieser Gedanke ist, der in mir Fragen aufwirft, zum Beispiel die, dass Ereignisse in einem solchen System doch nicht zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden können? (wenn ich es denn richtig verstanden habe), möchte ich ihn doch nicht weiterverfolgen, weil ich mich damit nicht gut genug auskenne.

Mit römischer Geschichte kenne ich mich ein bisschen aus. Historische Entwicklungen waren immer komplex und nie auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Letzteres haben die Wissenschaftler, die sich rund um die Studie zu Wort meldeten, auch nicht behauptet, sondern sie haben darauf hingewiesen, dass durch den Vulkan verursachte Klimakapriolen mit anderen Stressfaktoren zusammenwirkten, was schließlich zum Ende der Römischen Republik führte. Der Niedergang jener Republik begann jedoch früher, im Jahr 133 v. Chr., als die Bürgerkriege ihren Anfang nahmen.

Die Schlagzeilen, die seit einigen Wochen durch die Medien geistern, sorgen für seltsame Assoziationen. "Der Okmok brachte Rom zur Strecke" titelt das "Neue Deutschland". Dies ist wahrscheinlich die Schlagzeile, welche die Fakten am meisten entstellt. Der Vulkan bricht aus und -bums! bricht Rom zusammen. Kein Wunder, dass dort überall Ruinen rumstehen, könnte man meinen.

"Ausbruch des Okmok: Das andere Verhängnis der Kleopatra", schreibt die "Welt" und verbindet die Hypothese vom antiken Klimaschock mit sex and crime. Die Version des SRF klingt nur scheinbar seriöser: "Im Jahr 43 v. Chr. - Stürzte ein Vulkan Cäsar und Kleopatra in die Krise?"

Caesar und Cleopatra hatten keine Krise. Ehe der Diktator ermordet wurde, lebten sie miteinander in Rom. Cleopatra hatte es geschafft, Caesars Zuneigung zu gewinnen, was ihn nicht daran hinderte, auch mit seiner Gattin Calpurnia zusammenzuleben, die ihn offenbar immer noch mochte. (Denn sie warnte ihn, an den Iden des März in den Senat zu gehen, wo die Verschwörer auf ihn warteten.) Als Machtmensch setzte Caesar Prioritäten: seine politischen Interessen und seine Kriege waren ihm stets wichtiger als seine Amüsements. Er war ein Symptom der sterbenden Römischen Republik. Die Gesetze, die verhindern sollten, dass Einzelpersonen zu viel Macht anhäuften, wurden von einigen Männern missachtet und gebrochen. Caesar war einer von ihnen. Jener Mann wird in hohem Maße mit Rom und dem Imperium assoziiert, was auch an einer sehr erfolgreichen Comicserie liegt. Er war ein fähiger, begabter Politiker und Feldherr, mutig bis tollkühn, mitreißend, großzügig, risikofreudig und skrupellos - ein Hasardeur. Sein berühmter Ausspruch "Der Würfel ist geworfen" - in einer Situation, in der er wieder einmal gesetzeswidrig handelte - entstammte nicht zufällig dem Glücksspiel.

Rom war mehr als Caesar. Sein Nachfolger Augustus führte das Reich (nach einer Zäsur des Blutvergießens) mit ruhiger Hand in eine Monarchie. In seinem Testament hatte Caesar seinen jungen Verwandten Octavian zu seinem Erben ernannt - und nicht Kaisarion, den leiblichen Sohn, den ihm Cleopatra geboren hatte. Damit hatte er römisch-dynastisch entschieden. Ob Caesar mit der in Rom verhassten ägyptischen Königin eine Dynastie gründen wollte, ist fraglich und wird wohl nie geklärt werden, ebenso wenig der Vorwurf, er selbst habe König werden wollen. Sein grenzenloses Machtstreben ist ihm zum Verhängnis geworden. Die Senatoren sahen keinen anderen Ausweg, als ihn zu beseitigen. Cleopatra stand im Krieg, der nach Caesars Ermordung ausbrach, auf der falschen Seite - sie unterstützte Marcus Antonius. Doch Sieger war Octavian, der spätere Kaiser Augustus.

Zurück zu den Medien. "Ein Vulkan und der Untergang der alten Römer", schreibt die "Sächsische Zeitung", die Tageszeitung, die mir als Informationsquelle wichtig ist. Der Artikel erschien am 14.07.20 in der gedruckten Ausgabe unter der Rubrik "Wissen". Ich bin keine Journalistin. In meinem kleinen Geschichtsblog schreibe ich eher nach Sprachgefühl. Ein Titel, selbst in den neuen, digitalen Medien, soll keine falschen Erwartungen wecken. Er sollte den Kern des Artikels treffen und ihn nicht verfremden. In der besagten Studie handelt es sich aber keineswegs um den Untergang der alten Römer, sondern um das Ende der Republik und um Klimaveränderungen, die auf den Ausbruch des Okmok zurückgeführt werden können. Liest man den Artikel in der SZ zu Ende, wird das klar.

Man muss heute keine Sach- und Fachbücher, keine Lexika mehr wälzen: Informationen sind schnell per Mausklick zu haben. Wer "Römisches Reich" googelt, erfährt, dass es da mehrere Perioden gab: die Zeit der Könige, eine Republik, die Kaiserzeit, die Spätantike. Rom ging nicht nach Caesar unter. Ob man es überhaupt Untergang nennt oder eher Übergang zu etwas Neuem, ist wohl eine Frage der persönlichen Sichtweise. Ich bevorzuge Letzteres. Auch Ägypten endete nicht mit der Ptolemäischen Dynastie; es wurde römische Provinz. Journalisten sollten zumindest kurz das Internet befragen, ehe sie Hochkulturen vorzeitig in den Untergang befördern.

Kritisch äußerte sich die FAZ zu den Versuchen, das Ende der Römischen Republik auf Klimaveränderungen zurückzuführen.

Ich finde es durchaus lesenswert, was die Studie da vermitteln möchte. Geschichte wird immer wieder aufs Neue angeschaut und unter neuen Aspekten wie dem Klimawandel neu bewertet, was die Beschäftigung mit ihr so interessant macht. Geschichte ist nicht tot, und die Neuzeit lernt immer noch vom Blick in die Antike. Und deshalb bitte ich um etwas mehr Sorgfalt, auch bei Themen, die etwas länger zurückliegen als die Meldungen des Tages.

Medieninformation der Universität Bern zum Thema

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