Freitag, 10. April 2020

Jesus von Nazareth

Vor einigen Tagen begann ich mich dafür zu interessieren, ob es auch Forschungen zum historischen Jesus gibt. Und ja, solche Forschungen gibt es wie auch Literatur zu diesem Thema. Ich wurde nicht religiös erzogen. Wenn mir liebe, wohlmeinende Menschen, die christlich aufgewachsen und geprägt worden sind, sagen, ich solle Jesus lieben und an ihn glauben, überfordert mich das. Das Neue Testament habe ich mit Interesse gelesen und es gab durchaus Textstellen, die mich berührt haben. Dennoch wirkte vieles auf mich mythisch überhöht. Derartiges aber ist für mich nicht wirklich fassbar. Konkrete Details hingegen lassen mich mitfühlen.

Der historische Jesus hieß Jeshua und wurde wahrscheinlich in Nazareth geboren, einem Ort im Norden Israels. Die von mehreren Jüngern überlieferte Weihnachtsgeschichte nennt Bethlehem als Geburtsort Jesu. Dies ist vermutlich eine Legende, um Jesus auf das Geschlecht Davids zurückzuführen, der aus Bethlehem stammte, und seine Geburt mit der Messias-Erwartung zu verknüpfen. Die Geburt Jesu fiel wahrscheinlich noch in die letzten Jahre des Herodes. Von Forschern wird ein Zeitraum von 6 bis 4 v. Chr.! angenommen. Jesus war Sohn eines Zimmermannes und übte vermutlich selbst diesen Beruf aus.

Vielleicht war Jesus Anhänger Johannes des Täufers, eines Propheten. Dieser taufte die Menschen, um sie in Erwartung des Gottesreiches von Sünden zu befreien. Als Jesus im Jordan getauft wurde, sah er, wie sich der Himmel öffnete und der Heilige Geist in Gestalt einer Taube zu ihm herabkam. Gleichzeitig hörte er die Stimme Gottes aus dem Himmel, die ihn seinen lieben Sohn nannte. Dies war sein Berufungserlebnis, das ihn prägte und fortan selbst als Prophet wirken ließ. Der Ort seines Wirkens wurde Karfanaum am nördlichen Ufer des Sees Genezareth. Dort wohnte er im Haus seines engsten Freundes und Jüngers, des Fischers Simon-Petrus. Sein zu einer Kirche umgebautes Haus wurde mit ziemlicher Sicherheit archäologisch nachgewiesen. Als Wanderprediger war Jesus in den Ortschaften rings um den See unterwegs, in Gegenden mit vorwiegend jüdischer Bevölkerung. Er war nicht verheiratet, seine Jünger schon. Sie übten auch weiterhin ihre bisherige Tätigkeit aus und begleiteten ihn manchmal oder nahmen ihn in ihren Häusern auf. Zwölf Jünger (Schüler) zählten zu seinem engeren Kreis. Dem weiteren Kreis gehörten auch Frauen an. Sie folgten ihm zu Pilgerreisen. Jesus ging einfach auf die Menschen zu und überzeugte sie, ihm zu folgen. Manche ließen buchstäblich alles stehen und liegen.

Jesus kannte die heiligen Schriften Israels, die Tora. Er wollte sich nicht davon abkehren oder gar eine neue Weltreligion begründen – dies war nicht seine Absicht. Er wollte den jüdischen Glauben vertiefen und ausweiten. Die Grundsätze, die er predigte, standen nicht im Widerspruch zur Tora. Jesus war überzeugt von einer nahen Weltenwende, dem Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen. Er äußerte, den Sturz Satans aus dem Himmel bereits gesehen haben. Dem Kampf im Himmel würde die Weltenwende folgen. Jenes Ereignis, das Jesus erwartete zu erleben, war für ihn ein Grund zur Freude. Er taufte nicht wie Johannes, und er warnte auch nicht vorm kommenden Gericht. Er war auch kein Asket wie Johannes. Wichtig für sein Wirken waren seine Tischgemeinschaften. Auch Menschen, die von der Gesellschaft ausgestoßen waren, nahm er in seine Tischgemeinschaft auf. Als man ihm das vorwarf, entgegnete er, er sei deren Arzt und Heiler. Seine Tischgemeinschaften auf der Erde würden die Tischgemeinschaften mit ihm und den Vätern Israels im Reich Gottes folgen.

Jesus war aber kein Aussteiger wie die kynischen Wanderprediger der Antike. Er bezog sich immer wieder auf die jüdische Religion und das Volk Israel als von Gott auserwähltes Volk. Er sah der Apokalypse, der Weltenwende, relativ entspannt entgegen und drohte nicht damit. Das Volk Israel würde nach seiner Vollendung auch andere Völker positiv beeinflussen. Jene anderen Völker schloss er vom Reich Gottes nicht aus.

Seine Wunder tat Jesus abseits der großen Volksmenge. Für ihn waren es Wunder Gottes. Einmal überzeugte eine Heidin Jesus durch ihren Glauben, an ihrer Tochter ein Wunder zu vollbringen. Dies war jedoch eine Ausnahme.

Jesus wirkte ungefähr ein Jahr lang als Prophet in Galiläa. Dann wollte er die Botschaft von der Gottesherrschaft auch nach Jerusalem tragen. Anlass seiner Pilgerreise war das Pessachfest, eines der Pilgerfeste des jüdischen Glaubens. Er hat wahrscheinlich nicht befürchtet, in Jerusalem zu sterben, aber mit Schwierigkeiten musste er rechnen. Er hatte Feinde. Und die Bibel prophezeite das gewaltsame Ende eines von Gott gesandten Propheten.

Das Pessachfest erinnert an die Befreiung des Volkes Israel. Tausende Menschen strömten in Jerusalem zusammen, um es zu feiern. Die römischen Besatzer bereiteten sich auf eine Ausnahmesituation vor: der Statthalter Pontius Pilatus kam aus seinem Sitz in Cäsarea in die Stadt und brachte für alle Fälle Soldaten mit.

Schon der Einzug Jesu in Jerusalem, der gewiss von vielen Anhängern begleitetet wurde, muss Aufsehen erregt haben. Sie jubelten ihm, dem Herrscher aus dem Geschlecht Davids, zu. Es war an einem Sonntag vor dem Pessachfest. Am darauffolgenden Freitag, an den der Karfreitag erinnert, wurde Jesus verurteilt und hingerichtet. Er wirkte also vier Tage lang in Jerusalem. Für seine Verkündigung wählte er den Tempel, das geheiligte Zentrum Israels. Dort fand er durch die vielen Pilger große Aufmerksamkeit. Er wollte Tempel und Tempelkult kritisieren.

Jesus stieß die Tische der Geldwechsler und Stände der Traubenverkäufer in den Kolonnaden des Tempelhofes um. Diese waren aber für den Tempelbetrieb notwendig. Er wollte mit seinem Handeln das Ende des Tempels verdeutlichen. Ein neuer Tempel, verkündete er, befand sich unsichtbar im Himmel. Jesus nahm die Zerstörung des Tempels des Herodes im Jahre 70 vorweg.

Mit seinem Verhalten wurde er zum Gegner für den Priesteradel, der in Jerusalem das Sagen hatte. Die Priester wagten es nicht, ihn öffentlich gefangen zu nehmen. Der Verrat des Judas, dessen Gründe unbekannt sind, spielte ihnen in die Hände.

Am Abend vor seiner Verurteilung versammelte sich Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mahl. Es war wohl kein Pessachmahl, denn derartige Details sind nicht überliefert. Ein Dankgebet, das gemeinsame Brotbrechen und Kreisen des Segensbechers gehören zu jedem jüdischen Festmahl. Nun waren seine Festnahme und Verurteilung nahe. Er spielte darauf an „dies ist mein Leib“. Er war überzeugt, für Viele zu sterben, für die Vergebung ihrer Sünden.

Nach dem Mahl zog sich Jesus zum Beten in einen Garten unterhalb des Ölberges zurück. Dort wurde er um Mitternacht von der Tempelpolizei verhaftet. Die Jünger flohen nach Galiläa. Nur einige Frauen blieben in Jerusalem. Sie mussten mit keiner Verfolgung rechnen. Im Haus des Hohepriesters wurde Jesus verhört. Der Hohe Rat wollte die Angelegenheit noch vor dem Fest erledigen. Er konnte Jesus nicht verurteilen, sondern nur eine Anklage beim Statthalter vorbereiten. Grund für die Festnahme war die Tempelaktion. Jesus provozierte während des Verhörs mit verschärfter Darstellung seines Sendungsauftrages. Die Priester klagten ihn als Aufrührer an, der die öffentliche Ordnung gefährdete. Damit versprachen sie sich Erfolg bei der römischen Besatzungsmacht. Die Verurteilung erfolgte vor dem Palast des Herodes im Freien. Pilatus wollte wohl am Pessachfest ein Exempel statuieren. Die Version, er hätte Jesus nicht verurteilen wollen und dem Hass des jüdischen Volkes nachgegeben, wird als judenfeindliche christliche Tendenz angesehen.

Das Urteil wurde sofort vollstreckt. Der Tod am Kreuz war die übliche Strafe für einen politischen Aufrührer. Vor der Hinrichtung erfolgte die Geißelung durch die Soldaten. Bereits die Geißelung (er wurde ausgepeitscht bis zur Ohnmacht) führte beinahe zum Tode. Golgata, die Hinrichtungsstätte, lag nordwestlich außerhalb der Stadtmauer. Zusammen mit zwei anderen Verurteilten wurde Jesus um die Mittagszeit gekreuzigt. Die Kreuzigung war ein qualvoller Tod, der sich mitunter über viele Stunden und sogar Tage hinzog. Es gibt Ausführungen darüber, was im menschlichen Körper während dieser Zeit passiert – das ist keine leichte Lektüre. Jesus starb bereits nach drei Stunden, vielleicht in Folge des Blutverlustes während der Geißelung, am „Karfreitag“ des Jahres 30. Ein Mitglied des Hohen Rates, das Jesus nahestand, bat Pilatus, den Leichnam freizugeben, damit er nicht unbestattet am Kreuz hängen blieb. Jesus wurde im Felsengrab dieses Mannes bestattet. Am nächsten Morgen wollten ihn die Jüngerinnen salben, doch sie fanden das Grab leer vor. Wenig später erfuhren sie wahrscheinlich, dass Jesus seinen Jüngern als durch Gott Auferweckter begegnet sei.

Über den historischen Jesus zu lesen, hat ihn mir nahe gebracht. Ich habe eine konkrete Vorstellung von seinem Aussehen. Die von Mythen befreite Geschichte verstärkt in mir noch das Gefühl, dass damals etwas Besonderes, Weltbewegendes geschehen ist. Ob Jesus nun aus dem Geschlecht Davids stammte, ist gar nicht so wichtig. Gottes Sohn – mehr geht doch gar nicht. Bleibt noch die Frage, ob ich an die Auferstehung Jesu glaube. Irgendwie schon.

Um 111 war Plinius der Jüngere in Bithynien, dem Norden der heutigen Türkei, in ähnlicher Position wie Pilatus zuvor in Judäa. Das Christentum hatte sich seitdem nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande verbreitet. Einige Christen wurden beim Statthalter angezeigt. Er bot ihnen einen Ausweg an. Wenn sie ihrem Glauben abschworen und dies bewiesen, indem sie die Staatsgötter anbeteten, geschah ihnen nichts. Seine Verfahrensweise, wonach die Christen nicht verfolgt wurden, bestätigte Kaiser Trajan auf Anfrage des Plinius. Plinius der Jüngere ist die bedeutendste literarische Quelle zur trajanischen Zeit, und die sogenannten Christenbriefe werden immer wieder zitiert. Näheres dazu sowie Quellenangabe zu jenen Briefen in meinem Text "Plinius in Bithynien".

Literatur:

Jürgen Roloff: „Jesus“, Beck‘sche Reihe, Verlag: C. H. Beck; 2012, ISBN-13: 978-3406447426

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