Blog zum historischen Roman "Im Banne des Besten" mit Informationen über die Blütezeit des Römischen Imperiums
Sonntag, 25. Februar 2018
Haarmode, Kosmetik und Make up
In der römischen Kaiserzeit diktierte der Hof die Mode. Das galt auch für Haar- und Barttracht. Deshalb sind Porträts der Kaiser und ihrer Ehefrauen hilfreich, um Bildnisse unbekannter Römer zeitlich einzuordnen. Die einfachen Leute hatten aber oftmals weder Muße noch die Mittel, um dem Herrscher oder dessen Gattin nachzueifern.
Schon unter den Flaviern trugen die vornehmen Damen wahre Kunstwerke von Frisuren, die wir heute als überladen bezeichnen würden. Die Bildnisse der Frauen am Hofe Kaiser Trajans sind aufschlussreich über das Können der Friseurinnen, ornatrices genannt. Die Kaiserin Plotina, die Kaiserschwester Marciana und deren Tochter Matidia trugen kunstvolle Hochfrisuren, bestehend aus zahlreichen geflochtenen Zöpfen, Haarknoten oder Zopfschleife, Stirntoupets, Lockenreihen, oft von Diademen gekrönt. Eine ornatrix brauchte für ihre Arbeit Kamm, Haarbänder, Haarnadeln, einen Ondulierstab zum Brennen von Locken, mitunter auch Nadel und Faden, um Teile der Frisur zu fixieren. Die ornatrix zupfte graue Haare aus und färbte das Haar, wenn gewünscht. Es gab Perücken, sicher auch Haarteile. Zum Färben der Haare benutzte man Hennapulver, aber auch Mixturen aus Asche. Zum Blondieren wurden Färbemittel aus Germanien bezogen. Auch Blautönungen waren bekannt. Die ornatrix musste behutsam vorgehen, wenn sie ihre Herrin frisierte, damit es nicht schmerzte. So manche Dame bestrafte ihre Sklavin durch Schläge, Nadelstiche oder mit den Fingernägeln. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Kaiserin Plotina wie eine Furie gebärdete. Ihre ornatrix ist eine der Hauptpersonen in meinem Roman. Gewiss verfügte die Augusta über geschickte Sklavinnen und Freigelassene - in einer Zeit, in der gutes Personal nicht mehr in beliebiger Zahl zur Verfügung stand. Am kaiserlichen Hof wurde auch ausgebildet. Ich kann mir Plotinas Dienerinnen als enge Vertraute vorstellen. Vertrauenswürdig musste man bei so viel Nähe zur Kaiserin sein.
Zu kosmetischen Behandlungen wurden vor allem Gesichtsmasken benutzt. Eselsmilch galt als Schönheitsmittel; die Kaiserin Poppea, Neros Gattin, badete sogar darin. Das Make up der vornehmen Römerinnen bestand aus einer hellen Pudergrundierung, die mit Fett und Honig angereichert wurde. Darüber wurde Rouge aufgetragen, entweder aus einer Lackmusflechte oder aus Purpurfarbe. Die Wimpern und Augenbrauen wurden geschwärzt, Lidschatten und Lidstrich waren grün oder blau. Es gab auch Schönheitspflästerchen, die sogar Männer benutzten. Unverzichtbar waren duftende Öle, Salben und Parfums. Die Frauen ließen ihren gesamten Körper rasieren, was sicher schmerzhaft war.
Die Männer trieben weniger Aufwand als die Frauen. Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. verbreitete sich das Rasieren in Rom. Die Prozedur muss unangenehm gewesen sein. Soldaten und Männer unterer Schichten kann man sich eher stoppelbärtig vorstellen. Die Körperrasur galt als weibisch. Die Männer achteten nur darauf, dass Achselhaare nicht über der Kleidung zu sehen waren. Salböle waren auch unter Männern beliebt; es galt als gesund, sie zu verwenden. Zur Zeit Trajans trugen die meisten Männer die einfache Kurzhaarfrisur des Monarchen. Der Kaiser färbte sein Haar nicht, denn Plinius berichtet, dass es schon zu Beginn seiner Herrschaft grau oder sogar weiß war. Als Licinius Sura, der engste Freund des Herrschers, von Neidern verleumdet wurde, ging Trajan ohne Bewachung zu ihm und ließ sich von seinem Barbier rasieren, um ihm dadurch sein Vertrauen zu bezeugen. Erst Hadrian brachte den Bart wieder in Mode.
Literatur:
Georg Ürögdü: "Reise in das alte Rom", Prisma-Verlag, Leipzig 1966
Karl-Wilhelm Weeber: Alltag im Alten Rom, Das Leben in der Stadt, Patmos Verlag, Düsseldorf 2001, ISBN 3-491-69042-0
Daniela F. Mayr, Klaus Mayr: "Von der Kunst, Locken auf Glatzen zu drehen", Eichborn Verlag, Frankfurt 2003, ISBN: 3-8218-0734-2
Sonntag, 18. Februar 2018
Medizin, Behinderung und Dienstuntauglichkeit
Die ersten griechischen Ärzte kamen relativ spät, 292 v. Chr. nach Rom, um dort zu wirken. Lange Zeit misstrauten ihnen die Römer und verließen sich lieber auf ihre Hausmittel, die der Hausherr, der pater familias, verordnete. Das änderte sich spätestens zu Beginn der Kaiserzeit, als mit dem stehenden Berufsheer, das Augustus schuf, auch die medizinische Versorgung der Armee organisiert wurde.
In unmittelbarer Nähe der Militärlager entstanden Krankenhäuser mit einem relativ hohen Standard an Zweckmäßigkeit und Hygiene. Auch in Marschlagern wurden solche Stützpunkte geschaffen. Die römischen Soldaten waren gut ausgebildet, und deshalb lag den Kaisern viel daran, dass sie am Leben erhalten und wieder diensttauglich gepflegt wurden. Die Gladiatoren wurden auf ähnliche Weise medizinisch betreut wie die Soldaten. Im zivilen Leben gab es praktizierende Ärzte, und reiche Römer leisteten sich eigene Ärzte. Trajans Leibarzt T. Statilius Crito war mit Sicherheit eine Koryphäe unter den Medizinern der damaligen Zeit. Wie die meisten seiner Kollegen war er auch Pharmazeut: Er stellte seine Medikamente selbst her.
Die Kenntnisse der Ärzte von der menschlichen Anatomie, vom Kreislauf und den inneren Organen waren begrenzt. Medizinische Eingriffe erfolgten vor allem oberflächlich. Pfeilwunden, die nicht tief gingen, konnten relativ gut behandelt werden, wenn auch solche Operationen sehr schmerzhaft waren. Es gab keine Anästhesie, wenn man von Alkohol, dem Saft des Schlafmohns und Kräutern wie der Alraunenwurzel absieht, die damals zur Betäubung eingesetzt wurden. Es gab Allgemeinärzte und Spezialisten wie Augenärzte, Zahnärzte, Chirurgen. Auch Ärztinnen gab es, nicht nur Hebammen. In Ostia ist das Grab eines Gynäkologen und einer Hebamme überliefertes Zeugnis einer Praxisgemeinschaft.
Bei inneren Verletzungen waren die antiken Ärzte meist machtlos. Amputationen wurden durchgeführt, aber wenn der Patient überlebte, war er mit hoher Wahrscheinlichkeit dienstuntauglich. Es gibt literarische Berichte von Holzfüßen und eisernen Händen, aber derartige Verletzungen waren mit solchen Einschränkungen verbunden, dass die Betroffenen am ehesten noch Hilfstätigkeiten bei der Armee versehen konnten, die normalerweise Sklaven oder Freigelassene erledigten. Ähnlich war das wohl im zivilen Leben. Gut dran waren diejenigen, die mit Hilfe von Angehörigen und Sklaven noch ein Gewerbe ausüben oder Land bestellen konnten. Beinprothesen sind erst aus dem frühen Mittelalter erhalten, aber zweifellos gab es sie schon früher. Menschen mit Behinderungen wurden damals eher gemieden. Krankheiten, Fehlbildungen, sogar Kriegsverletzungen galten als Strafen der Götter. Ein Gegenbeispiel ist der römische Kaiser Claudius, der unter leichten körperlichen Behinderungen litt und dennoch auf den Thron gelangte. Zwar konnte ihn Seneca, immerhin ein Intellektueller, nach seinem Tod verspotten, aber die Überlieferung würdigt auch seine Vorzüge als Herrscher.
Mein Protagonist ist ein hoffnungsvoller junger Mann, der das Vertrauen des Kaisers genießt und dem eine glänzende Karriere mit Aufstieg in den Ritterstand so gut wie sicher ist. Aber er verliert zu Beginn des ersten Dakerkrieges seinen rechten Unterarm. Warum ich so etwas schreibe? Unter anderem deswegen, weil mir ein solcher Fall realistischer vorkommt als das Gegenteil: der strahlende, unverwundbare Held. Gaius hat Glück: Die Protektion durch den Kaiser und seine persönlichen Fähigkeiten sorgen dafür, dass er nicht in Armut abstürzt oder betteln muss. Aber in der Garde kann er nicht mehr dienen, und auch in anderem Zusammenhang erfährt er Zurücksetzung, weil es, wie er gelegentlich hört, auch aufs Äußere ankommt.
Seine Art, sein Schicksal anzunehmen und nicht aufzugeben, beeindruckt mich. Diese Figur hat sich allmählich geformt, und der Mann ist mir ein Vorbild. Er weigert sich, die Erwartungen seiner Familie zu erfüllen. Er lässt sich beeinflussen, wenn er es für richtig hält. Und trotz seiner Verletzung wird er attraktiver. Gaius lässt sich Prothesen anfertigen und ist zeitweise wieder als Leibwächter im Einsatz. Oft ist ihm die Prothese aber auch hinderlich, und er geht immer offener mit seinem körperlichen Makel um. Ich gebe zu, dass er ein ziemlich moderner Charakter ist.
Die jüngere Matidia, Großnichte Kaiser Trajans und im Roman Freundin des Protagonisten, ist in meiner Geschichte auch ein wenig beeinträchtigt: Sie schielt. Es ist seltsam, dass diese Frau im Unterschied zu ihren beiden Halbschwestern keine Rolle in der Dynastie spielte. Eine Behinderung kann ein Grund dafür gewesen sein, aber auch andere, nicht überlieferte Gründe sind denkbar.
Literatur:
Ernst Künzl: "Medizin in der Antike", Theiss Verlag GmbH; Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1669-X
Marcus Junkelmann: Die Legionen des Augustus, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1986, ISBN 3-8053-0886-8
Sonntag, 11. Februar 2018
Sarmaten im Konflikt mit Rom
Die Sarmaten lebten ursprünglich in den Steppen nördlich des Kaspischen Meeres bis ins westliche Kasachstan. Der Don, der in der Antike als Grenze zwischen Europa und Asien galt, war die westliche Grenze ihres Gebietes. Später lebten sie westlich des Don. Die Sarmaten oder Sauromaten waren ein iranisches Reiternomadenvolk und mit den Skythen verwandt. Der sagenhaften Überlieferung nach gingen skythische Jünglinge Beziehungen mit Amazonen ein, aus denen die Sarmaten entstanden. Die Sarmaten sprachen eine Abart des Skythischen, da die Amazonen die Sprache der Skythen nicht vollständig erlernt hatten. Die Amazonen sollen auf eine Trennung der Sarmaten von den Skythen gedrängt haben, weil sie mit deren Frauenbild nicht zurechtkamen. Die Skythen standen schon länger unter dem Einfluss der alten Griechen: Bei ihnen herrschte Patriarchat, die Frauen ordneten sich den Männern unter.
Bei den Sarmaten hingegen hatten die Frauen mehr Freiheiten. Sie besaßen Waffen und unterstützten die Männer, wenn nötig, im Kampf. Bewaffnete Auseinandersetzungen hatten einen hohen Stellenwert bei den Steppennomaden. Die Sarmaten überfielen andere Völker, um sie zu unterwerfen, und schreckten auch vor Angriffen gegen römische Legionen nicht zurück. Berühmt waren die schweren Panzerreiter, die der Oberschicht jenes Volkes angehörten. Sie sind auf der Trajanssäule dargestellt. Zusammen mit der leichten Reiterei waren sie sehr erfolgreich. Im Jahr 92 vernichteten Sarmaten die römische Legion "Rapax" in der Provinz Pannonien, d.h. auf römischem Territorium. Jenseits der Donau, in der pannonischen Ebene, hatte sich der sarmatische Stamm der Jazygen im ersten Jahrhundert unter römischer Förderung niedergelassen. Ursache für die Wanderung der Sarmaten nach Südwesten war der Druck anderer Völker. Die Sarmaten lebten in mit Filz bezogenen Wohnwagen, auch in Jurten. Sie hielten Vieh, und nur die ärmsten unter ihnen wurden sesshaft und bestellten Felder.
Die Römer sahen in den Jazygen potentielle Bundesgenossen, aber sie benutzten sie auch, um unter den Völkern jenseits der Donaugrenze Zwietracht zu säen. Rom war kein verlässlicher Verbündeter, was allerdings auch an den Konflikten innerhalb des Imperiums (Krisen, Ermordung mehrerer Kaiser) lag. Die Jazygen unterhielten meist gute Beziehungen zu den Quaden (Donausueben), aber auch zwischen jenen Völkern herrschte zeitweise Krieg. Jazygen und Daker hatten meist Probleme miteinander; die sarmatischen Roxolanen hingegen waren Verbündete der Daker. In den Dakerkriegen Trajans waren die Jazygen zunächst Verbündete Roms, aber als der Kaiser sich weigerte, von den Dakern eroberte Gebiete an sie zurückzugeben, wandten sie sich gegen das Imperium und die neue Provinz Dakien, was einen erneuten Krieg zur Folge hatte. Die damalige Lage im Donauraum war hochgradig instabil. Die Kaiser Hadrian und Marc Aurel mussten alle Kräfte aufbieten, um die Grenzen des Imperiums zu schützen.
Die Sarmatin Timea, zunächst nur Nebenfigur, wuchs mir bald ans Herz und wurde zu einer der Hauptfiguren. Ihr Mut und ihre Schlagkraft, ihr aus heutiger Sicht auch grausames Verhalten entsprechen der Überlieferung, wonach die Frauen der Sarmaten Nachkommen von Amazonen waren. Timea ist aber keine Kampfmaschine, sondern zeigt auch ihre weibliche Seite. Aus den Grabbeigaben der Sarmaten wissen wir von der Schönheit der Gebrauchsgegenstände jener Völker, die oft aus Gold gearbeitet und kostbar verziert waren. Die Frauen besaßen bestickte Kleidungsstücke, kunstvoll gearbeiteten Schmuck und Kosmetika bis hin zu Schminkutensilien. Timea ist nicht nur stark und selbstbewusst, sie verliebt sich auch in mehrere Männer ganz unterschiedlichen Charakters.
Mich faszinieren die Steppennomaden und besonders jene, die sich mitten in Europa ansiedelten. Im heutigen Ungarn sind sie nicht in Vergessenheit geraten. In Geschichtsdokus wird oft der Eindruck vermittelt, die Römer hätten das damalige Europa mit ihren Legionen überrollt, während andere Völker machtlos gegen sie waren. Wer die Rekonstruktion eines sarmatischen Kataphraktenreiters sieht, wird begreifen, dass solche Meinungen nichts mit der Realität zu tun haben. Die Panzerreiter der Sarmaten wurden unter Kaiser Marcus Aurelius wieder römische Verbündete und kamen sogar im entfernten Britannien zum Einsatz. Es ist möglich, dass die Artus-Sage von ihnen erzählt. Der Einfluss jener Reiter auf die Ritter des Mittelalters ist offensichtlich. Ich empfehle gern einen wirklich guten historischen Roman: "Die Reiter der Sarmaten" von Gillian Bradshaw.
Literatur:
Gold der Steppe: Archäologie der Ukraine, Archäologisches Landesmuseum, Schleswig, 1991
Gerhard Pöllauer: Die verlorene Geschichte der Amazonen, EBOOKS.AT, Klagenfurt, 2002, ISBN: 3-902096-88-8
Gillian Bradshaw: Die Reiter der Sarmaten (Roman), Goldmann, 1992, ISBN-10: 3442424291
Sonntag, 4. Februar 2018
Dion Chrysostomos von Prusa
Wenn ich mich mit Geschichte beschäftige, frage ich mich manchmal, wie aussagekräftig ein Fragment für die Gesamtheit eines Themas ist. Würde ein Teil meines Hausrats in ferner Zukunft analysiert, würden Wissenschaftler zufällig meinen Kosmetikkoffer mit den Schminkutensilien finden, dann könnte sie der Fund zu dem Schluss verleiten, dass ich viel Zeit und Mühe für das Make-up aufwende. Die Wahrheit ist jedoch: Das Köfferchen ist gefüllt mit guten Vorsätzen, mehr auf mein Äußeres zu achten. Tatsächlich verwende ich nur einen Bruchteil dieser Produkte - und dies sehr selten.
Die philosophisch interessierte Kaiserin Plotina hätte ihre Freude an einer Debatte über das Thema gehabt. Aber auch Dion von Prusa hätte dazu sicher Einiges beizusteuern. Dion oder auch Dio, wie man ihn in der römischen Welt nannte, stammte aus Prusa in Bithynien - jener Provinz, in der Plinius der Jüngere kaiserlicher Sonderbeauftragter war. Dion war angesehener Bürger der Stadt, hatte dort ein Haus und Grundbesitz. Als Redner reiste er viel und weilte schon unter den flavischen Kaisern in Rom. Unter Domitian geriet er in den Verdacht, Freund eines Mitverschwörers zu sein, und wurde sowohl aus Rom und Italien als auch aus seiner Heimat Bithynien verbannt.
Während seiner Verbannung reiste Dion als kynischer Wanderprediger durch verschiedene Länder. Man darf die Kyniker der Antike nicht mit den Zynikern im heutigen Sinne gleichsetzen. Jene antiken Philosophen wählten die Askese nach dem Motto: Wer nichts hat, kann nichts verlieren. Die Kyniker sprachen sich für einen Rückzug aus der Öffentlichkeit aus. Sie strebten nach Glück und persönlicher Freiheit, die nur erreichbar war, wenn sie sich aus der Gesellschaft zurückzogen. Derartige Bestrebungen finden sich auch bei anderen philosophischen Schulen wie den Stoikern und Epikureern, aber auch im Christentum. Die Kyniker fühlten sich an hohe ethische Grundsätze gebunden und neigten zu Übertreibungen und Provokationen, um Wirkung zu erzielen. Kyniker sollen das römische Volk gegen die jüdische Prinzessin Berenike aufgebracht haben, was zur Folge hatte, dass der künftige Kaiser Titus sich von ihr trennte und sie Rom verlassen musste. Der berühmteste Kyniker war Diogenes von Sinope, der in freiwilliger Armut lebte. Diogenes wurde wegen seiner "Bissigkeit", aber auch seiner Lebensweise, die der eines Straßenköters glich, als "Hund" bezeichnet. Diogenes nahm diese Bezeichnung an, und fortan gehörte sie zu den Kynikern.
Die Kyniker verwickelten die Menschen in Streitgespräche, Dialoge. Jene Diskussionen waren sicher faszinierend, aber ich kann mir vorstellen, dass die Leute nicht immer dafür aufgeschlossen waren. Von Dion sind aber auch Reden, Monologe, überliefert. Er betrachtete seine Verbannung - ganz Philosoph - als Prüfung seiner Persönlichkeit. Er musste Gelegenheitsarbeiten übernehmen, um durchzukommen, und manchmal bettelte er auch. Seine Gesundheit litt unter diesem Leben. Es ist möglich, dass er zeitweise inkognito reiste und Reden gegen den Kaiser hielt, der ihn verbannt hatte. Nach Domitians Ermordung hob Kaiser Nerva die Verbannung auf. Dion wurde sein Freund und nahm als Zeichen der Verbundenheit mit dem Herrscher den Namen Cocceianus an.
Nerva regierte nur zwei Jahre lang; sein Nachfolger wurde Trajan. Dion kam wahrscheinlich im Jahr 100 nach Rom. Er führte eine Gesandtschaft an, die Vergünstigungen für seine Heimatstadt Prusa erbitten wollte. Er hatte Erfolg und blieb länger in der Stadt als geplant, denn zwischen ihm und Kaiser Trajan entwickelte sich eine persönliche Freundschaft. Mehr noch: Dion war zeitweise philosophischer Berater des Kaisers. Er hielt vor ihm und dem Hof Reden über das Königtum, in dem er ein Bild des idealen Herrschers entwarf. Seiner eigenen Aussage nach hatte er persönlichen Umgang mit Trajan und kannte dessen Charakter. Auch nahm sich der Kaiser Zeit für Gespräche. Es ist möglich, dass er von seiner Gattin Plotina, vielleicht auch von seinem Freund Sura dazu angeregt wurde, aber ich möchte dem Herrscher nicht die Eigeninitiative in dieser Angelegenheit absprechen. Denn: Wir wissen nichts Genaues. Während eines Ausflugs soll der Kaiser zu Dion gesagt haben: "Ich verstehe nicht, was du sagst, doch ich liebe dich wie mich selbst." (Zitat bei Sylvia Fein: "Die Beziehungen der Kaiser Trajan und Hadrian zu den litterati", Teubner Verlag, Stuttgart 1994, S. 233). So reizvoll es ist, darüber nachzudenken, wie Trajan diese Worte wohl gemeint hat, wenn die Aussage überhaupt authentisch ist: Wir werden es nicht genau erfahren. Sir Ronald Symes Meinung ("Tacitus", Volume I, Oxford University Press, 1958, S. 40), Trajan hätte in seiner Rolle als einfacher, volksnaher Herrscher übertrieben, da Dion keine komplizierten Gedanken ausbreitete, die ihn überforderten, sondern Reden über die ideale Monarchie hielt, überzeugt mich nicht, denn letztlich weiß niemand, welche Themen bei jenem Ausflug besprochen wurden.
Die römische Oberschicht der damaligen Zeit orientierte sich an philosophischen Strömungen. Somit wirkt das Verhältnis zwischen Dion und Trajan nicht wie ein Einzelfall. Möglicherweise war der Kaiser mit Angehörigen der stoischen Senatsopposition verwandt; Seneca war zumindest ein Landsmann, vielleicht persönlicher Bekannter seines Vaters, eventuell auch ein Verwandter.
Im Jahr 101 reiste Dion mit Trajan an die Donau. Der Kaiser führte Krieg gegen das Dakerreich. Der Philosoph hat eine Schrift "Getika" verfasst, die sich mit den Dakern befasste und die nicht überliefert ist. Er reiste vermutlich von der Donau aus zurück nach Bithynien. Es wird angenommen, dass er zwischen 115 und 120 starb.
Literatur:
Hans von Arnim: Leben und Werke des Dio von Prusa, Weidmannsche Buchhandlung, Berlin, 1898