Montag, 17. April 2017

Das Bild bekommt Risse: Der Eroberer

Neben älteren Veröffentlichungen über Römische Geschichte wie beispielsweise "Das Römische Weltreich" von Theodor Birt war in der DDR auch moderne populärwissenschaftliche Literatur erhältlich, so Wolfgang Seyfarths "Römische Geschichte, Kaiserzeit" in zwei Bänden. Nach und nach kam ich an die grundlegenden Informationen über Trajans Herrschaft heran. Dass er überwiegend mit Augenmaß regierte und durch seine Umgänglichkeit als Princeps des Senats und Landesvater gleichermaßen beliebt war, würdigte auch die DDR-Sachliteratur.

Aber Trajan zählt auch zu den erfolgreichen Eroberern unter den römischen Kaisern und unter seiner Herrschaft erreichte das Imperium seine größte Ausdehnung. Die Unterwerfung des Dakerreiches in zwei Kriegen war ein gewaltiger Kraftakt. Es kam zu erbitterten Kämpfen mit Verlusten auf beiden Seiten, und auch die Zivilbevölkerung in Dakien wurde schwer getroffen. Die Menschen litten unter Verwüstungen und Plünderungen, mussten fliehen, wurden getötet oder gefangen genommen. Geeignete Kriegsgefangene sparte man für die Spiele zu den Siegesfeierlichkeiten in Rom auf. Und Trajan veranstaltete glanzvolle Spiele: Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen und innerhalb dieser Veranstaltungen auch Hinrichtungen. Sicher genoss er diese Vorführungen inmitten seines Volkes und nicht nur, um sich beliebt zu machen.

Als mir all das bewusst wurde, war ich überfordert und traurig. Das Bild vom "humanen" Kaiser, das ich mir gemacht hatte, brach zusammen. Das war etwas Anderes als ein bisschen Missbilligung, wenn man erfährt, dass der Lieblings-Rockstar nicht nur tolle Musik macht, sondern gelegentlich auch Hotelzimmer verwüstet. Da ging es um Tausende, vielleicht Zehntausende Tote und eine Art von Massenunterhaltung, deren Grausamkeit wir heute verurteilen.

Nach und nach wurde mir klar, dass Trajans Kriege und die großzügigen Spiele, die er gab, in keinem Widerspruch standen zu seinem eigenen Anspruch, gut herrschen zu wollen. Ein römischer Kaiser benötigte Erfolge als Feldherr. Das Erwerben von Kriegsruhm war als altrömische Tugend tief im Selbstverständnis der Oberschicht verwurzelt. Das Heer wünschte sich einen starken, tapferen und disziplinierten Feldherrn, und Soldaten wie Offiziere strebten nach Belohnungen und Beförderungen. Die Römer hatten den Anspruch, nur "gerechte" Kriege zu führen. Somit war zumindest offiziell ausgeschlossen, dass ein Kaiser aus persönlichen Gründen einen Krieg vom Zaune brach. Aber es gab genügend Gelegenheiten für die Cäsaren, sich als Feldherren zu bewähren. Immer wieder kam es zu Konflikten an den Grenzen des Imperiums. Der Dakerkönig Decebalus war ein ernst zu nehmender, selbstbewusster Gegner, der sich Rom nicht beugen wollte und sogar ein anti-römisches Bündnis mit den Parthern anstrebte.

Dem Volk von Rom gab Trajan, was es sich wünschte. Das Verlangen nach Brot und Spielen ist heute noch sprichwörtlich. Durch die Bauvorhaben des Princeps in Rom und Italien hatten viele Menschen ein Einkommen. Die Spiele und speziell die Gladiatorenkämpfe wurden in der damaligen Zeit anders bewertet. Der Kampf auf Leben und Tod entsprach durchaus dem altrömischen Ideal der Tapferkeit (virtus). Trajan hat in besonderem Maße versucht, sowohl der Oberschicht, dem Senat, als auch seinem Heer und Volk gerecht zu werden. Das ist ihm oftmals durch Gesten gelungen, denn von seiner fast absoluten Macht hat er nichts vergeben.

Es ist problematisch, eine so weit zurück liegende Geschichtsepoche an modernen Maßstäben zu messen. Mir ist es wichtig, mich den zwiespältigen Gedanken und Gefühlen, die bei der Beschäftigung aufkommen, zu stellen. Da gibt es Momente der Begeisterung: Toll, was die antiken Hochkulturen vollbracht haben. Und manchmal kann man einfach nur den Kopf schütteln, ist verwundert oder gar entsetzt. Warum, habe ich mich oft gefragt, hat der Kaiser als über Sechzigjähriger seinen Partherkrieg geführt? Hätte er nicht ahnen müssen, dass ein solches Unternehmen die Kräfte des Reiches (und letztlich auch seine eigenen) übersteigen würde?

Aber ehrlich: Beschränkt sich solche Ambivalenz nur auf den Umgang mit Geschichte? Ist die Neuzeit denn frei von Grausamkeit, Gewalt, Irrtümern, Voyeurismus, Selbstherrlichkeit, fragwürdiger Massenunterhaltung? Menschen haben Großartiges wie auch Schreckliches getan - und tun es immer noch.

Man kann eine historische Persönlichkeit kritisch betrachten, auch zwiespältig, und ihr dennoch Respekt entgegen bringen. Und Respekt hat Trajan durchaus verdient.

Literatur:

Theodor Birt: Das römische Weltreich, Th. Knaur Nachf., Berlin 1941

Wolfgang Seyfarth: Römische Geschichte, Kaiserzeit 1, Akademie-Verlag DDR, Berlin, 1974

Marcus Junkelmann: Das Spiel mit dem Tod - So kämpften Roms Gladiatoren, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2563-0

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen