Samstag, 24. September 2022

Gräuelszenen an der Trajanssäule

Ich habe mich oft gefragt, ob Menschen in der Antike manche Grausamkeiten, die heute tiefes Entsetzen auslösen, anders empfanden. Waren öffentliche Hinrichtungen, Foltern von Gefangenen, brutale Strafen wie ad bestias – die Verurteilten wurden in der Arena von wilden Tieren zerrissen – und die Schrecken von Kriegen, auch Bürgerkriegen in gewisser Weise Normalität in der damaligen Zeit? Ich weiß keine sichere Antwort darauf, denke aber doch, dass man damals nicht zimperlich war. Der Tod gehörte mehr zum Alltag als heute.

Das Relief der Trajanssäule ist eine steinerne Chronik der beiden Kriege, die Kaiser Trajan zu Beginn des zweiten Jahrhunderts gegen das Dakerreich führte. Der erste Krieg endete mit einem Unentschieden, der zweite mit dem Tod des dakischen Königs und der Vernichtung seines Reiches. Die bildliche Darstellung ist durchdacht und ein Werk der Repräsentation. Aber es wird nichts beschönigt. Decebal und die Daker waren starke und ernstzunehmende Gegner, und so wollte sie der Kaiser auch dargestellt wissen.

In einer Schlachtszene befindet sich Trajan vor einer Befestigung. Kämpfende Soldaten zeigen ihm die abgeschlagenen Köpfe der Feinde. Man hat jedoch den Eindruck, dass Trajan nicht besonders darauf achtet – er ist im Gespräch mit einem Begleiter und sein Blick geht in die Ferne. Er wird die Soldaten jedenfalls eher belobigt statt für ihre grausame Tat getadelt haben.

Eine Szene an einem Fluss zeigt die Gefangennahme mehrerer dakischer Frauen und Kinder, und auf dem Fluss ist ein Schiff abgebildet. Der Kaiser weist mit ausgestreckter Hand auf eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Sie wendet sich ihm zu. Man kann annehmen, dass die Frauen und Kinder abtransportiert werden, vielleicht sogar nach Rom.

Nach einer großen Schlacht empfängt Trajan Soldaten, um sie auszuzeichnen, und einer der Soldaten küsst seine Hand. (Von Senatoren ließ sich der Kaiser auf die Wange küssen). In der benachbarten Szene sieht man, wie dakische Frauen römische Gefangene foltern: die Gefesselten werden mit Fackeln versengt.

Soldaten werden beim Straßenbau gezeigt und vor einem römischen Lager sind die Köpfe gefallener Daker auf Stangen ausgestellt. Beim Sturm auf eine Festung der Daker werden Trajan und zwei hohen Offizieren wieder abgeschlagene Köpfe präsentiert. Die beiden Soldaten sind dicht vorm Kaiser, er und seine Begleiter blicken auf die „Trophäen“ und scheinen darüber zu sprechen.

Die Bilder vom zweiten Dakerkrieg zeigen viele Szenen der Begegnung zwischen Kaiser und Provinzbevölkerung, ehe er auf dem Kriegsschauplatz erscheint. Die Gefallenen des ersten Feldzuges werden geehrt und die Götter werden durch Opfer beschworen.

Beim Eindringen in Decebals Reich ernten römische Soldaten das Getreide der Daker. Solche Maßnahmen, die sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung richteten, gehörten selbstverständlich zur antiken Kriegführung. Verwüstungen, Raub der Ernte und Ernährungsgrundlage waren ebenso wie das Abschlachten von Zivilisten oder das Verschleppen in die Sklaverei absolut üblich.

Die Kämpfe um die dakische Hauptstadt waren heftig. Schließlich gaben die dakischen Anführer auf und einige von ihnen nahmen Gift. Andere flohen und steckten zuvor die Stadt in Brand. Man sieht Männer unterschiedlichen Alters, auch junge, am Boden liegen, während andere nach dem Giftbecher greifen. Und man sieht die Plünderungen in der Stadt durch die Römer, die alles Brauchbare fortschaffen. Einige Daker verraten dem Kaiser das Versteck von Decebals Schätzen. Die dakische Aristokratie war schon gespalten, nicht alle folgten mehr Decebal, der auf eine Festung geflohen war. Schließlich wurde er aufgespürt, und er tötete sich selbst mit seinem Sichelschwert. Seine Söhne wurden gefangen genommen.

Decebals Kopf wird, auf einem Tablett liegend, den römischen Soldaten präsentiert. Die fliehenden Daker werden bis ins Gebirge verfolgt. Ortschaften werden von den Besatzern zerstört. Kolonnen von Dakern verlassen mit ihrem Hab und Gut das Land. Der Eindruck entsteht, dass das Gebiet, das zur römischen Provinz wird, frei von Dakern sei. Doch moderne Forscher sind überzeugt davon, dass längst nicht alle Daker aus den Bergen vertrieben wurden.

Im Film „Columna“ wird Trajan als ein Feldherr geschildert, der von seinen Stabsoffizieren als milde und voller Mitleid getadelt wird. Er wird die Bilder der getöteten Daker im Kopf nicht los. Doch das ist Wunschdenken, das Trajan menschlicher schildern möchte, als er wirklich war. Das ist jedoch kein Einzelfall: sogar ein Papst soll sich um die Erlösung des Kaisers (aus der Hölle) bemüht haben. Die Nachwirkung besonders dieses römischen Herrschers ist ein Phänomen und sollte uns neuzeitliche Menschen nur insofern beeindrucken, als sie nicht völlig grundlos war. Trajan war zweifelllos einer der bedeutendsten und beliebtesten Persönlichkeiten der römischen Geschichte, nicht mehr und nicht weniger. Seine Milde kannte Grenzen und er war vielmehr äußerst konsequent im Verfolgen seiner Ziele, auch der militärischen. Die Ausrottung der Daker war ihm wohl nicht ganz gelungen, wohl aber die Vernichtung ihrer Gesellschaft und Kultur.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen