Blog zum historischen Roman "Im Banne des Besten" mit Informationen über die Blütezeit des Römischen Imperiums
Samstag, 20. März 2021
Senecas "De clementia" - eine Anleitung zur Milde
Seneca verdankte seine Verbannung der Kaiserin Messalina. Nach ihrem Tod heiratete Claudius Agrippina die Jüngere. Es war eine Ehe zur Stärkung der julisch-claudischen Dynastie, der auch Agrippinas Sohn Nero angehörte. Sie setzte alles daran, ihm die Herrschaft zu sichern. Seneca hatte im Exil mehrere Schriften verfasst, unter anderem "De ira", über den Zorn.
Darin appellierte er an seine Leser, die Affekte zu beherrschen, sich selbst zu beherrschen, nach dem Grundsatz, alle müssten an sich arbeiten, alle seien fehlbar. Agrippina wurde auf Seneca als Literaten und philosophischen Lehrmeister aufmerksam. Sie erreichte, dass seine Verbannung aufgehoben wurde und er nach Rom zurückkehren durfte. Mehr noch: sie wünschte ihn als Erzieher und Ratgeber für ihren Sohn. Nero wurde im Alter von 17 Jahren Herrscher über ein Weltreich. Sogar eine leidenschaftliche Mutter wie Agrippina musste einsehen, dass er gute Berater benötigte, um sich in diese Aufgabe einzuarbeiten. Seine besten Ratgeber waren nicht nur Mentoren, sondern in den ersten Jahren auch Regenten und Nero lernte durch ihr Beispiel. Es begannen die glücklichen fünf Jahre Roms, die Trajan gelobt haben soll.
Seneca gab sich alle erdenkliche Mühe, Nero positiv zu beeinflussen. Er widmete ihm ein literarisches Werk "De clementia" - über die Güte. Es geht darin um die Milde eines Herrschers gegenüber seinen Untertanen. Seneca sprach Nero darin mehrfach persönlich an, schrieb, dass er ihm ein Spiegel seines guten Gewissens sein wolle, und zitierte ihn auch. Es mutet heute seltsam an, wie er einen so jungen Mann umschmeichelt hat, ihn mit den Göttern auf eine Stufe stellte - aber so war es damals. Nero war Nachfolger und Verwandter von Monarchen, die nach ihrem Tod zu Staatsgöttern erhoben und in Tempeln verehrt wurden. Doch Seneca ermahnt immer wieder zur Menschlichkeit, zur Güte und Fürsorge, die besonders einem König - oder Kaiser - ansteht.
Seneca berichtete, dass Nero angesichts seines hohen Ranges und seiner Repräsentationspflichten, innerhalb derer er sich Traditionen und Anstand unterwerfen musste, ausrief, das sei nicht Herrschaft, sondern Knechtschaft - was ziemlich tief blicken lässt. Seneca beschwor ihn, dass seine Pflichten, auch die moralischen, untrennbar mit seiner göttergleichen Stellung verbunden waren. Verantwortungsvolle Kaiser wussten, dass Herrschen so viel war wie Dienen, und sahen ihr Amt durchaus als Bürde an.
Unermüdlich lobte Seneca seinen Zögling. Er sei zu Gutem geboren, sei in seiner Jugend schon gütig, während Augustus, der als guter Princeps galt, in seinen früheren Jahren durchaus grausam war. Ein sehr kluges Argument, auf Augustus zu verweisen, der eine Urgroßvaterfigur für Nero sein musste! An Augustus erläuterte Seneca auch den Titel "Vater des Vaterlandes" und die Aufgabe des Herrschers, wie ein Vater zu seinen Untertanen zu sein: immer um Güte bemüht, um Gutes zu bewirken, und nur dann streng zu sein, wenn andere Maßnahmen nicht fruchteten.
Einen guten Herrscher, so Seneca, suchten die Menschen gern auf, ohne Furcht, und jener strahlte Güte aus und in dieser Güte wahre Größe. Als Kopf des Staates war er um dessen Wohlergehen bemüht, und seine Bemühungen riefen Treue und Opferbereitschaft hervor. Gutes bewirkt wiederum Gutes, während ein Verbrechen weitere Verbrechen nach sich zieht. Das Gegenteil von Güte ist Grausamkeit, und Seneca führte auch Beispiele der Grausamkeit und des Zorns von Königen und Feldherren an, doch noch eindrucksvoller sind Beispiele der Milde. Ein Princeps, der geliebt wird, muss nicht mit Waffen vor Widersachern geschützt werden.
Seneca war sehr gerührt von einer Begebenheit, in der sich Neros Menschlichkeit zeigte. Der Prätorianerpräfekt Burrus drängte ihn, er müsse endlich das Urteil über zwei Straßenräuber unterschreiben, damit es vollstreckt werden konnte. Neros Antwort darauf war, er wünschte, er könne nicht schreiben. Seneca war geradezu außer sich vor Begeisterung und sah darin Neros guten Kern. Seine schlechten Eigenschaften hat er sicher auch gesehen, aber als wohlmeinender Pädagoge war er der Ansicht, er müsse seinen Zögling nur immer wieder in seinen guten Wesenszügen bestärken, und er würde sich zum idealen Herrscher entwickeln. Dass er in Bezug auf Nero irrte, war tragisch, nicht nur für ihn selbst, sondern vor allem für den Staat, denn die Herrschaft jenes jungen Mannes, die so vielversprechend begann, endete in seinem gewaltsamen Tod und der damnatio memoriae, der öffentlichen Tilgung seines Andenkens. Tiefer konnte ein Herrscher kaum sinken. Bleibt die Frage, ob all jene Bemühungen bei einem labilen Charakter wie Nero, der viel zu früh über so viel Macht verfügte, nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt waren.
Aber "De clementia" wurde nicht vergebens geschrieben. Kaiser Trajan kannte das Werk mit Sicherheit. Er hat jene glücklichen fünf Jahre gewürdigt, in denen Seneca und der Gardepräfekt Burrus das römische Reich lenkten. Er wurde zu dem Herrscher, den sich die stoisch geprägte römische Oberschicht wünschte, zum Vater des Vaterlandes, zum umgänglichen und freundlichen Princeps, dessen Willen es war, "gut und zum Nutzen von allen" zu regieren. Und weitere Herrscher der Antoninischen Dynastie regierten ebenfalls gemäßigt und im Dienst der Allgemeinheit.
In jenen ersten Jahren Neros wurde höchstwahrscheinlich Trajans Vater in den Senat aufgenommen. Vermutlich haben Seneca und Burrus den älteren Trajan gefördert. Der Sohn hat diese Zeit schon bewusst erlebt und kannte die politischen Verhältnisse aus Schilderungen seines Vaters. Auch freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zur ebenfalls aus Spanien stammenden Familie Senecas sind denkbar.
Literatur:
Lucius Annaeus Seneca: "De clementia", Lateinisch-Deutsch, Reclam, Ditzingen, 1970, ISBN 978-3-15-008385-7
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