Samstag, 26. September 2020

Sokrates und die Suche nach der Wahrheit

Sokrates war einer der berühmtesten Denker der Weltgeschichte. Einer Anekdote zufolge soll ihn die Priesterin des Orakels in Delphi als den weisesten Menschen seiner Zeit bezeichnet haben. Eine ganze Reihe von Philosophen vor ihm wurde als "Vorsokratiker" bezeichnet: der Eindruck, den Sokrates hinterließ, war prägend.

Sokrates soll Sohn eines Bildhauers gewesen sein und das Handwerk selbst noch ausgeübt haben, ehe er seine Berufung erkannte. Er hat keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen. Was man heute über ihn weiß, wurde vor allem von seinen Schülern überliefert, unter denen Platon der bedeutendste war.

Das Leben im Athen während der Attischen Demokratie fand in der Öffentlichkeit statt. Und dort, quasi auf der Straße, hielt sich Sokrates meist den ganzen Tag lang auf. Er ging zu den Gymnasien, wo Sport getrieben wurde, und anschließend auf den Markt. Er sprach mit den Menschen. Seine Methode des Philosophierens war ein offener Dialog, dessen Ziel es war, den Dingen auf den Grund zu gehen, den Begriffen, den Werten, und vor allem strebte Sokrates die menschliche Selbsterkenntnis an. Seine Bemühungen galten dem richtigen Leben. Bei aller Ungewissheit, so meinte er, hätten die Menschen ein grundlegendes Gefühl dafür, was man tun und was man lassen solle, um ein gutes, moralisch richtiges Leben zu führen.

In seinen Dialogen bediente sich Sokrates der Dialektik, des Ausformulierens von Argumenten und Gegenargumenten, und er lieferte seinen Gesprächspartnern meist keine Lösung der Fragen. Dazu war er zu selbstkritisch und zu klug. Er war sich dessen bewusst, dass auch er nicht alles wusste. Die Gespräche waren Mittel seiner Suche nach der Wahrheit. Manche Athener waren von ihm genervt, beschimpften und ihn wurden gar handgreiflich. So mancher aufstrebender Politiker mochte es nicht, wenn Sokrates ihm seine Schwächen vor Augen führte. So kam es, dass Sokrates Anhänger hatte, die ihn schätzten und verehrten, aber er hatte auch Feinde, die ihm einen schädlichen Einfluss nachsagten.

Berühmt geworden ist auch Xanthippe, die Frau des Sokrates, die über seinen Lebenswandel nicht besonders glücklich war. Sie beschimpfte ihn öffentlich und überschüttete ihn gar mit Wasser. Wer mag es ihr verdenken, dass sie sich über ihren Gatten ärgerte, der den ganzen Tag nur draußen herumlungerte und mit den Leuten schwatzte, statt seinem Handwerk nachzugehen und sich um seine Familie und um sein Haus zu kümmern? Doch mit ihren Vorwürfen erreichte sie nur, dass Sokrates erst recht nach draußen ging, um zu philosophieren. Er konnte einfach nicht anders.

Zu den Fans von Sokrates gehörte Alkibiades, ein junger Mann aus vornehmer Familie. Er war so von Sokrates fasziniert, dass er - so überliefert es Platon - versucht hat, ihn zu verführen. Im antiken Griechenland war es üblich, dass erfahrene Männer zu väterlichen Freunden und Mentoren junger Männer wurde, und nicht immer blieb es bei einer, wie wir heute sagen, platonischen Liebe. Sokrates mochte junge, attraktive Männer, aber er ließ sich nicht zu körperlicher Liebe hinreißen. Das bezeugte Alkibiades. Selbst als er sich zu ihm ins Bett legte, blieb Sokrates standhaft. Er war der Verführer, und er verführte durch seine Klugheit, seine unermüdliche Suche nach der Wahrheit und seine immense Ausstrahlung.

Sokrates verführte die Menschen, und das ging seinen Gegnern gegen den Strich, die meinten, seine provozierende Art, die Dinge in Frage zu stellen, sei gefährlich und zersetzend. Die Welt sei schließlich schon fragil und kompliziert genug, da brauche man nicht noch jemanden, der Flausen verbreitet und die Leute nervös macht. In schwierigen Zeiten suchen viele Menschen nach einfachen Richtlinien und Antworten, doch Sokrates wühlte auf und fragte. Das war seine Art, nach dem Guten und der Wahrheit zu streben. So kam es, dass er vor Gericht angeklagt wurde. Ihm wurde Gottlosigkeit und ein schlechter Einfluss auf die Jugend vorgeworfen. Sokrates jedoch knickte nicht ein. Seine Anhänger wollten ihm zur Flucht verhelfen. Doch er wollte sich nicht ins Unrecht setzen, indem er sich der Verurteilung entzog. Er wurde mit knapper Mehrheit zum Tode verurteilt und fügte sich, indem er den Schierlingsbecher trank. Seine aufrichtige Haltung bewahrte er bis zuletzt. Literatur:

Wilhelm Weischedel: "Die Philosophische Hintertreppe", dtv Verlagsgesellschaft, 2005, ISBN 978 3423300209

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