Blog zum historischen Roman "Im Banne des Besten" mit Informationen über die Blütezeit des Römischen Imperiums
Samstag, 27. März 2021
Senecas Satire: Apokolokyntosis
Am 13. Oktober des Jahres 54, ungefähr ein Jahr nach Trajans Geburt, starb Kaiser Claudius. Vielleicht zur Zeit der Saturnalien, des karnevalsähnlichen Festes der Römer zum Jahreswechsel, veröffentlichte Seneca einen satirischen Text, Apokolokyntosis genannt. Den römischen Kaisern wurde nach ihrem Tod die Apotheosis, die Vergöttlichung, zuteil - mit Ausnahme derer, die geächtet waren. Claudius waren alle Ehren zuteil geworden, dafür hat seine Gattin Agrippina gesorgt. Schließlich sollte Neros Vater ein Gott sein! Statt mit einer Apotheosis ließ Seneca den Claudius mit einer Apokolokyntosis, wörtlich Verkürbissung, büßen.
Diese Form der Satire enthält Verse, die erhaben und poetisch klingen, aber auch Prosa. Jene Prosastellen sind unverhüllter Spott. Manche haben sicher spontanes Gelächter erregt, aber manchmal muss einem auch das Lachen im Halse stecken bleiben, wenn es um die zahlreichen Todesopfer geht, die Claudius zu verantworten hatte. Viele Anspielungen zielen auf seine körperlichen Behinderungen. Angesichts der Tatsache, dass er Seneca acht Jahre in die Verbannung schickte, wird all die Häme verständlich.
Der Straßenmeister der Via Appia, erzählt Seneca, habe Claudius humpelnd zum Himmel gehen gesehen. Bevor er starb, ließ er "aus dem Körperteil, mit dem es ihm leichter fiel, sich auszudrücken, einen stärkeren Ton entfahren". Seine letzten Worte waren "Verdammt, ich glaube, ich habe mich beschissen." Seneca fügt hinzu, dass er alle Welt beschissen hat.
Claudius kommt im Himmel an, aber er stößt nur unverständliche Laute aus und niemand von den Göttern weiß, um wen es sich handelt. Hercules wird von Jupiter beauftragt, es herauszufinden. Als er Claudius sieht, erschrickt er und befürchtet, er habe noch nicht alle Arbeiten erledigt (alle Ungeheuer besiegt).
Beim Anblick des Hercules begreift Claudius, dass er im Himmel nichts zu melden hat. Er versucht, ihn für sich einzunehmen, schließlich habe er doch vor seinem Tempel Recht gesprochen. Mit seiner Hilfe dringt Claudius nun gewaltsam in die Kurie, den himmlischen Senat, ein. Er möchte ein Gott werden und am liebsten im Himmel seine Gerichtstätigkeit fortsetzen.
Ein Gott, der den neuen Kaiser Nero fördert, tritt nun gegen Claudius auf. Er meint unter anderem, es sei etwas von einem stoischen Gott in ihm, er habe weder Herz noch Hirn. Jupiter fällt ein, dass der himmlische Senat in Anwesenheit eines Menschen gar nicht abstimmen dürfe. Claudius wird hinausgeschickt.
Der Gott Janus, der designierte Nachmittagskonsul - hier spielt Seneca darauf an, dass sich immer mehr Konsuln innerhalb eines Jahres abwechseln müssen - mahnt, dass die Götter erhaben seien und dass man die Ehre der Vergöttlichung nicht allem Pöbel zuteilwerden lassen dürfe. Aber schließlich scheint sich alles für Claudius zum Guten zu wenden: man denkt an seine Abstammung vom vergöttlichten Augustus und dessen vergöttlichter Gattin. Doch nun erhebt Augustus selbst Einspruch. "Es ist eine Schande für das Reich", spricht er. "Dieser Mann, der den Eindruck macht, er könne keiner Fliege etwas zuleide tun, hat Menschen ermordet, mit einer Leichtigkeit, mit der ein Hund ein Bein hebt."
Augustus fährt fort, ihm bleibe gar keine Zeit, die öffentlichen Massaker des Claudius zu beweinen, wenn er das Leid betrachtet, das er seinem Hause (seiner Familie) zugefügt hat, und nennt als Beispiel seine Urenkelinnen. Das Schlimmste aber sei, dass Claudius seine Opfer ohne gerichtliche Untersuchung verurteilt hat. "Und diesen Menschen wollt ihr nun zum Gott machen? Seht doch bloß seinen Körper an, den die Götter in ihrem Zorn erschufen. Kurz und gut: Wenn er ganze drei Worte fließend herausbringt, soll er mich als seinen Sklaven wegführen. … Wenn ihr solche Jammergestalten zu Göttern macht, wird keiner mehr glauben, dass ihr selbst Götter seid."
Augustus beantragt, Claudius solle schleunigst abgeschoben werden, den Himmel innerhalb von dreißig, den Olymp innerhalb von drei Tagen verlassen. Alle anderen schließen sich dem Antrag an, und der Gott Merkur schleppt Claudius in die Unterwelt. Dort bringt Claudius es fertig, diejenigen, die er zum Tode verurteilt hat, als Freunde zu begrüßen. Daraufhin wird er von seinen Opfern dem Totengericht übergeben. Es wird überlegt, welche Strafe man ihm auferlegen kann: Könnten Sisyphus oder Tantalus endlich abgelöst werden? Alle sind sich bald einig, dass man eine völlig neue Strafe für ihn erfinden müsse, eine, die trügerische Hoffnung weckt, aber ohne Effekt bleibt. Der Totenrichter verurteilt ihn zum Würfelspiel mit einem durchlöcherten Becher.
Während Claudius zu würfeln versucht, kommt Caligula und fordert ihn als seinen Sklaven. Claudius wird ihm zugesprochen, doch Caligula schenkt ihm den Totenrichter, der ihn an seinen Freigelassenen weitergibt. Claudius wird letztlich Gerichtsdiener bei einem Freigelassenen in der Unterwelt.
Wie Senecas Gönnerin Agrippina wohl die "Apokolokyntosis" aufgefasst hat? Aber vielleicht hat sie ja auch darüber gelacht. Sie hat Claudius gewiss nicht geliebt, sondern aus Ehrgeiz geheiratet, um ihrem Sohn die Herrschaft zu sichern. Im poetischen Teil seines Textes lässt Seneca den Gott Apollo das Ende der Dunkelheit verkünden und die Ankunft der Sonne.: "Solch ein Kaiser ist nah, und solch einen Nero wird Rom jetzt schauen! Im milden Glanz erstrahlt sein liebliches Antlitz und unter wallendem Haar sein schöngestalteter Nacken". Ach Seneca! Nero wird den Text gemocht haben, Agrippina wird damit zufrieden gewesen sein. Leider war es Seneca nicht vergönnt, denjenigen, der ihm eines Tages den Tod befahl, einem satirischen Himmelsgericht zu übergeben. Wahrscheinlich wäre das auch zu schmerzlich für ihn gewesen.
Dass verstorbene Persönlichkeiten nicht nur geehrt, sondern auch verspottet wurde, war im alten Rom durchaus üblich. Im Trauerzug gingen Schauspieler mit, die den Verstorbenen darstellten. Dabei wurden seine Schwächen aufs Korn genommen. Während der Totenfeierlichkeiten für den sparsamen Kaiser Vespasian richtete der Schauspieler, der ihn darstellte, die Frage an die Menge, was seine Beerdigung kosten solle. Entsetzt über die Antwort, bat er um Geld und forderte "Werft mich in den Tiber!"Humor und Satire machten vor den Kaisern nicht halt, nicht einmal angesichts ihrer Vergöttlichung.
Literatur:
Lucius Annaeus Seneca: "Apokolokyntosis" in "Römische Satiren",Aufbau-Verlag, DDR 1977
Marion Giebel: "Seneca", Rowohlt Taschenbuchverlag, Hamburg 1997, ISBN 978 3 499 50575 1
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